Nullretax: Apothekerin schreibt Brandbrief

„Wissen die Kassen überhaupt, was los ist in den Apotheken?“

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Berlin -

„Gebrauchsanweisung fehlt auf dem Rezept.“ Mit diesem kurzen Hinweis hat der Kassendienstleister SpectrumK im Namen der Viactiv BKK ein Rezept über Simponi retaxiert. Schaden für die Sonnen-Apotheke in Mönchengladbach: 2604,15 Euro. Inhaberin Andrea Prochaska will die Sache nicht hinnehmen – und hat einen aufrüttelnden Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie weitere Ministerien, Abgeordnete, Kammern und Verbände geschrieben. Denn die Sache bedroht aus ihrer Sicht zunehmend die Versorgung.

In der vergangenen Woche flatterte in der Sonnen-Apotheke ein Schreiben von SpectrumK ins Haus: Man habe im Auftrag der Viactiv BKK die eingereichten Rezepte aus dem Januar „auf ordnungsgemäße Abrechnung geprüft“. Dabei wurde aus Sicht des Kassendienstleisters auf einer Verordnung ein Fehler festgestellt: Bei einem Rezept über Simponi fehlte die Dosieranleitung. Konsequenz gemäß Arzneiliefervertrag und Rahmenvertrag: Retaxation auf Null.

Ein Fehler in fünf Jahren

Prochaska ist entsetzt. Seit fünf Jahren werde in ihrer Apotheke im Prinzip das gleiche Rezept eingereicht – und nie habe es einen Grund zur Beanstandung gegeben. Dass diesmal die Dosierung fehlte, sei einem Softwarefehler in der Arztpraxis geschuldet gewesen, wie ihr auch bestätigt worden sei. Schlimmer noch: Auf der Kopie des Rezeptes, die sie bei solchen Präparaten immer anfertige, sei die Dosierung noch vermerkt worden. Ein Fehler eben, wie er im hektischen Alltag nun einmal passieren könne. „Das kann doch nicht sein: Wir haben den Vorgang dokumentiert, wir haben mit den Ärzten gesprochen. Und trotzdem will die Kasse das durchziehen.“

Genützt haben ihr die Nachforschungen bislang nichts. Als sie bei SpectrumK zunächst telefonisch reklamierte, dass der Patient ja ordnungsgemäß versorgt worden sei und dass es sich um einen nachrangigen Formfehler handele, habe man ihr rundheraus erklärt, dass das eben vom Sachbearbeiter abhänge.

Jedes dritte Rezept mit Sonder-PZN

Diese Art von Einstellung bringt Prochaska erst recht auf die Palme: „Wissen die Kassen überhaupt, was los ist in den Apotheken?“ Jedes dritte Arzneimittel sei derzeit nicht zu bekommen, jedes dritte Rezept entsprechend mit irgendeiner Sonder-PZN versehen. Und dann müsse sie ein Jahr lang bangen, ob die Abrechnung beanstandet werde. „Es reicht mir! Ich kann nicht mehr.“ Sie kenne Kolleg:innen, die aus genau diesem Grund überhaupt keine Hochpreiser mehr abgeben.

Doch auch ihre Angestellten hätten keine Lust mehr: „Niemand in meinem Team hat mehr Lust, unter solchen Bedingungen in der Apotheke zu arbeiten.“

Weil es aus ihrer Sicht also um eine ganz grundsätzliche Frage geht, die die Sicherheit der Versorgung tangiert, hat Prochaska einen Brief geschrieben: an das Bundes- und Landesgesundheitsministerium, an das Bundeswirtschaftsministerium und an Kammer und Verband. Ein Hilferuf sei das, wies sie eindrücklich einleitet: „Ich hoffe sehr darauf, dass Sie meine Nachricht lesen und nachvollziehen können, was meine Verzweiflung auslöst.“

Seit nunmehr zweieinhalb Jahren arbeite man in ihrer Apotheke am Limit – und damit meine sie die Pandemiebedingungen mit zunächst nicht kalkulierbarem Gesundheitsrisiko für sie selbst und ihre Mitarbeiterinnen, der nächtlichen Herstellung von Desinfektionsmitteln für Altenheime, Kunden, Praxen und Schulen, aber auch dem Testen und Impfen. „Und jetzt den Wahnsinn mit den nicht lieferbaren Arzneimitteln! Wir beschäftigen uns inzwischen bis zu vier Stunden täglich zusätzlich mit enormen Anstrengungen irgendwoher noch bestimmte Arzneimittel zu bekommen!“

Ordnungsgemäße Versorgung

Und in diesem ganzen Wahnsinn erhalte sie eine Retaxation über 2604,15 Euro. „Wohlgemerkt, das Medikament habe ich im Januar 2022 an den Patienten abgegeben. Auf dem Rezept war die Angabe der Dosierung vergessen worden. Der Patient wurde ordnungsgemäß und vollumfänglich auch nach telefonischer Rücksprache zur Dosierung mit dem Arzt von uns versorgt. Rabattverträge wurden natürlich auch noch eingehalten.“

Dann wirft sie die Fragen auf, mit denen sie vielen Kolleg:innen aus dem Herz spricht: „Wie ist es dann möglich, dass eine Krankenkasse das Recht hat, weil ‚DJ‘ auf dem Rezept fehlt, die Erstattung des Arzneimittels KOMPLETT zu streichen? In welcher Branche würde jemand einen solch teuren Artikel verkaufen, mit dem Risiko irgendeinen kleinen Formfehler übersehen zu haben und dann fast ein Jahr später das Geld zurück geben zu müssen. Ohne Chance auf Korrektur!“

Kostenlose Vollversorgung

Prochaksa weiter: „Was läuft hier falsch, frage ich mich. Mit welchem Recht werden hier Krankenkassen ausgestattet? Wie soll das erst in einem Jahr werden, wenn ich eventuell bei einem nicht lieferbaren Arzneimittel vergessen habe, eine Sonderpharmazentralnummer mit schriftlicher Begründung auf jedes Rezept zu schreiben! Da freuen sich die Kassen dann über die kostenlose Vollversorgung ihrer Versicherten.“

Nun wartet sie auf Antworten. Dass Bundeswirtschatftsminister Robert Habeck (Grüne) für kommenden Sommer ein Maßnahmenpaket in Aussicht gestellt hat, reicht ihr nicht. „Das nützt doch nichts, wenn das irgendwann kommt.“ Für sie ist es übrigens schon das zweite Mal, dass ihr eine Kasse die Erstattung eines Hochpreisers verweigert: Zwei Tage vor Weihnachten sei ihr im vergangenen Jahr eine Retaxation über 28.000 Euro zugestellt worden. Damals sei es darum gegangen, dass ein Generikum nicht exakt dieselbe Indikation hatte – obwohl das Krankenhaus das Rezept mit Aut-idem-Kreuz und Bemerkung versehen hatte. Am Ende wurde die Sache eingestellt. „Was für ein Wahnsinn!“

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