Apotheke verzichtet auf HV-Tische Silvia Meixner, 08.05.2017 13:31 Uhr
„Hier war früher eine Apotheke – ist das jetzt ein Fernsehladen?“ Das fragte eine Kundin verwundert, nachdem Matthias Bußmann seine Park-Apotheke in Ahlen umgebaut hatte. Mit Kollegen hatte er die „Apotheke ohne Handverkaufstisch“ entwickelt. Mit der innovativen Idee gewann er den zweiten Platz bei den VISION.A Awards in der Kategorie APO.Vision.
Handverkaufstische sind sowas von yesterday! Das dachte sich auch Bußmann und fragte sich und zwei befreundete Kollegen, wie man es besser machen könnte: „Am Anfang stand die Idee, die Offizin so umzugestalten, dass der schlauchartige Grundriss aufgeweicht wird.“ Das Ergebnis: Anstelle des HV-Tischs gibt es jetzt Beratungsinseln, an denen Kunde und Mitarbeiter nebeneinander stehen. Eine Sichtwahl gibt es nicht, stattdessen werden die Produkte auf einem Videobildschirm sowie auf einem in den Tisch eingelassenen Display präsentiert. „Wir haben den klassischen Abkassier-Tresen abgeschafft und setzen auf Diskretion anstatt Frontal-Beratung.“
Der Wegfall des HV-Tischs als Barriere führt laut Bußmann zu einer geringeren Distanz zwischen Kunden und den Mitarbeitern. „Dadurch kann das Beratungsgespräch diskreter ablaufen.“ Diskretionszonen findet der Apotheker „unsinnig groß“: „Ich finde, dass eine Apotheke ohne sie auskommen kann“, sagt Bußmann. „Die Erfahrung zeigt, dass viele Kunden die Diskretionszonen nicht respektieren. Darüber hinaus kosten sie, gerade in 1A-Lagen, hohe Ladenmieten.“
Der Kunde sieht die Produkte, die der Apotheker ihm empfiehlt, auf dem Display. Dort erhält er zusätzlich Informationen zur Bekämpfung seiner Beschwerden. So erscheint beim Thema Fußpilz zum Beispiel der Ratschlag, die Füße nach dem Duschen trocken zu föhnen – eine einfache und wirksame Maßnahme, um die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Der Mitarbeiter hat einen eigenen Bildschirm, auf dem er auf die Warenwirtschaft zugreifen kann.
Gemeinsam mit einer Innenarchitektin wurde ein Möbelstück entwickelt, das diskrete Beratung auf engem Raum gewährleistet. Die Vorteile für die Kunden: Sie können sich in der Offizin frei bewegen, an apothekenpflichtige Arzneimittel gelangen sie erst, wenn der Mitarbeiter sie ihm via Kommissionierer freigibt.
Während der Beratung wählt der Mitarbeiter, den Kassenbildschirm stets im Blick, die Indikation aus und sieht auf dem Bildschirm den Beratungsleitfaden nach den Leitlinien der Bundesapothekerkammer (BAK). Er kann die wichtigsten Fragen am Bildschirm ablesen und stellt so sicher, dass er keine Frage vergisst. Die Software hat Bußmann selbst programmieren lassen.
Durch die Auswahl der Indikation werden mehrere Bildschirme gesteuert: Auf der Sichtwahl erscheinen drei bestückte „Regalböden“ mit Arzneimitteln, die der Pharmazeut empfiehlt. „Um die Diskretion zu wahren und damit niemand aus der Entfernung Rückschlüsse auf die vom Kunden gewünschte Indikation machen kann, werden auch willkürlich andere Arzneimittel gezeigt“, sagt Bußmann.
Der Kundenmonitor ist in die Tischplatte des Beratungsmoduls eingelassen und kann nur vom Kunden eingesehen werden. Hier bekommt er weiterführende Tipps. Auf dem Kassenbildschirm erscheint eine sogenannte „Indikationskarte“, die sicherstellt, dass jeder Mitarbeiter dasselbe empfiehlt.
„So wird die Glaubwürdigkeit der Mitarbeiter verstärkt. Der Kunde kann darauf vertrauen, immer das für ihn am besten geeignete Medikament zu bekommen – egal welcher Mitarbeiter ihn gerade bedient“, so Bußmann. Würde er von unterschiedlichen Mitarbeitern verschiedene Arzneimittel empfohlen bekommen, verringere das die Glaubwürdigkeit, ist der Apotheker überzeugt. „Die Apotheke ohne Handverkaufstisch ist eine neue Form von Kundenbindung und Beziehungs- und Vertrauensaufbau.“
Auch für das Apothekenpersonal bietet das System neben der Beratungssicherheit Vorteile: „Die Sichtwahl muss nicht mehr nachgeräumt werden, das Warenlager verkleinert sich und der Aufwand ebenfalls, weil man nicht mehr jedes Medikament mehrfach in die Hand nehmen muss. Und das Regalputzen entfällt.“