Arzneimittelsicherheit

Vor Ort: So läuft der Securpharm-Start APOTHEKE ADHOC, 09.02.2019 09:45 Uhr

Berlin - 

Es ist so weit: Seit heute ist Securpharm scharfgestellt. Alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die ab heute ausgeliefert werden, müssen verifiziert werden. Bei vielen Apothekenmitarbeitern herrscht noch Verunsicherung. Was, wenn heute etwas schiefgeht? APOTHEKE ADHOC begleitet die Einführung vor Ort in einer Berliner Apotheke.

Aufgeregt wirken sie nicht gerade, Apothekerin Janina Irwin und PTA Maria Greiser. Kurz vor neun schließen sie ganz routiniert die BerlinApotheke in Pankow auf, in der sie heute allein sind. Es ist ein hässlicher Tag; grau, verregnet. Vor der Apotheke gehen die Menschen gesenkten Hauptes, damit ihnen der Regen nicht ins Gesicht schlägt. Punkt neun verschlägt es den ersten Kunden in die Offizin. PTA Maria begrüßt ihn freundlich, er fragt: „Haben Sie Monapax da?“. Sekunden später ist die erste Transaktion abgeschlossen – ein homöopathisches Mittel, Securpharm wird dafür nicht gebraucht. Dabei passt die moderne Optik der Apotheke bestens zur modernen Securpharm-Technik.

„Aufgeregt bin ich erst, wenn etwas nicht funktioniert“, sagt Irwin. „Das Gute ist ja, dass es eigentlich keinen klaren Cut gibt, sondern es eine Übergangsphase ist.“ Trotzdem: Ein wenig Unsicherheit herrscht natürlich, da man eben doch nicht weiß, ob sich mit der Umstellung etwas ändert. „Nervös war ich ein wenig, als ich die Apotheke vorhin geöffnet und das System hochgefahren habe, das hat ungewöhnlich lange gedauert.“

Und nur Sekunden später ist es dann doch da, das erste Problem. Ein Kunde kommt mit einem Atorvastatin-Rezept. Irwin scannt den Data-Matrix-Code – doch das System erkennt ihn nicht als solchen. „ACHTUNG SecurPharm-Artikel!!! Befindet sich auf der Packung ein DataMatrix Code? (Falls ja, scannen Sie die Packung erneut mittels DataMatrix Code)“, spuckt es aus. Irwin klickt auf „Ja“. Und was kommt? Genau dieselbe Meldung erneut – eine Endlosschleife, denn einen „Abbrechen“-Button gibt es nicht. Also klickt Irwin nach mehreren Versuchen auf „Nein“. Man kann den Patienten ja nicht stehen lassen. „Dann muss man das System halt übers Ohr hauen“, sagt die 29-jährige Pharmazeutin. Als der Kunde weg ist, geht Irwin direkt auf Fehlersuche. Und siehe da: Im Backoffice klappt es, an den anderen Kassen auch. „Das Problem muss an dieser einen Kasse liegen. Bisher hat an ihr aber immer alles absolut reibungslos funktioniert.“

Dass in den Morgenstunden des Samstag jemand kommt, dessen Arzneimittel komplett mit Securpharm ausgebucht werden muss, ist eigentlich unwahrscheinlich. Denn nur die Ware, die ab heute ausgeliefert wird, ist betroffen. Rund zehn Prozent der Bestandsware hat aber schon einen Data Matrix Code. Wie damit umgehen? „Am Anfang wird das ein bisschen holprig“, sagt Anja Paape. Die Apothekerin war in den letzten Monaten die Verantwortliche für die Securpharm-Vorbereitungen in den vier BerlinApotheken von Anike Oleski, die ab März unter dem Namen Medios-Apotheken firmieren.

„Zu Beginn wird der Kontrollmechanismus ausgehebelt“, erklärt Paape. Denn wenn man eine Packung abgibt, die einen Data Matrix Code hat, muss man diesen scannen. Dann erscheint eine Fehlermeldung, denn der Data Matrix Code der Packung ist noch gar nicht auf dem Server hinterlegt. Nun ist man verpflichtet, im System nachzuschauen: Von wann ist die Charge? Wäre sie am 9. Februar freigegeben worden, gäbe es nun ein Problem. Dann läge nämlich ein Fälschungsverdacht vor. Stattdessen sieht es aber nur auf den ersten Blick wie ein Problem aus: Die rote Lampe erscheint, kann aber ignoriert werden.

Davon sollte man sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Wir leiten unsere Mitarbeiter an, da entspannt zu sein“, sagt Paape. Dass es zumindest mit der Technik keine Schwierigkeiten gibt, hat sie schon im Vorfeld sichergestellt. „Mit den Scannern gab es bei uns zum Glück keine Probleme“, sagt sie. Auch die Kommissionierer hätten keinerlei Anstalten gemacht.

Etwas schwieriger seien da schon die Formalitäten gewesen: „Letztes Jahr im Juli haben wir uns registriert, das war aufwändiger als ich dachte“, erinnert sich Paape. „Im August haben wir dann den Legitimationsnachweis erhalten und im September hat unsere IT die letzten Scanner-Tests gemacht. Dann haben wir uns mit Awinta wegen des Downloads der Zertifikate kurzgeschlossen.“ Das war dann schon ein klein wenig nervenaufreibender: „Die Zertifikate wurden uns relativ spät zugeschickt, das war ein bisschen schwierig“, erzählt Paape. „Aber wir konnten sie dann noch im Januar herunterladen.“

Doch nicht nur die technisch-bürokratischen Herausforderungen mussten gelöst werden, sondern auch um die 130 Mitarbeiter der vier BerlinApotheken musste sie sich natürlich kümmern. „Wir haben auch ein Handout für unsere Mitarbeiter ausgearbeitet, in dem erklärt wird, wie wir mit der neuen Situation umgehen, beispielsweise beim Wareneingang.“ Denn nicht alles ist zentral festgelegt. In den BerlinApotheken hat man sich deshalb entschieden, die Ware ab Samstag schon beim Eingang mit Securpharm zu überprüfen.

Das sei zwar etwas aufwändiger, aber: „Wenn das Gerät dann meckert und sagt, das es die Packung nicht kennt, können wir das in Ruhe lösen und stehen dabei nicht vor dem Kunden“, erklärt Paape. „Unsere Mitarbeiter können sehr gut damit umgehen. Aber wenn der Kunde vor einem steht, dann geht es um Schnelligkeit und dann könnte so ein Problem zu Verunsicherung führen.“ Weniger Verunsicherung als vielmehr Unmut verursacht bei vielen Apothekern die Fertigarzneimittelprüfung: Schließlich haben alle Chargen ab heute ein Siegel, das dazu zu öffnen ist. Ist ein Patient verunsichert, kann man ihm noch guten Gewissens erklären, dass es die Apotheke war, die das Siegel gebrochen hat, und einen Zettel beilgen, der alles erklärt. Aber der Großhandel nimmt die Ware nicht mehr zurück. Deshalb dürften manche Apotheken wohl bald nur noch niedrigpreisige Schnelldreher prüfen. Zumindest theoretisch senkt das Fälschungssicherheit bei Hochpreisern sogar, kritisieren manche Apotheker. Paape sieht das der Größe sei Dank nicht als Problem: „Wir haben so einen hohen Umschlag und so eine gute Lagerpflege, dass das bei uns nicht relevant ist“, sagt sie.

Genug kleinere Apotheken, für die die Frage relevanter ist, dürfte es aber geben. Und zwar nicht nur in Deutschland: Das neue System gilt europaweit, zehn Milliarden Packungen erhalten ab heute einen „Personalausweis“, wie Securpharm selbst es nennt. Da die Verifizierungspflicht aber nur für ab heute freigegebene Ware gilt, werden sich Bestandsware und verifizierungspflichtige Arzneimittel noch „für mehrere Jahre vermischen“, wie Securpharm prognostiziert. Zum Glück, kann man sagen. Denn zwischenzeitlich war auf EU-Ebene darüber diskutiert worden, alle Packungen auf einen Schlag aus dem Verkehr zu ziehen und umzutauschen. Das hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem totalen Chaos und Versorgungsengpässen geführt.

Das Securparm-System ist eingebettet in ein europaweites Schutzsystem der legalen Lieferkette gegen gefälschte Arzneimittel. Zunächst gehen in 26 EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein die Sicherheitssysteme in Betrieb. Bis 2025 kommen dann auch die Systeme Italiens und Griechenlands dazu. Auch die britische Regierung hat das System – trotz des voraussichtlich bevorstehenden Austritts aus der EU – in Betrieb gesetzt und angekündigt, es unabhängig von der weiteren politischen Entwicklung in Betrieb zu halten.

Allein für Deutschland mussten die Arzneimittelhersteller die Fertigung von fast 60.000 unterschiedlichen Produkten so umstellen, dass sie die neuen Sicherheitsmerkmale erhalten. Hierzulande werden pro Jahr rund 750 Millionen Packungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel in öffentlichen Apotheken abgegeben. Rund 22.000 Hersteller, Apotheken, Großhändler und Kliniken wurden an das Securpharm-System angebunden.