Tag 2 im Prozess gegen den mutmaßlichen Pfusch-Apotheker aus Bottrop. Der ganze Berufsstand ist entsetzt. Fassungslosigkeit und Unglauben dominieren die Gespräche in diesen Tagen. Und die schwindende Hoffnung, dass sich alles vielleicht doch noch aufklären wird. Martin Beutling aus Oberhausen sagt: „Das konnte sich kein Apotheker vorstellen.“
Beutling kennt S. vom Studium und von verschiedenen Fortbildungen her und hat ihn gelegentlich auf Geburtstagsfesten von Kollegen getroffen. Von der Verhaftung erfuhr der Inhaber der Glocken-Apotheke von Bekannten aus Bottrop. Sein erster Gedanke: „Das kann nicht wahr sein!“ Er sagt: „Ich bin von den Taten schockiert. Was Peter S. vorgeworfen wird, ist in Apothekerkreisen so schier undenkbar und unfassbar, dass bislang fast keiner glauben kann, dass es so wie dargestellt auch passiert ist. Alle suchen nach Erklärungen oder Hintertürchen, weil sich keiner an den Gedanken herantraut, dass es wahr sein könnte.“
Weil es im Umkehrschluss bedeuten würde: Hier hat ein Apotheker aus reiner Gier Menschen gefährdet. Besonders das Schweigen des Angeklagten sei verstörend und irritiere viele Kollegen. „Wenn ich unschuldig bin, stelle ich mich sofort hin und sage, das und das ist passiert und das und das nicht. Das Schweigen geht vielen sehr nahe.“
S. galt als wohlhabend und als er seine Millionen-Villa bauen ließ, war das, wie Beutling erzählt, in Bottrop Stadtgespräch. 1000 Quadratmeter Wohnfläche, eine Rutsche vom Badezimmer im ersten Stock in den Pool im Erdgeschoss (Kostenpunkt: 500.000 Euro). „Ich gönne jedem alles“, sagt Beutling, „aber die Rutsche ist aus meiner Sicht sozialer Selbstmord. Der Beruf des Apothekers ist sozial. Man bekommt nicht alles entlohnt, was man investiert und das ist auch gut so. Oft redet man eine halbe Stunde mit einem Kunden und verkauft eine Packung Thomapyrin. Aber das ist eben der Job des Apothekers: Man hat soziale Verantwortung. Diese Rutsche beweist das Gegenteil.“ Sie ist nur ein kleines Puzzlestück auf der Suche nach dem Warum im Fall Peter S. Aber sie sagt viel aus über einen Menschen, der viele Kollegen in Fassungslosigkeit gestürzt hat.
Es ist ein einmaliger Fall. „Natürlich gibt es auch unter Apothekern schwarze Schafe“, sagt Beutling, „aber niemals wurden bei Betrugsfällen Patienten geschädigt, ihre Gesundheit gefährdet oder gar ihr Leben aufs Spiel gesetzt.“ Dieser Umstand sei es, der den Fall so unfassbar mache. „Niemals hätte ein Apotheker daran gedacht, Rezepturen zum Nachteil der Patienten zu manipulieren, um sich daran zu bereichern.“
Schärfere Kontrollen, wie sie jetzt gefordert würden, hätten Apotheker vor zwei Jahren noch entgeistert zurückgewiesen. „Man hätte den Gedanken einer absichtlichen Manipulation schlicht für absurd gehalten.“ Demnach wäre es auch nie einem Apotheker in den Sinn gekommen, dass man Zytostatika-Rezepturen staatlich kontrollieren sollte.
In den vergangenen Monaten hat Beutling mit vielen seiner Kollegen über den Zyto-Skandal gesprochen. „Wir sind alle wie vor den Kopf gestoßen“, sagt er. Alle suchen nach Erklärungen. „Das kann nicht sein, haben viele gedacht, da muss es einen Fehler geben.“ Der aktive Kollege aus Bottrop, der viel gespendet hat, ausgerechnet der sollte so etwas getan haben?
Auch über den Umstand, dass die Apotheke nicht geschlossen wurde, rätselten viele. „Ich kann es mir nicht erklären. Es gibt in Bottrop eine hohe Apothekendichte. Bei einer Schließung wäre die Versorgung nicht zusammengebrochen“, sagt Beutling. „Oft werden Apotheken wegen einer fehlenden Rampe geschlossen...“
Die Alte Apotheke wird nun von der Mutter von Peter S. betrieben, genauso wie die Grandarc-Apotheke in Düsseldorf. „Sie ist nach wie vor gut besucht. Viele Kunden meinen, dass sie in neuem Besitz ist, viele wissen nicht, dass sie weiterhin der Familie gehört.“ Allerdings habe die Mutter mit den Taten ihres Sohnes nichts zu tun: „Es ist normal, dass eine Familie versucht, zu retten, was zu retten ist.“
Ein weiterer Punkt, der viele fassungslos mache, sei das zu erwartende Strafmaß. „Geht man von der Höchststrafe von zehn Jahren aus und sitzt er sie zu zwei Dritteln ab, ist er bald wieder ein freier Mann.“ Bei allen offenen Fragen, Theorien und Argumenten, so Beutling, gelte für den Angeklagten bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung. Auch wenn es vielen Apothekern schwer falle, daran festzuhalten. Jeden Tag tauchen neue Details des Zyto-Skandals auf. Neue Details, die fassungslos machen. Und es gibt nur einen Mann, der die Antworten weiß.
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