„Wir haben uns zu viel Bürokratie gegönnt“ Tobias Lau, 23.08.2019 15:09 Uhr
Nach dem Scheitern des Rx-Versandverbotes steht muss die Apothekerschaft nach vorn schauen und versuchen, die Aufgaben der Zukunft zu meistern, fordern die neue Berliner Kammerpräsidentin Dr. Kerstin Kemmritz und ihr Vize Dr. Björn Wagner. Im Doppelinterview erklären sie, wohin die politische Reise geht und warum Friedemann Schmidt gar nicht so viel falsch gemacht hat, wie viele meinen.
ADHOC: Braucht die ABDA eine Strukturreform?
KEMMRITZ: Sie braucht auf jeden Fall eine Strukturanalyse, um deutlich zu machen, wo sie gut ist und worauf sie sich konzentrieren muss.
ADHOC: Wie würden Sie Friedemann Schmidts Arbeit bewerten?
KEMMRITZ: Seine Arbeit hat viele positive Aspekte, die stärker herauskommen müssten. Kommunikation ist eigentlich eine seiner Stärken, aber man sieht und hört ihn viel zu selten kommunizieren. Und seine Entscheidungen trifft er ja nicht alleine, da sind etliche andere daran beteiligt. Dass die Arbeit insgesamt in den letzten drei Jahren nicht gerade massiv erfolgreich war, da sind sich die meisten einig.
WAGNER: Ich finde schon, dass Friedemann Schmidt vor allem bei der Interaktion mit Jens Spahn einen guten Job gemacht hat. Nach dem DAT 2018 hat er es gut auf die Reihe gekriegt, im eigenen Haus für Ruhe zu sorgen und gleichzeitig mit dem politischen Akteur Jens Spahn – der ja wirklich sehr aktiv ist – eine Kommunikationsplattform zu schaffen, dank derer im jetzigen Gesetz seine Spuren erkennbar sind. Man kann dieses Gesetz ja sehen wie man will, aber er hat da bei den gegebenen Freiheitsgraden schon eine Menge rausgeholt.
ADHOC: Glauben Sie, dass der Rx-Versand das eigentliche Problem der Branche ist? Manche sagen ja, dass 1,4 Prozent Marktanteil nicht ursächlich für das Apothekensterben sein können.
KEMMRITZ: Ich denke auch, der Versandhandel ist ein Problem, aber er ist nicht das einzige Problem. Ich habe den Eindruck, dass wir die Arbeit an unserer Zukunftsperspektive verschlafen haben. Wir haben uns so viel Bürokratie gegönnt, dass das vor allem kleineren Apotheken über den Kopf wächst – Datenschutzgrundverordnung, Securpharm, Rahmenvertrag, Hilfsmittelpräqualifizierung, dann musst du noch einen Brandschutzhelfer haben und so weiter. Da kommt jedes Jahr massig on top und dazu werden wir im Gegensatz zu anderen Betrieben noch durch Revisionen kontrolliert. Das halten viele nicht aus. Auch die Anerkennung des Berufs wird immer schwieriger. Wenn wir Tag für Tag als bessere Abgaberoboter vor uns hinarbeiten und immer weniger entscheiden dürfen, dann nimmt man uns auch immer weniger als Naturwissenschaftler wahr. Das sieht man ja auch bei der Umsetzung des neuen Rahmenvertrags: Die Software ist so programmiert, dass das letztendlich jeder Idiot machen könnte. Das lässt uns ziemlich schlecht dastehen.
ADHOC: Glauben Sie, Jens Spahn hat versucht, mit Themen wie dem Impfrecht beim DAT 2018 bewusst vom Rx-Versandverbot abzulenken?
KEMMRITZ: Nein, ich habe ihn ja schon bei verschiedensten Veranstaltungen persönlich erlebt und ich muss sagen, ich halte ihn für ziemlich authentisch. In meinen Augen bettelt er ja fast darum, dass von uns mal Vorschläge kommen. Von uns kommt aber nichts. Deshalb hat er dann beispielsweise das Impfrecht eingebracht, weil wir einfach nichts in petto hatten. Das heißt nicht, dass wir nichts können. Es gibt ja Konzepte wie die pharmazeutischen Dienstleistungen, die sind noch unter Klaus Stürzbecher entstanden, der Kammerpräsident bis 1999 war. Die Sachen liegen in den Schubladen, wir holen sie nur nicht raus. Dazu müssen wir aber auch die Basis in den Apotheken bereiten, den Alltag entstauben und erst mal Platz schaffen, also vor allem Zeit für neue Aufgaben.
ADHOC: Wird das E-Rezept die Arbeit einfacher machen?
KEMMRITZ: Das E-Rezept kann das vielleicht irgendwann leisten, aber für die Anfangsphase erwarte ich da eine mittlere Katastrophe. Da müssen wir jetzt mal das Ohr dranhalten und die Kollegen fragen, wo der Schuh drückt und wo wir unterstützen können, dass es weniger Belastungen für unseren Berufsstand gibt. Da brauchen wir aber wieder die Vernetzung. Es gibt in jeder Partei Mittelstandsvereinigungen. Das müssen wir Apotheker nicht alleine machen, da geht es jedem Handwerksbetrieb wie uns. Wir müssen die Scheuklappen ablegen und uns alle darauf einstellen, dass der Verdienst an der Packung nicht mehr so bleibt, wie er ist. Eine Packung auswerfen kann auch ein Kommissionierer, unsere Stärke ist unser Wissen, das sind die Dienstleistungen. Da müssen wir etwas Neues aufbauen, und zwar ziemlich zügig.
ADHOC: Sie sagten, Sie erwarten beim E-Rezept eine mittlere Katastrophe. Was denken Sie, was da passiert?
KEMMRITZ: Wir müssen sicherstellen, dass das Makeln auf jeden Fall verboten bleibt. Das ist verständlicherweise die größte Sorge, denn wir können mit fremdkapitalgesteuerten Strukturen im Ausland überhaupt nicht konkurrieren. Und dann gibt es noch die operative Ebene. Was passiert bei uns in den Apotheken, wenn das E-Rezept kommt? Sind wir darauf vorbereitet, was müssen wir investieren, wie wird es unseren Arbeitsalltag verändern? Wie ist die Kommunikation mit dem Arzt, wie haben wir die Möglichkeit zu interagieren? Deshalb müssen wir da jetzt dabei sein. Da kann ich nicht jetzt erst Klicks sammeln, um eine App zu entwickeln. Und ich hoffe, dass der DAV da auch schon weiter ist. Denn Spahn drückt beim Tempo auf die Tube. Irgendwann heißt es dann: „Der Stichtag ist da, welche funktionierenden E-Rezept-Modelle haben wir denn? DocMorris hat eins, die Techniker Krankenkasse hat eins, die und die haben eins – ach, der DAV wird in der nächsten Woche beginnen…“