Gerade in stressigen Zeiten ist ein bisschen „Nervennahrung“ in der Apotheke sehr willkommen. Doch die große Kiste Haribo darf nicht als Zugabe eines Herstellers mitgeliefert werden, entschied das Oberlandesgericht Hamm (OLG). Denn mit Weingummi und Lakritz ließe sich pharmazeutisches Personal unzulässig beeinflussen.
Die Wettbewerbszentrale hatte den Hersteller Dr. Ausbüttel aus Dortmund abgemahnt und verklagt. Der vertreibt unter der Marke Draco unter anderem Produkte zur Wundversorgung. Auf einem Flyer für Apotheken samt Bestellformular wurden Fixiermull, Kalt-/Warmkompressen und Fixierbinden beworben. Ab einem Bestellwert von 30 Euro netto gab es eine Box „Haribo Color-Rado“ gratis dazu, beziehungsweise „Haribo Kisscola“ oder eine ganze Box „Maoam“. Aus Sicht der Wettbewerbszentrale verstoßen die Gratiszugaben gegen § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Die Wertgrenze für geringwertige Kleinigkeiten liege bei einem Euro, die Haribo-Boxen kosteten aber rund 5 Euro.
In erster Instanz hatte das Landgericht Dortmund der Klage stattgegeben: Das HWG finde auch bei Medizinprodukten Anwendung, es liege auch kein Ausnahmefall vor. Von einer „individuellen Beeinflussbarkeit“ sei schon deshalb auszugehen, weil die Gratiszugabe im Verhältnis zum Mindestbestellwert einen durchaus erheblichen Wertanteil aufweise, nämlich rund 16 Prozent. Und Werbegaben für Angehörige der Heilberufe seien auch nur dann zulässig, wenn sie zur Verwendung in der ärztlichen, tierärztlichen oder pharmazeutischen Praxis bestimmt sind. „Dies lässt sich für Süßigkeiten nicht feststellen.“
Dr. Ausbüttel war gegen die Entscheidung in Berufung gegangen. Aus Sicht des Herstellers handelt es sich bei der Süßigkeitenbox um eine geringwertige Kleinigkeit. Diese sei ersichtlich nicht geeignet, die unternehmerischen Entscheidungen eines Apothekers zu beeinflussen. Zu beachten sei außerdem, dass es nicht um Arzneimittel, sondern um Medizinprodukte gehe. Und: Weingummi und Lakritz seien gar nicht für das pharmazeutische Personal gedacht, sondern zur Abgabe als kleine Aufmerksamkeit an die Kunden.
Dazu hatte das Landgericht in der Vorinstanz sehr schön ausgeführt, dass die Süßigkeiten auch vom Apotheker „privat eingesetzt“ werden könnten. „Süßigkeiten können zu allen möglichen Zwecken verwendet werden, dass sie auch in der Praxis verwendet werden können, verleiht ihnen keinen besonderen Praxisbezug“, heißt es im Urteil. Dr. Ausbüttel hielt in der Berufung dagegen, dass dies auch für andere Werbemittel wie Pflaster, Taschentücher oder Handwärmer gelte.
Doch die Wettbewerbszentrale bekam auch vor dem OLG Hamm recht. Mit der Zugabe würden eindeutig die Produkte des Herstellers beworben – also keine zulässige Imagewerbung. Unzweifelhaft seien die Boxen eine geldwerte Vergünstigung. „Es ist aus Sicht der angesprochenen Apotheker auch nicht ersichtlich, dass überhaupt eine Werbung gegenüber ihren Kunden bezweckt sein könnte und so deren Interesse gefördert werden könnte.“ Das ist die juristische Formulierung für: Die Apothekenteams essen das doch auf jeden Fall selbst auf. Dr. Ausbüttel hatte diese Unterstellung noch am Anfang der Auseinandersetzung zu umgehen versucht: In der Unterlassungserklärung wurde zugesichert, nur Boxen mit einzeln abgepackten Süßigkeiten zu verschicken, weil sich die Tütchen hygienischer an die Kunden verteilen ließen. Das hatte der Wettbewerbszentrale aber nicht gereicht.
Mit rund 5 Euro liegen die Boxen auch aus Sicht des OLG Hamm eindeutig oberhalb der zulässigen Wertgrenze. Spannend ist dabei, dass die Richter hier nicht zwischen Werbung gegenüber Verbrauchern und Fachkreisen unterschieden. Das Gericht bemerkt zu Barrabatten: „Nach der Idealvorstellung des Gesetzgebers gibt der Apotheker – gezwungen durch den Wettbewerb – seinen Rabattvorteil (jedenfalls zum erheblichen Teil) an den Verbraucher weiter.“ Der Apotheker habe dabei nie das Gefühl, sich gegenüber dem Geschäftspartner „dankbar erweisen zu müssen“. Das sei bei einer Werbegabe selbst geringer Werte anders zu beurteilen.
Nicht entscheidend ist laut OLG das Verhältnis zum Wert der bestellten Ware. So hatten andere Gerichte 0,8 Prozent des Bestellwertes als Grenze für Zugaben gesehen. Das OLG Hamm hält nichts davon, denn bei Großbestellungen im Wert von 100.000 Euro seien dann Zugaben von 800 Euro zulässig – und das habe Einfluss auf das Bestellverhalten. Das Werbeverbot im HWG soll laut Gericht „Verkaufsförderungstaktiken“ unterbinden, bei denen Heilberufler ein gesteigertes Interesse an der Verordnung oder Abgabe bestimmter Produkte hätten.
Immerhin räumen die Richter ein, dass ein Apotheker für 5 Euro Weingummi sicher keine Gesundheitsrisiken seiner Patienten in Kauf nehmen würde. Es sei aber letztlich nicht auszuschließen, dass die Produkte bevorzugt abgegeben würden – gegebenenfalls zum Nachteil des Verbrauchers.
Das OLG Hamm hat keine Revision zugelassen. Dr. Ausbüttel könnte gegen diese Entscheidung nur noch Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegen.
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