Wenn die KI beim Großhandel bestellt Lothar Klein, 23.08.2019 10:15 Uhr
Wenn über Digitalisierung in Apotheken diskutiert wird, geht es meistens ums E-Rezept, Medikationsplan und die Warenwirtschaft. In der Apotheke am Borberg in Kirchberg ist Inhaberin Sindy Huster schon einen Schritt weiter. Mit ihrem Lebensgefährten Marcus Krause, ehemals Projektmanager im weltweiten Digitalisierungsprogramm von Siemens Healthineers, hat sie viele Kernprozesse und Arbeitsplätze digitalisiert. Nicht nur das: Mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI) sollen Bestellungen optimiert werden. Künftig soll sie auch Krankheitsverläufe der Patienten frühzeitig vorhersagen, um so eine bessere Versorgung planen zu können.
„Bezüglich der Digitalisierung in Apotheken liest man zahlreiche Artikel, bei denen man immer den Eindruck hat, die Apotheken seien der Zeit hinterher. Auch wenn die Entwicklung im Apothekenbereich langsamer verläuft als in anderen Branchen, wollen wir diesem Vorurteil ein bisschen den Wind aus den Segeln nehmen“, berichtet Huster. Seit zwei Jahren befasst sie sich mit ihrem Lebensgefährten intensiv mit dem Thema Digitalisierung. In dieser Zeit wurden die Prozesse in den beiden Apotheken so umgestellt, dass sie mit dem vorhandenen Personal ausgekommen ist und trotzdem noch Zeit hinzugewonnen hat, „um die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen und uns neuen Herausforderungen zu stellen“.
„Dies bedarf natürlich eines hohen Grads an Digitalisierung und damit auch verbundener Automatisierung von Prozessen. So könnten wir im Büro heute schon papierlos arbeiten, was natürlich nicht immer sinnvoll ist. Bei jeder Umstellung haben wir besonders auf den Nutzen geachtet und digitalisieren nur, wo es auch wirklich Sinn macht – ob jetzt oder für die Zukunft. Den Post‐It am Bildschirm als Erinnerung werden wir nicht wegdigitalisieren, obgleich wir auch digitale To‐do-Listen haben“, so Krause.
Die Apotheke am Borberg und die Apotheke am Sandberg arbeiten beispielsweise komplett digital mit dem Steuerbüro zusammen. Es gibt eine automatische Rechnungserkennung, Speicherung und Archivierung in einem GOBD‐konformen Dokumentenmanagementsystem: Eingehende Rechnungen werden gescannt und automatisch weiterverarbeitet. Das System erkennt, ob und wann die Rechnung bezahlt werden muss, archiviert diese mit den vorgeschriebenen Fristen. Auch andere Posteingänge werden, wenn sinnvoll gescannt, und dann digital weiterverarbeitet. „Natürlich sind diese Prozesse nicht 100 Prozent fehlerfrei und es bedarf noch teilweise manueller Überprüfungsschritte, aber auch hier arbeiten wir mit lernenden Algorithmen und verbessern uns stetig“, berichtet Krause.
„Selbstverständlich haben wir auch bei Themen wie Stundenerfassung, Urlaubsanträge und Weiterbildungsgenehmigungen einen Digitalisierungsgrad erreicht, der uns erste Erfolge im Umgang, bei der Fehlervermeidung und der Effizienz spüren lässt“, so Huster. Das zahlt sich nach und nach im Apothekenalltag aus: Der gemeinsame und webbasierte Urlaubskalender erspart viele Diskussion bei den Mitarbeitern über die Urlaubsplanung, gerade bei Personal, das apothekenübergreifend arbeitet. Jeder weiß sofort, wann ein Urlaub möglich ist, kann seine Zeiten selbst eintragen, doppelte Abwesenheiten werden sofort erkannt. „Das vermeidet viel Unmut in der Belegschaft“, sagte Huster, die 14 Mitarbeiter beschäftigt.
Als weiteres Beispiel für seine Digitalisierungsoffensive führt Krause den Botendienst mit iPad an. Dieser garantiert auch von unterwegs die Anbindung an das Warenwirtschaftssystem, Kundenfeedback, Auftragsbearbeitung und automatischer Routenoptimierung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Apotheken auf dem papierlosen Weg. So kann man zu jederzeit sehen, wo sich der Botendienst gerade aufhält und kurzfristig eingehende Bestellungen noch einbauen. Krause: „Der Fahrweg wird natürlich sofort automatisch optimiert.“
Aber die beiden Apotheken gehen noch einen Schritt weiter: Als Service bieten beide Ihren Kunden auch umfangreiche Dienstleistungen an, wie Lungenaltermessung, Venenfunktionsmessung, Gefäßaltermessung, Haut‐ und Blutanalysen, Vitamin‐D-Tests und vieles mehr. „Stimmt der Patient zu, nutzen wir auch diese Daten, natürlich anonymisiert, und versuchen mit Algorithmen Muster zu erkennen“, berichtet Krause: „Damit könnten sich zum Beispiel schon im Sommer Krankheitsverläufe für den Winter vorhersagen lassen.“
Zusammen mit den Erfahrungsdaten der Warenwirtschaft sei es den Apotheken so möglich, ihre Bestellungen zu optimieren: „Wir können treffsicherer einkaufen, das Lager optimieren, die Warenverfügbarkeit optimieren und natürlich auch Kosten sparen“, so Krause: „Da wir hier an unsere Grenzen stoßen, sind wir aktuell auch mit Universitäten und Fachhochschulen in Kontakt, um uns über Kooperationen Unterstützung im Bereich Künstlicher Intelligenz zu holen.“
Huster steht den im Apothekengesetz vorgesehenen neuen pharmazeutischen Dienstleistungen offen gegenüber: „Wir werden alles machen, was wir können und was wir dürfen. Damit haben wir doch die Chance, die Kunden vom Internet zurückzugewinnen. Das ist die Stärke der Vor-Ort-Apotheken.“
Aber eines ist beim Digitalisierungsprozess in der Apotheke am Borberg besonders wichtig: „Dafür benötigt es natürlich auch ein Team, welches diese Umstellungen möglich macht, sowie einen Kulturwandel im Unternehmen. Darauf sind wir sehr stolz, was nicht zuletzt auch durch das Feedback der Mitarbeiter zurückgegeben wird“, so Huster. Dass dies ein große Umstellung bedeutet und auch noch bedeuten wird, sei allen Mitarbeiter klar, aber auch nicht abwendbar. „So können wir jetzt schon sagen, dass wir uns auf E-Rezept, Dienstleistungen in der Apotheke vorbereitet haben und somit diesen Themen nicht mit Angst gegenüberstehen, sondern uns darauf freuen.“