Mit großem Medien-Tam-Tam präsentierte der Landesapothekerverband Baden-Württemberg bei der Expopharm in Düsseldorf seine digitale Rezeptsammelstelle. Eigentlich sollte im Herbst der Probebetrieb starten. Doch wurde der Termin verschoben. Jetzt übernimmt womöglich der saarländische Kammerpräsident Manfred Saar die digitale Führerschaft im Apothekenlager. Er geht im Januar mit der ersten digitalen Rezeptsammelstelle in den Pilotbetrieb – mit einem Konkurrenzprodukt.
„Wir müssen neue Wege ausprobieren“, begründet Saar seine Vorreiterrolle. „Wir probieren das mal aus.“ Der Kammerpräsident sieht in der digitalen Rezeptsammelstelle für die Vor-Ort-Apotheken ein probates Instrument gegen den Versandhandel: „Damit können wir noch schneller Arzneimittel liefern als bisher. Da kommen die Versender nicht mit.“
Daher denkt Saar auch über eine Reform der Regeln für Rezeptsammelstellen nach: „Wir müssen das anders, pragmatischer regeln“. Es soll künftig mehr davon geben. Die bisherige Abstandsgrenze von sechs Kilometern bis zur nächsten Apotheke hält er für zu starr. Man könne beispielsweise darüber nachdenken, in einer Gemeinde mit Arzt, aber ohne Apotheke die digitale Rezeptsammelstelle gleich in der Praxis aufzuhängen – auch wenn die nächste Apotheke nur drei Kilometer entfernt sei: „Drei Kilometer sind für ältere Menschen auf dem Land manchmal schon zu weit entfernt“, so Saar. Er kann sich daher vorstellen, künftig Genehmigungen nach Einzelfallbetrachtung zu erteilen.
Auch die Sache mit der persönlichen Kontrolle der Rezepte durch den Apotheker müsse vor einem Regelbetrieb von digitalen Rezeptsammelstellen noch geklärt werden: „Wir operieren hier in einer Grauzone“, räumt er ein. Zwar gebe es nirgendwo eine niedergeschriebene Vorschrift, dass Rezepte vor Abgabe eines Rx-Arzneimittels vom Apotheker kontrolliert und abgezeichnet werden müssten, aber aus der „Gesamtschau“ sei das herauszulesen. Daher plädiert Saar für eine Klarstellung.
Gebaut wurde die vermutlich erste in Betrieb gehende Rezeptsammelstelle ohne großes Aufsehen vom Apothekenrechenzentrum ARZ Darmstadt. Das Modell funktioniert im Prinzip genauso wie das Konkurrenzprodukt aus der Unternehmensgruppe Noventi, zu der das Rechenzentrum VSA gehört und ebenfalls aus einer App hervorgegangenen ist. Nur abgespeckt.
Es gibt einen Scanner, der die Rezepte an die angeschlossene Apotheke via Internetverbindung übermittelt. Anders als das Noventi-Modell verfügt diese digitale Rezeptsammelstelle aber über keine Kommunikationsfunktion. Die Patienten können weder mit der Apotheke telefonieren noch werden Quittungen ausgedruckt. Dafür ist das Darmstädter Angebot preiswert: Es soll für unter 2000 Euro angeboten werden.
Saar montiert seinen digitalen Piloten in die Stelle, wo bislang schon sein Rezeptbriefkasten hängt: an die Hauswand einer Arztpraxis im Saarland. Zum Schutz gegen Wind und Wetter wird ein Vordach installiert. Die WLAN-Anbindung stellt der Arzt bereit. „Es handelt sich vorerst um einen technischen Funktionstest“, berichtet Saar.
Dass es soweit gekommen ist, war auch beim ARZ Darmstadt kein leichter Weg. Entwickelt wurde die digitale Rezeptsammelstelle nämlich in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Apothekerverband (HAV). Eigentlich sollte der Probelauf daher dort anlaufen. Das liegt nahe. Aber die Kammer warf den Initiatoren dicke Knüppel zwischen die Beine. Die Kammer habe nicht nur die Konstruktionszeichnungen der digitalen Rezeptsammelstelle sehen, sondern sogar den „Biegeradius der Ecken“ prüfen wollen, ist zu hören. Von Schikane will man beim ARZ Darmstadt zwar nicht sprechen. Im Hintergrund könnte auch der noch ungeklärte Rechtsstreit um den DocMorris-Abgabeautomaten in Hüffenhardt eine Rolle spielen.
Bei ARZ Darmstadt sieht man für die digitale Box nicht nur als Rezeptsammelstelle in entlegenen Regionen Bedarf. Es hätten sich schon interessierte Apotheken gemeldet, die die Box an ihre Apotheke hängen wollten. Damit wäre man 24 Stunden für die Patienten erreichbar, könnte die Arzneimittel für die Abholung vorbereiten, so die betriebswirtschaftliche Überlegung. Andere Kollegen haben schon angefragt, weil sie gleich mehrere digitale Rezeptboxen in der Gemeinde aufhängen wollen, um so ihren Kundenkreis zu erweitern.
Hessens Gesundheitsminister Stefan Grüttner (CDU) unterstützt die digitale Rezeptsammelstelle des ARZ Darmstadt: „Wir wissen, dass gerade ältere Menschen eine gute medizinische Versorgung benötigen. Die Herausforderungen, dies weiterhin sicherzustellen, packen wir in Hessen an. Gemeinsam werden wir den erfolgreichen Weg der Verbesserung der medizinischen Versorgung auch durch neue Ansätze im Bereich Telemedizin weiter fördern.“
Dem CDU-Politiker zufolge werden moderne Kommunikationstechnologien „eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung einer weiterhin wohnortnahen, medizinisch hochwertigen Versorgung der Zukunft spielen“. Deshalb werde man die Digitalisierung des Gesundheitswesens intensiv voranbringen, um auch in ländlichen Regionen die medizinische Versorgung sicherzustellen, so Grüttner bei der Präsentation im Oktober.
Das gilt auch für das andere Online-Angebot des ARZ Darmstadt. Mit der App Apojet, die zusammen mit dem HAV entwickelt wurde, können Patienten ihre Arzneimittel in ihrer Stammapotheke vorbestellen. Dazu schicken sie über Apojet ein Bild des Rezepts, Sprach- oder Textnachrichten. Die Apotheken können auch Serviceangebote hinterlegen, etwa ein Apotheken- und Notdienstverzeichnis. Auch eine Funktion zur Einnahmeerinnerungen kann genutzt werden.
Wann und wo die digitale Rezeptsammelstelle des LAV Baden-Württemberg den Probebetrieb aufnehmen wird, soll nächste Woche bekannt gegeben werden. Dann will auch das Landgericht Mosbach sein erstinstanzliches Urteil über den DocMorris-Automaten bekannt geben. Offenbar ist der richtige Platz inzwischen gefunden. Beckers „Alleskönner“ kann nicht nur Rezepte scannen und an die betreibende Apotheke übermitteln, er kann auch telefonieren und Textnachrichten für Bestellungen von OTC-Arzneimitteln und anderen apothekenpflichtigen Produkten übertragen.
„Wir wollen damit bestehende Rezeptsammelstellen schneller, digitaler machen“, sagte Becker bei der Präsentation des Terminals. Die Vorteile der neuen Technik liegen für den LAV ebenfalls auf der Hand: Die Apotheke kann unmittelbar nach Eingang des Rezept-Scans mit der Bearbeitung starten, das Arzneimittel gegebenenfalls bestellen oder beim verordnenden Arzt Nachfragen klären. „Das bedeutet für die Apotheker eine längerer Reaktionszeit“, so Becker. Die Rezepte müssen nicht mehr wie heute üblich einmal täglich eingesammelt werden.
Beim Ausfahren der bestellten Arzneimittel leert der Fahrer zunächst den digitalen Briefkasten, kontrolliert die Rezepte auf Echtheit und liefert die Arzneimittel aus. Nach Angaben des LAV kann die Aufgabe vom „pharmazeutischen Personal“ der Apotheke erledigt werden. Es sei also nicht zwingend, dass der Apotheker persönlich die Rezeptprüfung vornehme. Laut Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) sei die Prüfung durch „pharmazeutisches Personal“ ausreichend, so der LAV.
Der digitale Rezeptbriefkasten des LAV arbeitet in drei Schritten: Zunächst sieht der Patient einen Begrüßungsbildschirm mit dem Label der ihn betreibenden Apotheke. Dann muss er mit einem Druck auf den Touchscreen seine Einwilligung für die digitale Rezeptübermittlung geben. Im zweiten Schritt legt der Patient sein Rezept in den Scannerschlitz ein. Das Rezept wird eingezogen. Der Patient erhält eine Quittung mit einer Bestellnummer. Darauf sind Datum und Uhrzeit der Rezeptabgabe vermerkt.
Gegebenenfalls kann der Patient dann über einen weiteren Klick die Option einer schriftlichen Nachrichtenübermittlung auswählen oder ein Telefonat mit der Apotheke führen. Beide Funktionen können zunächst nur nach der Abgabe des Rezepts ausgewählt werden.
Entwickelt wurde die Technik von der VSA. Das gescannte Rezept gelange zunächst in die Datenhoheit des Rechenzentrums, werde aber getrennt von der Rezeptabrechnung verwaltet und verarbeitet, versichert Geschäftsführer Herbert Wild. Der digitale Briefkasten kann als Rezeptsammelstelle auch von Apotheken betrieben werden, die keine Kunden von VSA sind. Allerdings müssen sie zum Betrieb die CallmyApo-App der Noventi Gruppe nutzen.
Beide Geräte sollen im Regelbetrieb wegen der empfindlichen Technik vorwiegend in Innenräumen aufgestellt werden. Dafür eignen sich beispielsweise Vorräume von Behörden und Verwaltungen, etwa Bürgermeisterämter, die durchgehend geöffnet sind. Auch hierfür müssten noch die Vorschriften angepasst werden.
Schon seit Längerem zeichnet sich ab, dass der Botendienst im Kampf gegen den Versandhandel an Bedeutung gewinnen wird. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte dem Thema in seinem Entwurf zum Rx-Versandverbot einen Schwerpunkt gewidmet. Doch der Markt entwickelt sich weiter, neben Vorbestell- und Lieferdiensten wie Amazon Prime oder Linda 24/7 könnten in dem Zusammenhang auch Rezeptsammelstellen eine neue Bedeutung bekommen. Zumal eigentlich nicht zu erklären ist, warum Versandhändler überall Pick-up-Stellen installieren dürfen, Apotheken für die Sammlung von Rezepten aber eine Genehmigung brauchen. Die Kammern drücken jedenfalls schon einmal ein Auge zu, wenn Kollegen die Grenzen ausloten.
APOTHEKE ADHOC Debatte