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Warentest eröffnet eigene Apotheke Patrick Hollstein, 03.02.2018 08:07 Uhr

Berlin - 

Da redet man und redet, gibt Interviews und Handbücher heraus. Und was ist der Dank? Die Kunden kaufen munter weiter nutzlose und überteuerte Kombipräparate aus der Apotheke. Stiftung Warentest hat jetzt genug und eröffnet eine eigene Apotheke. Die Sichtwahl ist maximal minimalistisch gehalten.

Klar, an Staubsaugern und Olivenölen lässt sich immer etwas aussetzen. Und irgendeine Matratze findet sich auch, bei der die Henkel zum Wenden vergessen wurden und die deshalb rigoros abgestuft werden kann. Aber Medikamente, diese bittere Erkenntnis zog bei den obersten Warentestern am Berliner Lützowplatz irgendwann ein, haben einfach einen viel längeren Lebenszyklus.

Lange überlegte der Vorstand um Hubertus Primus also, wie man in der Kategorie Arzneimittel & Apotheke dem Abstieg in die eigene Bedeutungslosigkeit entkommen könnte. Noch härtere Kriterien? Noch negativere Schlagzeilen? Noch gemeinere Prüfszenarien? Noch dickere Handbücher?

Die Kunden kaufen trotzdem ihr Wick Medinait, dämmerte es den Verantwortlichen. Zumal auch die Apotheker – unbeeindruckt auch von Testkäufen, ja scheinbar geradezu aus Trotz – weiter zu den teuren Markenprodukten rieten. Selbst den Herstellern ließ sich mittlerweile nicht mehr als ein Grummeln entlocken, wenn ihren Produkten wieder einmal in der Öffentlichkeit die Existenzberechtigung abgesprochen wurde. Irgendeine andere Sau würde schon bald durchs Dorf getrieben werden.

„Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, zuckte Primus mit den Schultern und wollte das Krisentreffen resigniert beenden. Doch da kam plötzlich die Idee auf: Warum nicht selbst eine Apotheke eröffnen und allen zu zeigen, wie minimalistisch moderne Pharmazie sein kann – nein: MUSS.

Stilecht sollte es zunächst eine Versandapotheke sein, doch ein Blick in die Portokasse zeigte, dass man bei den aktuell aufgerufenen Preisen nicht mithalten konnte. Allenfalls eine kleine Bude würde man sich leisten können – oder am besten noch ein leeres Ladenlokal. War nicht erst diese Wieland-Apotheke in Friedenau aufgegeben worden?

Ein verantwortlicher Apotheker war schnell gefunden worden, der aus Funk und Fernsehen bekannte Pillenkritiker Gerd Glaeske erklärte sich bereit, für das Pilotprojekt noch einmal in die Praxis zu wechseln. Der Umbau ging in Rekordzeit über die Bühne: Die Sichtwahl wurde abgehängt, nur zwei Regalböden wurden mit Paracetamol und Nasenspray Al bestückt. Mehr braucht der Edelpharmazeut nicht, um im Handverkauf glücklich zu sein. Nur das mit den Rabattverträgen hatte Glaeske sich irgendwie einfacher vorgestellt.

Nein, in Wirklichkeit hat Warentest noch keine Apotheke eröffnet. Noch einmal versuchen es die Experten stattdessen mit den bewährten Mitteln: Gerade wurde eine Liste mit 35 beliebten OTC-Medikamenten veröffentlicht, die das Team als „wenig geeignet“ eingestuft hat. Mit dabei sind Evergreens wie Wick, Grippostad und Thomapyrin.

Auch Glaeske steht nicht im Handverkauf, sondern ist weiter in den Studios und Redaktionen der deutschen Medienhäuser zu Gast. Im „Spiegel“ durfte er gerade seinen „theoretischen Überlegungen“ [sic!] freien Lauf lassen, was von den neuen Erkältungssprays Viruprotect und Algovir zu halten ist. Nichts. Wie überraschend. „Apotheker sind dankbar, wenn Produkte stark beworben werden und so Kunden in die Apotheken treiben“, wusste Glaeske in diesem Zusammenhang zu berichten. „Das ist ein Spagat zwischen Ethik und Monetik.“

Dort, wo die Ethik der Monetik dann doch im Weg steht, helfen die Hersteller mitunter nach. Pfizer hat Apotheken offenbar ungefragt einen Aufsteller für sein Vitaminprodukt Centrum geschickt. Aus dem Einzelfall wurden mittlerweile Einzelfälle. Allerdings, das muss man zugestehen, geht Pfizer jetzt aktiv mit dem Thema um.

Einen Vorteil hätte eine Warentest-Apotheke allerdings: Es wäre eine Apotheke mehr im Land. Oder besser gesagt eine weniger weniger. Im vergangenen Jahr gab es zwar 120 Neueröffnungen, aber auch 395 Schließungen – die Zahl der Betriebsstätten, wie die ABDA sie nennt, reduzierte sich um 1,4 Prozent von 20.023 auf 19.748. Besonders deutlich ist das Minus bei den Hauptapotheken, 15.236 selbstständige Pharmazeuten gibt es aktuell noch in Deutschland. Doch auch der Trend zur Filialisierung schwächt sich ab.

Dazu passt, dass die Arzneimittelausgaben der Kassen 2017 zwar gestiegen sind, die Zahl der Packungen aber rückläufig war. Und damit sank auch das Honorar der Apotheken. Nach überschlägiger Berechnung kommt man auf rund 70 Millionen Euro weniger, entsprechend circa 3500 Euro pro Apotheke. Kein Riesenbetrag, aber auch keine erfreuliche Entwicklung.

Auch die Bild-Zeitung hat erkannt, dass man als Apotheker nicht zwangsläufig reich wird. Bei Gutefrage.net ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Erschwerend kommt aber definitiv hinzu, dass auch das OTC-Geschäft zunehmend in den Versandhandel abwandert. Wobei Green Offizin, wie sich nach dem Start in dieser Woche gezeigt hat, zunächst wohl kein besonders ernst zu nehmender Konkurrent sein wird.

Die künftige GroKo verhandelt derweil noch, wie mit dem versprochenen Rx-Versandverbot umzugehen ist. Die Union ist (noch) dafür, die SPD (weiter) dagegen. Es gibt Überlegungen, für DocMorris & Co. eine Zwangspause von zwei Jahren einzuführen und bis dahin das Apothekenhonorar komplett zu überarbeiten. Zur Erinnerung: Es gab da ja ein Gutachten…

Das erste Pharma- und Apothekengesetz der neuen Legislaturperiode kommt derweil noch von der geschäftsführenden Regierung. Weil die EU-Fälschungsrichtlinie kommt, müssen einige Vorschriften überarbeitet werden. Fälschungen kann man am besten begegnen, wenn man sie frühzeitig aus dem Verkehr zieht. Schon Verdachtsfälle sollen die Apotheken künftig melden, so die Pläne aus dem Gesundheitsministerium.

Aber nicht gefälschte Medikamente können für die Apotheken zum Problem werden, sondern auch echte Medikamente, die auf Grundlage falscher Rezepte abgegeben werden. Die Barmer informiert über aktuelle Fälle – nicht aus Nettigkeit, sondern um zu retaxieren. Wer eine offensichtliche Fälschung nicht erkennt, der darf auch nicht auf Erstattung hoffen.

Wobei es freilich auch Kassen gibt, die es noch doller treiben. Die DAK hat einen Apotheker zweimal auf Null retaxiert, weil das abgegebene Nichtarzneimittel keine Kassenleistung sei und daher kein Zahlungsanspruch bestehe. Dass der Inhaber sich die insgesamt 45 Euro vorab hatte genehmigen lassen, daran konnte man sich nicht mehr erinnern. Er möge die Kostenübernahmeerklärung doch bitte noch einmal vorlegen.

Ein ähnlichen Fall erlebte eine Apothekerin aus Bad Oeynhausen, nur ging es bei ihr um eine ganz andere Summe. 51.000 Euro wollte die AOK Hessen für zwei Einzelimporte zurück, weil für sie die Preisberechnung nicht nachvollziehbar war. Dabei hatte auch hier ein Mitarbeiter vorab grünes Licht gegeben: „Genehmigt wie beantragt“, stand auf der Bestätigung. „Wir machen das immer so“, erklärte ein Mitarbeiter der geschockten Apothekerin.

Um solche Sachen vielleicht künftig zu vermeiden, wollen sich die Rechenzentren zu einem Interessenverband zusammenschließen. Nicht immer sei man mit der Arbeit der ABDA bis ins Letzte zufrieden, hört man da. Schaden kann es jedenfalls nicht, wenn praktischer Sachverstand gebündelt wird.

Apropos Sachverstand: Beim Branchenprimus Noventi hat man sich den ehemaligen Chef der Apobank, Herbert Pfennig, in den Aufsichtsrat der neuen Holding geholt. Und bei Stada gibt es ab September einen neuen Vorstandschef: Peter Goldschmidt, derzeit US-Chef von Sandoz, soll in Bad Vilbel das Ruder übernehmen. Und bei Phoenix in Deutschland gibt es nicht nur keinen Kahlschlag, sondern mit Marcus Freitag und Frank Große-Natrop künftig auch eine Doppelspitze. Schönes Wochenende.