Der Dieb im Haus Julia Pradel, 01.10.2013 15:14 Uhr
Bei der Einstellung von Mitarbeitern sollten Apotheker lieber zu misstrauisch sein als allzu offenherzig. Das zeigt ein Fall aus dem Südwesten Deutschlands: In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Südhessen ist seit Jahren ein Apotheker unterwegs, der sich als Chefvertretung oder Filialleiter anstellen lässt – und angeblich seine Arbeitgeber bestiehlt. Der Kammer sind nach eigenem Bekunden die Hände gebunden.
Eine ganze Reihe Apotheker sind dem Kollegen seit 2010 zum Opfer gefallen. Zunächst war die Spielsucht des Apothekers aufgefallen: Er habe den ganzen Tag an den Apothekencomputern gepokert und Sportwetten abgeschlossen, berichtet ein Apotheker, bei dem der Pharmazeut im Herbst 2010 angestellt war. In einer anderen Apotheke soll er sogar gepokert haben, während er Kunden bedient habe.
Der Apotheker soll Geld unterschlagen und Arzneimittel gestohlen haben. Verschiedene Inhaber berichteten von jeweils mehreren Tausend Euro Schaden, die ihnen durch den Pharmazeuten entstanden seien. „Der klaut vom ersten Tag an“, so eine Apothekerin, die ihn 2011 für zwei Monate als Filialleiter beschäftigt hatte.„Er löscht Vorgänge aus der Kasse, bevor sie abgeschlossen sind“, erklärt ein weiterer Apothekeninhaber, bei dem der Mann in diesem Frühjahr gearbeitet hat. Bei Barzahlungen sei die Ware an den Kunden abgegeben worden, der Bezahlvorgang aber Zeile für Zeile wieder storniert worden. Die Geldscheine soll der Mann gefaltet, in der hohlen Hand versteckt und in die Hosentasche gesteckt haben.
Der Apothekeninhaber hatte Kameras installiert und den Mitarbeiter so überführt. Andere Apotheker berichten außerdem, dass unnötige Rezeptgebühren von Patienten verlangt und im Notdienst Ware gestohlen wurde.
Aufgefallen war der Vertretungsapotheker, der aus dem EU-Ausland stammt, dem Inhaber, der ihn im Herbst 2010 beschäftigt hatte. Er hatte daraufhin die Kammer und das Regierungspräsidium in Stuttgart informiert. Bei der Kammer kann man aber nicht gegen den Apotheker vorgehen, da der nicht mehr Mitglied ist, erklärt ein Sprecher. Grundsätzlich gelte, wenn die Approbation nicht aberkannt worden sei, könne man wenig machen.Die Approbationsurkunde war dem Mann bereits Ende 2009 vom Regierungspräsidium ausgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt war er in seinem Heimatland schon zu einer Geldstrafe von 1000 Euro und drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden, weil er Geld unterschlagen hatte.
Wollen ausländische Apotheker in Deutschland arbeiten und ihre Approbation erhalten, müssen sie ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, das nicht älter als drei Monate ist. Außerdem müssen sie eine Erklärung abgeben, dass keine strafrechtlichen oder staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen sie laufen.
Einem Sprecher des Regierungspräsidiums Stuttgart zufolge lag der Behörde ein Führungszeugnis im Original vor – ohne Eintrag. Der Mann hatte demnach Anspruch auf die Approbation. Das Zeugnis war nach der Verurteilung des Apothekers ausgestellt worden. Ob es sich bei dem Dokument um eine Fälschung handelt oder ob die Daten zu spät weitergeleitet wurden, entzieht sich der Kenntnis der Behörde.
Da der vermeintlich spielsüchtige Apotheker im Besitz einer Approbation ist, kann offenbar aktuell nichts gegen ihn unternommen werden. Der Sprecher des Regierungspräsidiums verweist auf den strafrechtlichen Weg: Ein Anruf und die Mitteilung, der Apotheker habe geklaut, reiche nicht aus. „Wir müssen die Entscheidung anhand harter Fakten treffen“, betont der Sprecher.
Mindestens zwei Verfahren laufen derzeit gegen den Apotheker. Noch ist er allerdings auf freiem Fuß, zuletzt war er vor einem Monat wieder in einer Apotheke entlassen worden, weil er angeblich BtM-Belege verschwinden lassen hatte.
Die Staatsanwaltschaft hat einer Apothekerin empfohlen, auf jeden Fall Anzeige zu erstatten. Wenn möglichst viele Inhaber den Vertretungsapotheker anzeigten, stiegen die Chancen auf eine Verurteilung, hofft die Pharmazeutin.
Von den deutschen Behörden und der Kammer sind die betroffenen Apotheker enttäuscht: „Systemversagen“ nennt ein Apotheker den Fall. Besonders ärgert sich eine Apothekerin, dass ihr sogar geraten wurde, nichts zu machen, da sie sonst selbst Gefahr laufe, ihre Approbation zu verlieren – wenn sie wegen Verleumdung verklagt würde.
Die Apotheker empfehlen ihren Kollegen derweil, die Unterlagen von Bewerbern ganz genau zu prüfen und sich Referenzen früherer Apotheken zu besorgen. „Die kann er nämlich nicht vorweisen.“