Schließungswelle rollt ungebremst

„Wir befinden uns im Sinkflug“

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Berlin -

Die Zahl der Apotheken sinkt weiter, mittlerweile ist vom „größte Apothekensterben in der Geschichte der Bundesrepublik“ die Rede. Die Abda rechnet für das Gesamtjahr mit 600 Schließungen, Zahlen aus den zwei Kammerbezirken für die ersten neun Monate bestätigen die Prognose.

Beispiel Hessen: Ende September gab es demnach landesweit 1344 Apotheken, das sind 45 weniger als Ende 2022 und 14 Geschäfte weniger als Ende Juni. „Das größte Apothekensterben in der Geschichte der Bundesrepublik setzt sich ungebremst fort“, sagte ein Sprecher des Hessischen Apothekerverbandes (HAV). „Zum 31. Dezember 2021 zählten wir landesweit noch 1412 Apotheken.“ Die schwindenden Zahlen gefährdeten die gesetzlich verankerte wohnortnahe Arzneimittelversorgung: „Apotheken schließen derzeit in Wiesbaden, Frankfurt und Offenbach genauso wie im ländlichen Raum“, erläuterte der Sprecher.

Auch im Saarland könnte der Weg zur nächsten Apotheke für Patienten demnächst weiter werden. Denn die Zahl der Apotheken geht hier ebenfalls weiter zurück: „Wir befinden uns im Sinkflug“, sagte die Vorsitzende des saarländischen Apothekervereins (SAV), Susanne Koch. Der Trend habe sich in diesem Jahr „definitiv beschleunigt“. Sie hoffe, dass zum Jahresende die Zahl der Apotheken „nicht unter 260 rutscht“.

In den 2000er-Jahren habe es noch 365 Apotheken im Saarland gegeben. Anfang dieses Jahres seien es noch 273 gewesen, sagte Koch. „Wir sind in diesem Jahr auf jeden Fall zweistellig im Rückgang.“ Traditionell hörten Apotheken zum Jahresende auf. „Es haben aber schon mehrere zum September oder Oktober hin geschlossen, weil sich kein Nachfolger gefunden hat.“ Zwischen Januar und Mai hatten bereits vier Apotheken dicht gemacht.

Kein Geld, kein Nachwuchs

Ein Grund sei die „Überalterung“ der Apothekeninhaber: Mehr als 40 Prozent seien älter als 60 Jahre. „Wir haben auch mehrere darunter, die jenseits der 70 sind“, sagte Koch. Ohne Nachfolger werden sie „irgendwann zuschließen“.

Für junge Pharmazeuten sei es derzeit schlichtweg unattraktiv, eine Apotheke zu eröffnen oder zu übernehmen, sagte auch der HAV-Sprecher. Denn die Vergütung sei seit 20 Jahren quasi unverändert, trotz Inflation, steigender Tariflöhne, höherer Mietpreise und gestiegener Energiekosten. „Hinzu kommen Kassenabschläge, zunehmende Bürokratie, Fachkräftemangel, enormer Mehraufwand aufgrund der katastrophalen Lieferengpässe und anderes mehr“.

Gefordert wird, die seit 2012 nicht erhöhte fixe Pauschale von 8,35 auf 12 Euro anzuheben. „Und die 8,35 Euro haben wir nicht im Geldbeutel, da gehen noch mal mehr als 2 Euro als Abschlag an die Krankenkassen“, sagte Koch. „So kann es nicht weitergehen. Wir müssen die Politik mit Nachdruck auf diese schwierige Lage hinweisen.“

Anhaltende Lieferengpässe

Die Engpässe bei Medikamenten machen vielen Apotheken zu schaffen – selbst wenn sie Lösungen finden, lohnt sich das laut Koch kaum. „Wir bekommen 60 Cent brutto pro Medikament in dem Fall, in dem wir auf Rezept eine Alternative abgeben, nachdem wir Rücksprache mit dem Arzt gehalten und das dokumentiert haben“, sagte sie. „60 Cent für diesen Verwaltungsaufwand und diese Kraftanstrengung ist schon eine Farce.“ Und: Wenn keine Alternative gefunden wird, die Fälle gebe es ja auch, dann gibt es nichts.

Auswirkungen für Patienten

Der Apotheken-Rückgang hat Folgen: Vor allem zu Zeiten des Apotheken-Notdienstes nachts und an Wochenenden müssten Versicherte dann wohl längere Fahrten zu Apotheken einkalkulieren, sagte die Vorsitzende. Vor allem in ländlichen Gebieten könnten es auch schon mal 30 bis 40 Kilometer werden. Im Notdienst seien es „um die zehn bis zwölf Apotheken, die das komplette Saarland zu versorgen haben“. Es werde versucht, die Notdienste „möglichst einheitlich zu verteilen“ – was aber angesichts der sinkenden Zahl von Apotheken zunehmend schwierig werde.

Forderungen

Die Apotheken fordern unter anderem Bürokratieabbau, die finanzielle Anerkennung der Mehrarbeit durch Lieferengpässe und eine Anhebung des Honorars. Koch sagte mit Blick auf die Engpässe, bei Notdiensten sei eine engere Zusammenarbeit mit Ärzten wünschenswert. „Es wäre gut, wenn man wüsste, welchen Arzt man erreichen kann, damit man nach Alternativen suchen kann, um den Patienten zu versorgen.“

Proteste

Nach mehreren Protestaktionen ist laut Koch am 15. November ein weiterer Protesttag geplant, an dem dann die Apotheken im Saarland und in Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen geschlossen blieben. Eine Kundgebung solle in Dortmund stattfinden. Zudem gebe es eine Initiative, „unterschiedliche Player im Gesundheitswesen“ zu einem Aktionsbündnis zusammenzubringen. Neben Ärzten und Apothekern gehörten auch die Rettungsdienste dazu. „Wir müssen an einen Tisch und gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagte Koch.

Auch der Sprecher aus Hesesen kündigt zum Protesttag flächendeckende Schließungen an. „Die Bundesregierung muss jetzt handeln und die öffentlichen Apotheken vor Ort nachhaltig stärken.“

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