Rx-Versandhandel

Wege aus der Boni-Falle

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Frankfurt -

Bislang hat der Gesetzgeber nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Rx-Boni reagiert – in den Jamaika-Sondierungsgesprächen ist das Thema bislang offen geblieben. Beim Gesundheitsrechtstag der Wettbewerbszentrale hat Rechtsanwalt Dr. Timo Kieser von der Kanzlei Oppenländer mögliche Reaktionen durchgespielt und rechtlich gewürdigt.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat der EuGH entschieden, dass sich ausländische Versandapotheken nicht an die deutschen Preisvorschriften halten müssen. Seitdem locken Anbieter aus den Niederlanden ihre Kunden mit hohen Rx-Boni. Deutsche Versender klagen über diese Ungleichbehandlung, denn sie sind weiter an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden.

Bislang hat der Gesetzgeber keine Lösung gefunden. Das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geplante Rx-Versandverbot scheiterte im Koalitionsgipfel. CDU und CSU haben das Ansinnen – ebenso wie die Linke – in ihr Wahlprogramm aufgenommen, doch FDP und Grüne sind dagegen. Kieser hält es daher für sehr unwahrscheinlich, dass es in der neuen Legislaturperiode einen weiteren Anlauf mit dem Rx-Versandverbot gibt. Aber noch ist das ein offener Punkt auf der Liste der Sondierungsgespräche.

Kieser nahm daher vor allem eine rechtliche Bewertung vor. Für ein Rx-Versandverbot spricht aus seiner Sicht, dass der EuGH eine Begrenzung des Versandhandels auf OTC-Arzneimittel 2003 für zulässig erklärt und drei von vier EU-Staaten diese Einschränkung haben. Allerdings sei der Rx-Versand in Deutschland seit 14 Jahren zulässig – und das ohne größere Probleme. Auch eine Abgrenzung von Versand und Botendienst könnte in Schwierigkeiten bereiten. Der Versand an Ärzte und andere Fachkreise könne sowieso nicht verboten werden. Ein Rx-Versandverbot würde Kieser zufolge mit Sicherheit zu einem neuen EuGH-Verfahren führen – mit ungewissem Ausgang.

Neben einer möglichen politischen Lösung ist auch juristisch noch nicht das letzte Wort gesprochen. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Verfahren zu Rx-Boni an das Oberlandesgericht Köln (OLG) zurückverwiesen. Aus Sicht der Karlsruher Richter muss sich die Vorinstanz genauer damit auseinandersetzen, ob das deutsche Arzneimittelrecht im Einklang mit EU-Recht steht. „Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten von der Union nicht nur formal, sondern auch im Geiste einer loyalen Zusammenarbeit zu beachten ist“, heißt es im Urteil vom 24. November 2016. Das EuGH-Urteil beruhe hingegen auf unzureichenden Feststellungen des OLG Düsseldorf.

Kieser zufolge könnte auch das Verfahren seinen Weg nach Luxemburg finden. Wenn das OLG dem Fahrplan des BGH folgt, müsse es den Fall demnach dem EuGH vorlegen. Fraglich wäre demnach, ob der Gesetzgeber positiv belegen muss, dass das Ziel – die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln – mit keiner anderen Maßnahme als eben der Preisbindung erreichbar ist.

Die Aussagen des BGH seien nun „mit Sachverhalt zu füllen und zu belegen, dass die AMPreisV geeignet ist, die flächendeckende Versorgung zu garantieren“. Es gehe um die Frage, ob Boni geeignet seien, Verbraucher zu lenken. Hilfreich seien Umfragen zur Attraktivität von Rx-Boni wie eine aktuelle Befragung von Sempora unter 1011 Verbrauchern. Demnach sind nur 9 Prozent der Befragten immun gegen eine Beeinflussung mit Boni, für 51 Prozent seien die Vorteile ein erheblicher Anreiz. In der Umfrage wurde ein Bonus von 2 Euro pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel bewertet.

Kieser verwies zudem auf das Gutachten der Kollegen May/Bauer/Dettling, wonach Rx-Boni eine Vielzahl systemrelevanter Apotheken gefährden würden. Jede zehnte Apotheke ist demnach in Orten mit weniger als 5000 Einwohnern angesiedelt – und dort meist allein. Diese Land- und Solitärapotheken haben den von Kieser zitierten Zahlen zufolge meist einen unterdurchschnittlichen Umsatz.

Diese Apotheken wären von einer Zunahme des Versandhandels unmittelbar betroffen. Dem Gutachten zufolge sind nämlich 60 Prozent der Rx-Arzneimittel versandgeeignet, noch mehr, wenn das elektronische Rezept kommt. Der Rx-Versandanteil könnte nach ABDA-Prognosen mittelfristig bei 10 Prozent betragen langfristig sogar 25 Prozent. Zur Rose habe selbst angekündigt, im Rx-Bereich ein zweistelliges Wachstum anzustreben. Die Shop-Apotheke habe nach der Übernahme der Europa Apotheek ebenfalls ein erhebliches Rx-Potenzial.

Die Alternativen zu einem Rx-Versandverbot sieht Kieser kritisch. So würde eine Höchstpreisverordnung nach seiner Erwartung Begehrlichkeiten bei den Krankenkassen wecken und zu Selektivverträgen führen. Und während die Apotheker vor Ort weiterhin Notdienst, Rezeptur und Beratung leisten müssten, käme es zu einem „negativen Rosinenpicken“ im Markt. Und nicht zuletzt wären kranke Menschen gezwungen, vor der Rezepteinlösung einen Preisvergleich durchzuführen.

Die SPD hatte eine begrenzte Zulassung von Rx-Boni für alle Apotheken vorgeschlagen. Kieser zufolge würde die Inländerdiskriminierung damit zwar verringert, aber nicht aufgehoben. Der Rechtsanwalt würde auch in diesem Fall erwarten, dass die Kassen Anspruch auf die Preisnachlässe erheben würden. Nach dem Ergebnis der Bundestagswahl müsse man sich aber auch damit vorerst nicht weiter befassen.

Einen Hebel sieht Kieser im Rahmenvertrag. Denn schon heute hätten die Kassen Sanktionsmöglichkeiten – Vertragsstrafen, Nullretaxationen oder gar den Ausschluss von der Versorgung. Auch falsche Zuzahlungsquittungen seien demnach ein Hebel, wie das OLG Stuttgart schon bestätigt habe. Allerdings sieht Kieser ein gewisses Desinteresse bei den Verbänden und Aufsichtsbehörden. Auch der GKV-Spitzenverband sanktioniere ausländische Versender nicht, die Boni gewährten, monierte Kieser.

Um den Wert der AMPreisV für die flächendeckende Versorgung zu beweisen, müsste Kiefer zufolge weiteres Material gesammelt werden. So sollten demoskopische Gutachten vertieft werden, die die Wirkung von Rx-Boni untersuchten. Dasselbe gelte für Untersuchungen über Gesundheitsschäden zu verzögerter Einnahme von Arzneimitteln. Eine Sammlung von möglichen Rechtsverstößen der Versender könne ebenfalls helfen, etwa zu Rezeptur, Temperaturkontrolle oder der Dauer von Belieferungen. Spannend sei auch das Urteil des OLG Naumburg zum Widerrufsrecht im Versandhandel. Und zu guter Letzt müssten die Ursachen von Apothekenschließungen auf dem Land erforscht werden.

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