Vertretungen: Impfzentren verstärken Fachkräftemangel APOTHEKE ADHOC, 03.09.2021 15:00 Uhr
Die vergangenen anderthalb Jahre waren in vielerlei Hinsicht ein Auf und Ab für die Apotheken in Deutschland – das bekamen nicht nur die Betriebe selbst mit, sondern auch Vertretungsapotheker und -dienstleister. Doch nicht nur die unsichere Planung aufgrund von Infektionsgeschehen und Lockdowns haben es erschwert, Vertretungen zu vermitteln, sondern auch die Impfzentren: Wer dort für über 100 Euro pro Stunde arbeiten konnte, war oft wenig willens, sich für einen Teil des Geldes in die Offizin zu stellen, erklärt Dr. Devid El-Wahsch, Geschäftsführer von Flying Pharmacist.
Urlaub und Vertretung wollen als Inhaber:in oder Filialleiter:in gut geplant sein – doch das war seit vergangenem Jahr oft nur schwer möglich. Von „Lockdown zuhause“ über die Infektionszahlen bis zu unerwarteten neuen Aufgaben wie Impfstofflogistik oder digitalen Impfzertifikaten war die Zahl der unkalkulierbaren Variablen groß. Was in jedem Betrieb einzeln anfällt, sammelt sich bei den Vertretungsdienstleistern. „Die Coronapandemie hatte erst einmal bewirkt, dass alles ein wenig zum Stillstand kam. Wir hatten viele Stornierungen im vergangenen Jahr und zum Jahresende dann nur wenige Anfragen, weil kaum jemand planen konnte. Schließlich wusste niemand, was kommt“, sagt El-Wahsch. „In der Zeit, in der normalerweise alle ihre Urlaube einreichen und Vertretungen suchen, war dann tote Hose.“
Und so, wie zu Jahresbeginn niemand wusste, wann es weitergeht, wollten mit sinkenden Fallzahlen und Ende des Lockdowns im Frühjahr plötzlich alle gleichzeitig nachholen, was sie bisher aufgeschoben hatten. „Da hatte ich dann das Gefühl, dass die gesamte Pharmawelt in einen Bus gestiegen und an der Endstation Flying Pharmacist zusammen ausgestiegen ist“, so El-Wahsch. Mehr als 50 Prozent habe die Zahl der Anfragen im April über denen eines normalen Jahres gelegen – alle hätten gleichzeitig in den Urlaub gewollt „und dann wünscht man sich als Vermittler, dass man auf all die Leute, die man im Register hat, gleichzeitig zugreifen kann.“
Doch es zeigte sich: keine Chance, das zu tun. Er habe im Frühjahr feststellen müssen, dass das Gefälle zwischen festangestellten Apotheker:innen oder Inhaber:innen und verfügbaren Freiberufler:innen gewachsen ist. „Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot war spürbar größer geworden“, so El-Wahsch. Dabei sei mutmaßlich nicht nur der Urlaubsdrang der angestellten oder selbstständigen Apotheker:innen ausschlaggebend gewesen, sondern auch der der Freiberufler:innen. Auch sie hätten lange zurückgetreten und dann alle auf einmal weggewollt.
Schwerer habe jedoch die Impfkampagne gewogen: Denn zur selben Zeit startete auch diese voll durch und hatte einen entsprechend hohen Personalbedarf in den Impfzentren – was die Apotheken zu spüren bekamen. „Die Impfzentren haben viel Werbung mit hohen Honoraren gemacht, durch die viele Freiberufler angezogen wurden“, sagt El-Wahsch. „Die haben dort 100, teilweise 110 bis 120 Euro pro Stunde erhalten, also weitaus mehr als in einer öffentlichen Apotheke. Für die standen sie dann natürlich nicht mehr als Vertretung zur Verfügung und dann braucht es noch größerer Mühe, jemanden zu finden.“ Die Folge für El-Wahsch: „Extrem viele Überstunden, extrem viele Energy Drinks und die ganze Zeit die Trommel rühren, damit sich jemand findet.“
Schnell sei ihm klargeworden, dass er sich etwas einfallen lassen muss, um Vertretungen aufzutreiben. „Wir haben dann gewisse Boni angeboten, um unsere Wertschätzung auszudrücken, aber trotzdem kann man da nie mithalten. Man kann als Apotheke einfach nicht so viel zahlen wie der Staat. Immerhin habe er mit der Bonus-Aktion die Zahl der Meldungen spürbar erhöhen können: um rund 30 Prozent im Vergleich zu einem normalen Jahr. „Damit waren wir aber immer noch in einem Defizit“, sagt El-Wahsch. Immer habe es deshalb nicht geklappt, es habe auch Apotheken gegeben, die mit ihren Anfragen schlicht zu spät kamen und dann nicht mehr bedient werden konnten, „aber ich bin froh, dass wir zumindest sagen können, dass wir unsere Stammkunden nicht enttäuscht haben. Allein das sei schon harte Arbeit gewesen, es habe viele „Last-Minute-Rettungen“ gegeben, wie er erzählt: „Hier und da sind tatsächlich auch mal bei einer Kundin die Tränen geflossen, weil sie dachte, dass ihr geplanter Urlaub nicht stattfinden kann. Aber glücklicherweise hat der liebe Gott dann einen Engel geschickt.“
Immerhin: Dass die Impfkampagne wieder an Fahrt verloren hat, viele Impfzentren mittlerweile schließen, spiegele sich derzeit ebenfalls in den Zahlen. „Es herrscht immer noch ein Defizit, aber wir merken gerade, dass die Neuanmeldungen spürbar wieder zunehmen. Ich würde sagen, dass wir ein bisschen abwarten müssen, was die nächste Zeit bringt und wie sich die Coronazahlen entwickeln, erst dann können wir einschätzen, wie es weitergeht.“ Angesichts der beginnenden vierten Welle gilt aber ähnlich wie im Frühjahr: Monate vorausplanen kann gerade kaum jemand. El-Wahsch tut es trotzdem, zumindest was sein Geschäftsmodell angeht: Er sei dabei, ein neues Honorierungssystem zu entwickeln, das in Abhängigkeit von der Anzahl der Termine honoriert, die von der Plattform abgewickelt werden, und gleichzeitig die Zahl der positiven Bewertungen, die ein Apotheker erhält, mit einbezieht. „Wir wollen dann mit einem Punktesystem arbeiten, das im Oktober versuchsweise eingeführt und dann umgesetzt werden soll, wenn es gutes Feedback erhält.“