Zeit zu gehen Eugenie Ankowitsch, 13.10.2017 13:30 Uhr
Apothekerin Annerose Zerbe-Kunst führt die Kloster-Apotheke im brandenburgischen Neuzelle. Eigentlich würde sie lieber gestern als heute in Rente gehen. Doch die jahrelange Suche nach einem Nachfolger blieb bisher erfolglos. Um auf Nachwuchsprobleme in ländlichen Regionen aufmerksam zu machen, erzählte die Apothekerin der Nachrichtenagentur dpa ihre Geschichte. Doch auch einige anschließende Veröffentlichungen in unterschiedlichen Medien haben an ihrer Situation nichts geändert. Nicht ein einziger Interessent hat sich bei der 67-Jährigen daraufhin gemeldet.
Handelsblatt, n-tv.de, Märkische Online-Zeitung und einige weitere regionale Zeitungen haben die Reportage veröffentlicht. Sogar im rund 830 Kilometer entfernten Trier konnten die Leser des Trierischen Volksfreunds die Geschichte von Zerbe-Kunst nachlesen. Doch gebracht hat es am Ende nichts, berichtet die Apothekerin.
Enttäuscht ist sie vor allem darüber, dass in den Medien aus ihrer Sicht das für Apotheker so wichtige Thema „Nachwuchssorgen auf dem Land“ nur am Rande Erwähnung fand. Ein großer Teil des Berichts beschäftigte sich mit dem DocMorris-Automaten in Hüffenhardt, der zu der Zeit eröffnet und wenige Tage später schon wieder geschlossen wurde. „Das Thema ist auch am meisten hängen geblieben“, ärgert sich Zerbe-Kunst.
Bereits vor fünf Jahren begann sie die Suche nach einem Nachfolger – mit Anzeigen in Zeitungen und Internet und mithilfe ihres Netzwerks in der Branche. Vergeblich, niemand wollte bis jetzt nach Neuzelle, einem Erholungsort im Grenzgebiet zu Polen. Dabei hat die Stadt eine einzigartige barocke Klosteranlage und ein recht lebendiges kulturelles Leben.
In die barocke Klosteranlage sind in diesem Jahr nach 100 Jahren Mönche des Zisterzienserordens zurückgekehrt. Regelmäßig werden dort von einer staatlichen Stiftung kulturelle Veranstaltungen angeboten. „Es gibt Konzerte und Theateraufführungen“, sagt Zerbe-Kunst. Jeden Sommer findet der internationale Opernkurs „Oper Oder-Spree“, ein Musikfestival zur Förderung junger Sängerinnen und Sänger, statt. Außerdem gebe es im Schlaubetal viele wunderschöne Wander- und Radwege. Zwar kann man als Chef einer kleiner Apotheke nicht jeden Abend etwas unternehmen. „Bestimmte Angebote gezielt wahrzunehmen, ist aber durchaus drin“, sagt die Apothekerin.
Zerbe-Kunst hat sich nach der Wende zunächst in Frankfurt an der Oder in einem Neubaugebiet selbstständig gemacht. Damals habe es in der ganzen Stadt eine Handvoll Apotheken gegeben, erzählt sie. Innerhalb von zehn Jahren hätten sich die Bedingungen allerdings drastisch verschlechtert. Die Stadt ist geschrumpft, das Neubaugebiet zurückgebaut worden. Parallel sei die Zahl der Apotheken auf mehr als 15 gestiegen. „Als der Mietvertrag ausgelaufen war, haben ich nicht mehr verlängert“, erinnert sich die Apothekerin. Mit 50 Jahren musste sich Zerbe-Kunst neu orientieren. Damals stand die Kloster-Apotheke in Neuzelle gerade zum Verkauf, ein Glücksfall, wie Zerbe-Kunst bis heute meint. Nun sucht sie selbst einen Nachfolger, leider bisher vergeblich.
„Die Grenzregion und das Land sind große Hürden", nennt die Pharmazeutin die Gründe für die schwierige Nachfolgersuche. Großstädte seien für viele Kollegen attraktiver. Auch wenn die in Ostdeutschland geborene und aufgewachsene Apothekerin sich die DDR nicht zurück wünscht, blickt sie mit leichter Wehmut auf die Regelung zurück, die junge Apotheker dazu verpflichtete, für drei Jahre dorthin zu gehen, wo sie wirklich gebraucht wurden. „In der Zeit ist man dort in der Regel heimisch geworden und geblieben“, erinnert sie sich.
An der Kompetenz, sowohl fachlich als auch im Umgang mit Menschen, mangelt es jungen Kollegen nach Auffassung der erfahrenen Apothekerin nicht. „Sie finden jedoch oftmals die Arbeit in einer kleinen Apotheke, wo man immer präsent sein muss und sich nicht hinter den 20 anderen Mitarbeitern verstecken kann, zu anstrengend“, meint Zerbe-Kunst, die vier Mitarbeiter beschäftigt. Sie ist die einzige Pharmazeutin im Team. Einen angestellten Approbierten trage die Apotheke durchaus, versichert sie. Doch gestalte sich die Suche danach ausgesprochen schwierig.
Zerbe-Kunst kritisiert außerdem, dass junge Apotheker nur auf den Umsatz der Apotheken achteten. Einbindung in die Gemeinschaft und das gesellschaftliche Leben vor Ort spielten für sie nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb würden Apotheker in ländlichen Regionen wie sie ewig nach Nachfolgern suchen. „Ich mache weiter, so lange ich kann“, sagt Zerbe-Kunst. „Die Einstellung 'nach mir die Sintflut' passt nicht zu mir.“ Schließlich sei die Kloster-Apotheke die einzige Apotheke in dem rund 4500 Einwohner großen Ort.
„Mein Vorgänger hat damals mit 72 Jahren aufgehört“, sagt die 67-Jährige. „So lange will ich eigentlich nicht machen.“ Das sei dann nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch aus dem Verantwortungsgefühl gegenüber den Kunden, ratsam. „Computertechnik wird immer mehr verlangt“, sagt die Apothekerin. Auch nehme es immer mehr Zeit in Anspruch, auf dem neusten Stand der Wissenschaft zu bleiben. „Sobald man da nicht mehr mitkommt, wird es Zeit zu gehen“, so Zerbe-Kunst. Sollte sie bis dahin keinen Nachfolger finden, wird ein weiterer Ort seine einzige Apotheke verlieren.