Mit Klauen und Zähnen haben die Krankenkassen für ihre exklusiven Zyto-Verträge gekämpft. Am Ende vergeblich, der Gesetzgeber hat sich korrigiert und die Verträge abgeschafft. Obwohl sich das lange abgezeichnet hatte, hatten Barmer, TK und KKH gemeinsam schnell noch Verträge geschlossen. Weil deren Gültigkeit in der Übergangsfrist lange unklar war, könnten Apotheken jetzt noch Retaxationen drohen. Einige haben es sogar trotz Vertrag darauf angelegt.
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu den AOK-Zytoverträgen im November 2015 können die Kassen solche Exklusivvereinbarungen mit Nullretaxationen knallhart durchsetzen. Die freie Apothekenwahl des Patienten wurde mit dem Urteil aufgehoben. Mehrere Kassenverbünde starteten in der Folge Ausschreibungen. Die größten Ersatzkassen hatten sich im September 2016 zur größten bundesweiten Zyto-Ausschreibung zusammengetan. Sie repräsentierten laut Barmer-Chef Dr. Christoph Straub 21 Prozent der Nachfrage in diesem Markt. Die Ausgaben in diesem Bereich sollten um etwa 20 Prozent reduziert werden – bei einem Volumen von rund 620 Millionen Euro.
Doch Sparen um jeden Preis ist in der Arzneimittelversorgung selten die beste Lösung. Die Verträge bewährten sich in der Praxis nicht, immer wieder berichteten onkologische Praxen und deren Patienten von langen Wartezeiten und Versorgungsproblemen. Der Gesetzgeber hat sich deshalb korrigiert und exklusive Verträge zwischen Kassen und einzelnen Apotheken im Bereich der Versorgung mit Sterilrezepturen wieder verboten.
Das Konsortium um die Barmer hatte aber kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch die Zuschläge erteilt. Im Anschluss wurde über die Frage gestritten, ob die in den Verträgen vorgesehene Exklusivität mit Inkrafttreten des Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) gilt oder erst nach Ablauf der im Gesetz vorgesehnen Übergangsfrist für geschlossene Verträge.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte mehrfach klargestellt, dass die Apothekenwahlfreiheit aus Sicht der Regierung nie aufgehoben werden sollte. Entsprechend hätten schon ab Mitte Mai wieder alle Apotheken zu Lasten der Kassen Sterilrezepturen abrechnen dürfen.
Barmer & Co. kündigten aber an, alle Apotheken zu retaxieren, die ohne Exklusivvertrag onkologische Praxen beliefern würden. Erst mit Ablauf der Übergangsfrist Ende August würde auch die Exklusivität enden, so die Sicht der Kasse.
Der Verband Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) hatte sich zunächst noch über die Klarstellung aus dem BMG gefreut. Doch nach der unmissverständlichen Drohung der Kassen konnte der Verband seinen Mitgliedern nicht mehr reinen Gewissens empfehlen, es bei der Abrechnung darauf ankommen zu lassen. Denn über etwaige Retaxationen entscheidet am Ende nicht die Politik, sondern die Gerichte – und vor dem BSG sind die Apotheker bekanntlich schon mehrfach gescheitert.
Trotzdem haben es mehrere Apotheker darauf ankommen lassen und zu Lasten der Ersatzkassen Sterilrezepturen abgerechnet, obwohl sie keinen Vertrag hatten. Ein Sprecher der federführend tätigen Barmer bestätigte, dass es entsprechende Fälle gebe. Wie viele „Vertragsbrecher“ die Kassen ausgemacht haben und um welche Retaxsummen es insgesamt gehen könnte, war bislang nicht zu erfahren.
Je nach Einzelfall könnte es für die betroffenen Apotheker richtig teuer werden, immerhin geht es nicht selten um sehr hochpreisige Arzneimittel – und die Kassen retaxieren auf Null. Da die Apotheker wussten, worauf sie sich eingelassen haben, dürfte es zu neuen Verfahren vor den Sozialgerichten kommen, sobald die Kassen die Rezeptprüfung für die entsprechenden Monate abgeschlossen haben.
Möglicherweise wird es sogar Retaxationen von Vertragspartnern geben. Dem Vernehmen nach haben mehrere Apotheker wegen der unklaren Rechtslage in der Übergangszeit zu den Preisen der Hilfstaxe abgerechnet. Sie wollten sich nicht schlechter stellen als Kollegen, die ohne Vertrag weiter abgerechnet hatten. Sollten die Kassen die mahnenden Worte aus der Regierung doch noch ernst nehmen, müssten die Rabattpartner auch keine Rabatte gewähren, so die Überlegung dahinter. In diesen Fällen könnten die Kassen ohnehin nur die Differenz zum Rabattpreis retaxieren, meinen die Apotheker.
Unabhängig von Retaxationen haben die Ersatzkassen mit ihrem Vorgehen bewirkt, dass viele onkologische Praxen mindestens einmal die versorgende Apotheke wechseln mussten. Die Praxen, die mit der Versorgung der – möglicherweise weiter entfernten – Vertragsapotheke nicht zufrieden waren, dürften ein zweites Mal wechseln und zu ihrem gewohnten Partner zurückkehren.
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