Denkt hier noch irgendjemand an die Rentner? Oma Pachulke ist wütend. Jahrelang hat sie von den Boni gelebt, die ihr ihre freundliche Versandapotheke spendiert hat. Und damit soll jetzt Schluss sein? Wovon soll sie leben, wenn die DocMorris-Rente wegfällt?
Oma Pachulke ist 78 Jahre alt, lebt alleine in Duisburg-Ungelsheim und erhält eine Rente von knapp 840 Euro. Viel Geld bleibt nach Abzug der laufenden Kosten nicht übrig. Umso mehr freute sie sich, als sie vor ein paar Jahren die Versandapotheke und ihr großzügiges Geschäftsmodell entdeckte. Ihr Enkel hatte ihr zum Geburtstag eine Packung Doppelherz bestellt; selber vorbei gekommen war er auch in jenem Jahr nicht, genauso wie der Rest der Familie. Die Apotheken Umschau enthielt das Päckchen zwar nicht, aber allerlei Werbematerial, auch zu einem sogenannten Arzneimittelcheck.
Zwischen 2,50 und 20 Euro konnte man erhalten, wenn man ein Rezept einschickte. Was das mit einem Check zu tun hatte, verstand Oma Pachulke zwar nicht. Sie nahm eigentlich auch gar keine Medikamente, aber das mit ihren Beinen wollte sie ohnehin schon immer einmal abklären lassen. Und so kam es, dass ihr Arzt ihr tatsächlich das allererste Arzneimittel in ihrem Leben überhaupt verschrieb.
Auf einmal hatte Oma Pachulke 2,50 Euro auf dem Kundenkonto. Und nun kam eins zum anderen. Schnell fand sie heraus, dass jedes Rezept einen neuen Bonus brachte und dass teure Medikamente sich besonders günstig für ihre kleine Haushaltskasse auswirkten. Früher hätte sie sich nie getraut, den Arzt um einen Gefallen zu bitten; es hätte gar nicht ihrem Temperament entsprochen, irgendjemandem zur Last zu fallen. Nunmehr aber war ein ganz besonderes Ökosystem in Gang gekommen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.
Nicht nur das Geschäft mit Rezepten florierte. In der Hausgemeinschaft und im Seniorenzentrum war Oma Pachulke als Botschafterin für DocMorris äußerst erfolgreich unterwegs. Mittlerweile war sie kostenlos Mitglied im ADAC geworden (weder besaß sie ein Auto noch einen Führerschein), auch mehrere Hotelaufenthalte hatte sie schon dank ihres großzügigen Unterstützers erleben dürfen. Und in der Wohnung hatten nach und nach verschiedene Haushaltsgeräte Einzug gehalten, die sie sich ohne die ersparten Prämien niemals hätte leisten können.
Die Medikamente, die sie sich verschrieben ließ, nahm Oma Pachulke nicht selbst ein. Viel besser: Schon in ihrer Jugend wäre sie am liebsten Krankenschwester geworden, was ihr nach der frühen Ehe und ersten Mutterschaft leider verwehrt geblieben war. Nun, am Lebensabend, wie man so schön sagt, wurde dieser Traum doch noch unverhofft wahr. Unter Nachbarn und Bekannten galt sie längst als Geheimtipp, wenn irgendjemanden ein Zimperlein plagte. Allopurinol, Pravastatin, Pregabalin – für jedes Sternzeichen und jede Mondphase hatte sie ein passendes Mittelchen parat.
Kurzum: Oma Pachulke hatte dank DocMorris nicht nur ein unverhofftes Auskommen, sondern auch einen Weg zurück ins Leben gefunden. Selbst das Internet machte ihr keine Angst mehr. Dass sie nun noch nicht einmal mehr ihre Rezepte zum Briefkasten bringen musste, schien ihr spätes Glück perfekt zu machen.
Aber dann die Hiobsbotschaft: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag verboten, dass Versender solche Rx-Boni gewähren dürfen – zumindest wenn daran der Kauf von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geknüpft ist. Denn das könnte aus Sicht der Richter zu einem unnötigen Mehrverbrauch führen, was schon nach EU-Recht einwandfrei unzulässig ist.
Oma Pachulke verstand gar nichts. EuGH? Boni? Mehrverbrauch? Was sollte das alles bedeuten? Warum gönnte man ihr die bescheidene Freude nicht? Wer oder was war überhaupt DocMorris? Hatte sie nicht immer bei ihrer Apotheke um die Ecke bestellt? Oder hatte die Mitarbeiterin deswegen so ahnungslos dreingeschaut, als sie einmal an Weihnachten einen Blumenstrauß und eine Packung Pralinen vorbeibrachte?
Ein Brief an Günther Jauch brachte auch nichts, er könne da nicht helfen, ließ der TV-Liebling ausrichten. Im Übrigen sei er gar nicht für DocMorris, sondern für Shop Apotheke tätig. Auf die Frage nach dem Unterschied kam keine Antwort mehr.
Wie soll es nun weitergehen mit Oma Pachulke? Gerade erst hat sie sich ein Messerset von WMF bestellt, das noch nicht bezahlt ist. Und ihre Freundinnen beim Caritas-Treff haben sich auch schon erkundigt, wann ihre neuen Medikamente eintreffen. Wenn sich nicht schnell eine Lösung findet, muss Oma Pachulke ihre Sachen packen und nach Holland flüchten. Hinter der Grenze sei man sicher, hat man ihr beim Kundenservice von DocMorris geraten. Nur nach Heerlen solle sie lieber nicht kommen, man habe leider keine Zimmer mehr frei. Wir drücken die Daumen, dass die Sache für die alte Dame gut ausgeht. Schönes Wochenende!