Hat AvP noch Geld, wie steht es um die Fremdgeldkonten, wie lange kann der Insolvenzverwalter die Abrechnungen der Apotheken einfrieren? Diese Fragen beschäftigen derzeit tausende Apotheken, die beim privaten Rechenzentrum Kunden waren. Zahlreiche Kollegen haben sich schon nach einem neuen Anbieter umgesehen. Rechtsanwalt Peter Haupt sieht allerdings die Gefahr, dass AvP noch Anspruch auf die Rezepte aus dem September erheben könnte. Im Kern geht es um die Frage, wie die Verträge der Apotheken mit dem Rechenzentrum auszulegen sind.
Haupt ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und vertritt mehrere Apotheker, die Kunden bei AvP waren. Er hat sich deshalb intensiv mit den Verträgen befasst. Aus seiner Sicht gibt es aktuell zwei große Risiken: Da die Apotheken laut Vertrag ihre bisherigen und künftigen Forderungen gegenüber den Krankenkassen an das Rechenzentrum abgetreten haben, könnte der Insolvenzverwalter aus seiner Sicht versuchen, alle in den vergangenen Wochen bereits eingelösten, aber noch nicht abgerechneten Rezepte abholen zu lassen. Er rät Apotheken daher dringend, dieses laufende Risiko zum Beispiel durch Anfechtung und fristlose Kündigung zu unterbrechen. Ob das derzeit möglich ist und genügen wird, um die Vergütungen aus September zu retten, wird sich laut Haupt allerdings erst in Zukunft zeigen. Dass die Kassen im Abstand von wenigen Tagen Abschläge an die Rechenzentren auszahlen, macht die Sache in diesem Fall nicht einfacher.
Denn im schlimmsten Fall – und hier sieht Haupt das zweite Risiko – könnten die Gelder der Apotheke auf dem Fremdgeldkonto zur Insolvenzmasse gerechnet werden. Entscheidend ist §6 der AvP-Verträge, in denen einerseits die Buchung der Abrechnungsbeträge auf sogenannten Fremdgeldkonten geregelt und damit eine sachfremde Verwendung ausgeschlossen ist. Andererseits habe AvP dank der Abtretung gegenüber den Kassen nicht „auf fremde Rechnung“ abgerechnet, sondern in eigenem Namen. „Damit verliert das Fremdgeldkonto im Grunde seinen Zweck – und die Apotheken ihren Rang als vorrangiger Gläubiger.“
Laut Haupt ging es AvP nicht darum, die Abrechnungsgelder zu vereinnahmen, um diese an die Apotheken weiterzuleiten. Vielmehr dürfte es wegen der Abtretung um den Einzug eigener Forderungen gegangen sein – also nicht um Fremdgeld. Das Rechenzentrum dürfte sich auf den Standpunkt gestellt haben, dass die Dienstleistung auch die Vorfinanzierung betraf – und mit dem abgetretenen Betrag hatte man es eben einfach leichter bei den Banken.
Seiner Meinung nach gibt es auch gute Argumente für eine Auslegung zugunsten der Apotheken – auf keinen Fall aber sollte man sich aber darauf einstellen, dass es zu einer schnellen Lösung im Sinne einer Auszahlung kommt. „Der Insolvenzverwalter wird die Zustände bei AvP gründlich prüfen und womöglich erst bei Abschluss des Insolvenzverfahrens Auszahlungen an die Gläubiger freigeben.“ Immerhin sieht Haupt bei der zuständigen Kanzlei White & Case genügend Manpower, um in der Sache schneller als üblich voranzukommen.
Haupt ist sich sicher, dass der Sonderbeauftragte der Bafin den Insolvenzantrag nicht wegen Überschuldung gestellt hat, sondern wegen Zahlungsunfähigkeit mit Blick auf einen Zeitraum von drei Wochen. In der Kürze der Zeit dürfte eine seriöse Prüfung der Überschuldung und der Möglichkeit, das Geschäft der Gesellschaft fortzuführen, kaum möglich gewesen sein. Dass der Sonderbeauftragte dabei bereits die Gelder der Apotheken ausgeklammert und nur die übrigen Konten und Gläubiger in den Blick genommen hat, sei zwar möglich. Dennoch müsse man sich darüber im Klaren sein, dass der Insolvenzverwalter und die Banken ein Interesse daran hätten, alles der Insolvenzmasse hinzuzurechnen. Die Apotheken seien voraussichtlich eben nicht die einzigen Gläubiger, die auf Millionenbeträge warteten – die finanzierenden Banken seien vermutlich in ähnlichem Umfang betroffen.
Was dem Rechtsanwalt sofort ins Auge gesprungen ist, als er sich mit der Sache befasste, war das „Klumpenrisiko“, das die Apotheken hier haben: „Apotheken können ihre Abrechnung nicht diversifizieren, weil das System der Krankenkassen das nicht zulässt.“
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