ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Wegen Rahmenvertrag: Arzt assistiert in Apotheke

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Berlin -

Eigentlich soll der neue Rahmenvertrag die Versorgung erleichtern, doch in vielen Apotheken gibt es seit Wochenbeginn mehr Fragen und Probleme als zuvor. Weil ihn die ständigen Anrufe in seiner Praxis stören, stürzt sich jetzt der erste Arzt selbst in den Handverkauf.

Als die Apothekerin am Montagvormittag anruft, freut er sich noch. Länger nicht gehört. Wie laufen die Geschäfte, wie geht‘s den Kindern? Nachdem man eine Weile zwanglos geplaudert hat, fällt der Begriff „Preisanker“. Es braucht seine Zeit, bis er versteht, dass damit keine Einladung zum Bootsausflug gemeint ist.

Mit dem importrelevanten Markt muss er sich am Dienstag befassen. Was eine Sonder-PZN ist, versteht er am Mittwoch abermals erst nach längerer Erläuterung. Am Donnerstag setzt zum ersten Mal in seinem Leben zögerlich das Aut-idem-Kreuz. Da gesteht ihm seine Sprechstundenhilfe, klammheimlich schon dutzende Rezepte nachgebessert zu haben.

Das Fass zum Überlaufen bringen schließlich die „pharmazeutischen Bedenken“, die die Apothekerin am Freitag als Lösungsvorschlag ins Spiel bringen will. Aufgebracht kündigt er ihr die Freundschaft – und die Zusammenarbeit gleich noch dazu.

Doch dann überlegt er es sich anders: Wenn er künftig ohnehin mehr Zeit am Telefon als im Behandlungszimmer verbringen muss, könnte er die Praxis auch gleich halbtags schließen und persönlich in der Apotheke darüber wachen, dass seine Patienten ihre Rezepte auch einlösen können. Mit Stift und Rezeptblock bewaffnet, stärkt er der PTA im Handverkauf sprichtwörtlich den Rücken: Wenn der Computer Alarm schlägt, tritt er vor und bessert nach. Ordnungsgemäß verordnet zum Zeitpunkt der Abgabe – ein Modell, über das man einmal nachdenken sollte.

Ob es wirklich schon soweit gekommen ist, ist nicht bekannt. In den Foren werden mehr (Protestbriefe an Verband) oder minder (Standleitung zu allen Ärzten) ernst gemeinte Vorschläge gemacht, wie auf die Neuregelungen zu reagieren ist. Der Frust ist überall derselbe: „Heute haben wir Tag 4 und ich bin mehr als genervt“, heißt es bei Facebook. „Ich war heute den ersten Tag nach dem Urlaub auf Arbeit. Ich will nicht mehr...“, „Frechheit, was da von uns verlangt wird!“, „Was ein Irrsinn ...“

Bei Reinhard Rokitta vom Verein Freie Apothekerschaft ist der Unmut so groß, dass er sich via Facebook an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gewendet hat. „Wegen ein paar Cent zur Differenz zum ‚Preisanker‘: minutenlange Rücksprache mit der Arztpraxis, die verständlicherweise davon keine Ahnung hat, Anforderung eines neuen Rezeptes per Versichertem, per Post oder per Botendienst! Das ist doch Wahnsinn und vor allen Dingen Vergeudung von Ressourcen!“

„Stoppt diesen Unsinn“, fordert er und bittet die Politiker, während der Sommerpause in ihrem Wahlkreis mal in eine Apotheke vor Ort zu gehen und sich die Rezeptbearbeitung nach dem neuen Rahmenvertrag erklären zu lassen. „Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass Sie bemerken, dass die Apotheken für diese Arbeit komplett unterbezahlt sind!“

Kein Wunder, dass der Nachwuchs fehlt. Nach einer repräsentativen Befragung des Vereins Gesundheitswirtschaft Rhein-Main finden zwar 89 Prozent der über 60-Jährigen, dass Apotheker ein guter Beruf ist. Bei den 18- bis 39-Jährigen sind es aber nur 64 Prozent; hier rutschen die Apotheker vom zweiten auf den fünften Platz ab.

Und es geht nicht nur um die Kollegen von morgen. Bei Apotheker Uwe Hansmann ist der Fachkräftemangel so groß, dass er einen Finderlohn von 3000 Euro für denjenigen ausgelobt hat, der ihm einen Approbierten beschafft. „Es ist ein Versuch. Den Kopf in den Sand stecken, bringt nichts“, kommentiert er die Aktion. Die Arbeitsmarktsituation erfordere Ideenreichtum.

So viel Optimismus aufbringen kann Annette Vaupel-Naumann nicht mehr. Sie betreibt zwei kleine Landapotheken in einer unterversorgten Region in Hessen und sucht seit zweieinhalb Jahren nach einem Approbierten. Weil aber bislang niemand anbiss, entschied sie sich, die Filiale mittwochs und samstags geschlossen zu halten – an diesen Tagen ist die nahegelegene Arztpraxis ebenfalls zu, das Patientenaufkommen entsprechend gering.

Die Kammer intervenierte und forderte 5000 Euro Strafe, am Ende einigte man sich im Sinne der Versorgung: Vaupel-Naumann darf ihre Filiale weiter zwei Tage geschlossen halten, solange sie der Kammer regelmäßig nachweist, dass sie weiter auf der Suche nach einem Approbierten ist, um die ordnungsgemäßen Öffnungszeiten wiederherzustellen.

Auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) will herausgefunden haben, dass der wahre Feind kleiner Apotheken in ländlichen Gebieten nicht die Versender sind, sondern die Funktionäre ihrer Standesvertretungen. Denn sie ließen die Schwächsten ihrer Zunft über die Klinge springen, hieß es in einer längeren Politikreportage: Um die Preisbindung zu retten, von der vor allem große Innenstadtapotheken profitierten, hätten die Lobbyisten auf ein höheres Notdiensthonorar verzichtet, das kleinen Landapotheken geholfen hätte.

Ob Spahn seine Apothekenreform überhaupt zu Ende bringt oder ob er stattdessen bald Panzer verschrottet, ist noch nicht entschieden. Den Rabattdeckel für den Pharmagroßhandel hat er jedenfalls erfolgreich durch Bundestag und Bundesrat gebracht – laut einem Gutachten des Branchenverband Phagro gilt die Sperre uneingeschränkt und inklusive Skonto. Daran ändert auch das (zu) späte Bekenntnis von Noweda-Chef Michael P. Kuck nichts, dass mehr als 8000 Apotheken auf die Rabatte des Großhandels angewiesen sind.

Auch Reimporte sind, obgleich verpönt, für Apotheken ein einträgliches Geschäft. Findet jedenfalls Klaus Lieske vom MVDA und rechnet den Kollegen vor, dass nach neuem Rahmenvertrag [!] zwar der Umsatz mit importrelevanten Arzneimitteln verdoppelt werden muss, Importe aber auch der Apotheke nutzten: „Importarzneimittel sind kostengünstig und leisten, auch falls nicht auf das Einsparziel anrechenbar (= importrelevant), einen wichtigen Beitrag für einen positiven Ertrag der Apotheken (= ertragsrelevant).“

Doch all den Widrigkeiten zum Trotz: Es gibt ihn nach wie vor, den Nachwuchs, der sich nicht abschrecken lässt. Thomas Grittmann baut sich mit nicht einmal 30 Jahren von Grund auf eine eigene Apotheke auf. Im August soll Eröffnung sein, bis dahin hilft er mit Schaufel und Presslufthammer fleißig mit. Er erfüllt sich den Traum, den er seit der achten Klasse hat. Das ist doch was. Schönes Wochenende!

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