Warum Apotheken Mütter wegschicken müssen Carolin Ciulli, 15.09.2022 10:20 Uhr
Die Apotheken sind am Limit. Die Überlastung zeigt sich vielerorts bei der Personalsituation, in den Überstunden wegen bürokratischen Auflagen oder ganz einfach im Kundengespräch. Denn mitunter sind Apotheken gezwungen, Kund:innen wegzuschicken oder zu vertrösten – wie kürzlich in Rheinland-Pfalz, als eine Mutter für ihr Baby dringend eine Rezeptur benötigte. Ein Kommentar von Carolin Ciulli.
Apotheken müssen Rezepturen herstellen. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn diese nicht plausibel sind, können sie unter Umständen abgelehnt werden. Doch es passiert, dass Angestellte ihre Kund:innen mit Rezepturen vertrösten müssen. Die individuellen Zubereitungen sind für die Teams nur schwer planbar, manchmal ist die To-do-Liste im Labor lang, manchmal ist kaum etwas zu tun.
Rezeptur-Expert:innen in der Apotheke
Dazu kommt, dass viele Apotheken ihre Rezeptur-Expert:innen im Team haben. Sind diese im Urlaub oder krank, kann ein Rezept zur Herausforderung werden. Natürlich muss jede:r Apotheker:in und jede:r PTA eine individuelle Zubereitung herstellen können – doch je nach Erfahrung erfordert dies mehr oder weniger Zeit. Denn nicht für alle Rezepturen gibt es Anleitungen. Wie im Fall in Rheinland-Pfalz, als die Apotheke viel Zeit mit der Recherche für die korrekte Herstellung verbrachte.
Es kann auch vorkommen, dass eine Rezeptur, die am Nachmittag in der Apotheke vorgelegt und noch am selben Tag benötigt wird, wegen des nicht vorhandenen Wirkstoffes nicht mehr direkt hergestellt werden kann. Kommt der Großhändler erst Stunden später, kann es für den einen Kunden bereits zu spät sein. Apotheken machen in diesen Fällen auch Überstunden und bieten sogar eine Lieferung nach Hause an.
Vorteil gegenüber Versandhandel
Das individuelle Zugehen auf die oder den Kunden ist eine Stärke der Apotheke vor Ort. Die Mitarbeiter:innen sind bemüht, jeden so gut wie möglich zu versorgen. Die individuelle Herstellung in Vor-Ort-Apotheken ist nicht nur eine genuine Aufgabe der Apotheke, sondern auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Onlinehandel. Doch der Imagevorteil verpufft, weil viele Verbraucher:innen gar nichts von Rezepturen wissen.
Rezeptur lohnt sich kaum
Um so trauriger ist es, dass sich die Herstellung von Rezepturen im kleinen Stil wirtschaftlich für Vor-Ort-Apotheken kaum lohnt. Kommt dann noch eine Mutter mit zwei Spezialrezepturen in die Offizin, deren Herstellung mehrere Stunden benötigen, zahlen die Betriebe drauf. Der Zuschlag zwischen 3,50 oder 8 Euro bietet kaum Ausgleich, wenn ein Approbierten-Gehalt gezahlt wird. Rezepturen müssen sich auch für Vor-Ort-Apotheken wirtschaftlich lohnen, weil sie für viele Patientengruppen die einzige Möglichkeit für eine Therapie sind.
Apotheken schließen mit Rezepturen eine ernstzunehmende Lücke in der Arzneimittelversorgung. Denn Ärzt:innen greifen immer dann zu Individualzubereitungen, wenn es kein Fertigarzneimittel gibt. Auch wenn knapp die Hälfte der rund 12 Millionen hergestellten Rezepturen pro Jahr Standardzubereitungen mit wissenschaftlichen Normen und Anleitungen sind, muss die Gesamtleistung gesehen und angemessen honoriert werden.