Mit Ratiopharm hat ein Platzhirsch im Erkältungsmarkt seine Winterbevorratung abgesagt. Ein Blick in die ursprünglichen Bestelllisten zeigt, wie massiv das Problem im Herbst und Winter werden könnte.
Bereits Anfang April hatte Ratiopharm mit der Winterbevorratung begonnen. Apotheken konnten wie schon in den Jahren zuvor bei ihrem Außendienst Aufträge über die wichtigsten Erkältungsprodukte abgeben. Insgesamt umfasste die Liste 73 Positionen, vom Hustensaft über Schmerzmittel wie ASS und Ibuprofen bis hin zu Nasensprays und Immunpräparaten. Das Aktionsangebot lief bis Ende Mai. „Bitte planen Sie Ihren Bedarf bis Ende Dezember“, hieß es.
Ausgeliefert werden sollte ab zwei Wochen nach Bestelleingang per Überweiser über den Großhandel. Spätestens bis Ende Juni sollten die Apotheken ihre Ware erhalten. Nur für einige Produkte wurde von vornherein Nachlieferungen angekündigt, darunter die Fiebersäfte mit Ibuprofen und Paracetamol sowie die Paracetamol-Zäpfchen und Brausetabletten.
Genau für diese wichtigen Präparate hat der Konzern jetzt die Bevorratung abgesagt und sämtliche Aufträge gestrichen. Den Anfang machte das Nasenspray für Kinder, das eigentlich innerhalb der genannten Frist geliefert werden sollte. Doch wenige Tage nach dem zugesagten Liefertermin kam die Absage: Bei dem abschwellenden Nasenspray mit dem Wirkstoff Xylometazolin gebe es „aktuell Lieferengpässe, die auf einen unerwarteten und stark erhöhten Bedarf im Markt zurückzuführen sind“, hieß es. „Zudem verstärken Lieferverzögerungen unserer Wirkstoffhersteller diese Entwicklung.“
Knapp zwei Wochen später folgten die Fiebersäfte, -zäpfchen und -brausetabletten – für die der Konzern die Nachlieferung gerade noch einmal zugesagt hatte. Bereits ausgelöste Bestellungen könnten nicht bedient werden und würden gelöscht, hieß es diesmal. Die Apotheken wurden aufgefordert, von Nachfragen beim Außendienst abzusehen. Bis auf Weiteres könnten nur kleinere Kontingente für den täglichen Bedarf an den Großhandel geliefert werden.
Mitten in der Urlaubszeit sind viele Apotheken nun in heller Aufruhr: „Wir horten, was wir kriegen können“, sagt eine Apothekenmitarbeiterin aus Niedersachsen. Gerade habe sie noch Paracetamol-Zäpfchen von Stada und Aliud ergattert, Säfte gebe es aber überhaupt nicht mehr.
Eine PKA aus Berlin wollte wenigstens Nasenduo für Kinder bestellen, doch auch dieses Produkt ist derzeit nicht lieferbar. Obwohl das Nasenspray im Rahmen der Winterbevorratung eigentlich bis Ende Juni geliefert werden sollte, fehlt auch hier noch der Wareneingang. Dasselbe gilt übrigens für den Tussamag-Hustensaft.
Viele Inhaber:innen treibt auch die Sorge um, zu welchen Konditionen sie einkaufen. Bei der Winterbevorratung gab es nicht nur Valuta bis Ende des Jahres, sondern auch eine Rabattstaffel: Wer über alle Produkte hinweg mindestens 300 Packungen bestellte, bekam 22 Prozent zusätzlich zum Großhandelsrabatt. Bei 1200 Packungen lag der Vorteil sogar bei 28 Prozent.
Da Ratiopharm die Vorbestellung nur für einzelne Produkte gestrichen hat, sind ähnliche Nachlässe bei der Konkurrenz wohl nicht zu erzielen. Abgesehen davon ist die Bevorratung bei den anderen Herstellern längst abgelaufen. Die Konditionen sind damit für viele Apotheken am Ende wohl deutlich schlechter als ursprünglich kalkuliert – außer man kauft günstigere Marken ein und verkauft zu den höheren Preisen. Unklar ist noch, ob Ratiopharm an der Mengenstaffel festhält, wenn gleichzeitig wichtige Schnelldreher gestrichen wurden.
Bereits jetzt gibt es aber nicht nur bei den Fiebersäften Engpässe auch bei anderen Herstellern. Die Nasentropfen von Imidin etwa sind derzeit beim Großhandel zumindest teilweise nicht zu bekommen. Gleichzeitig verzeichnen Apotheken eine deutlich höhere Nachfrage nach den Erkältungsprodukten. Geht die Erkältungssaison erst einmal richtig los, könnten sich die Engpässe noch weiter verschärfen.
82 Prozent der Apotheken bevorraten sich laut der im Februar veröffentlichten aposcope-Studie „So bevorraten und bestellen Apotheken 2022“ regelmäßig im Bereich der Erkältungsmittel. Allerdings gaben 53 Prozent an, dass sie aufgrund der geringere Nachfrage seit Beginn der Pandemie die Menge reduziert hätten. Für 59 Prozent ist der Außendienst der Hersteller hier der wichtigste Bestellweg, 54 Prozent hatten demnach bereits im Frühjahr die Teilnahme an der nächsten Winterbevorratung geplant.
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