Es ist Krisenzeit und viele Apothekenmitarbeiter wissen gerade gar nicht, wo ihnen der Kopf steht: Die Offizin ist voll, es müssen allerlei zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden und im schlimmsten Fall sind noch einer oder mehrere Kollegen ausgefallen. Deshalb sind jetzt auch Vertretungsvermittler wie Flying Pharmacist gefordert. Doch Hilfe kommt bei denen nicht ausschließlich von Freelancern: Wolfgang Wagner ist Inhaber der Elefanten-Apotheke in Moers, bietet aber trotzdem dort seine helfenden Hände an, wo er gebraucht wird. „Das Coronavirus schweißt uns alle zusammen“, sagt er.
60 Jahre, die Hälfte davon Inhaber einer Apotheke: Eigentlich sei er in dem Alter, in dem man weniger arbeiten will, sagt Wagner: „Man hat mich sogar schon als Di-Mi-Do-Apotheker bezeichnet.“ Doch das ist nun vorbei. Montags, freitags und samstags will er ab sofort anderen Apotheken helfen, bei denen mehr Not am Mann ist als bei ihm selbst. Er habe in den vergangenen Tagen schon öfter in sozialen Medien mitbekommen, dass bei den Apothekern großer Bedarf herrsche, sich in der Krise zu vernetzen und gegenseitig zu helfen. „Dieser Netzwerkgedanke beinhaltet auch, dass bei den Apothekern nicht mehr jeder gegen jeden kämpft, sondern dass wir zusammen an einem Strang ziehen.“ Da selbst organisierte Lösungen aber wenig erfolgreich waren, wendete sich Wagner an die Vermittlungsagentur Flying Pharmacist – über die er sich sonst eigentlich selbst Vertretungen organisiert.
„Da ich dort selbst schon Kunde war und bisher immer gute Erfahrungen gemacht habe, wollte ich diesen Weg gehen.“ Dort ist das Angebot gern gesehen: „Wir haben in letzter Zeit immer häufiger Anrufe von Inhabern, die die Apotheke voll stehen haben und dringend Verstärkung brauchen“, erklärt Geschäftsführer Devid El-Wahsch. Es gehe derzeit weniger um die Vermittlung von Urlaubsvertretungen als vielmehr um Verstärkung. „Erst kürzlich rief ein Inhaber an und war mit den Nerven komplett am Ende, weil ihm kurz vor der Krise zwei Mitarbeiter gekündigt hatten und er fast allein in der Apotheke stand.“ Auch Ausfälle kämen in letzter Zeit häufiger vor, nicht jedoch wegen Krankheitsfällen, sondern wegen der Schwierigkeiten, die im Windschatten der Krise mitreisen: wenn beispielsweise Mitarbeiter dringend die Kinderbetreuung übernehmen müssen, weil Schulen und Kitas geschlossen sind.
Doch nicht nur solche Extremfälle werden häufiger, auch die andauernde Arbeitsbelastung fordert ihren Tribut. So gebe es zunehmend auch Anfragen von Apothekern, die Vertretungen für Nacht- und Notdienste suchen – nicht weil sie zur Not nicht selbst könnten, sondern weil sie an der Belastungsgrenze arbeiten und sich nicht auch noch die Nacht um die Ohren hauen können. „Es ist schon krass, was die Apothekenmitarbeiter da im Moment leisten müssen. Das haben wir alle noch nie gehabt“, sagt El-Wahsch. „Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn sich da manche eine Vertretung holen, weil sie dringend eine Verschnaufpause brauchen.“
Parallel zu den Anfragen stiegen aber auch die Angebote. „Das Schöne ist, dass sich mittlerweile auch viele Apotheker im Ruhestand melden, weil sie helfen wollen“, sagt El-Wahsch. Das stelle ihn aber vor ein Dilemma: Wer über 65 ist, zählt automatisch zu einer Risikogruppe. Er lege deshalb Wert darauf, dass solche Apotheker nur in Apotheken aushelfen, die wirklich alle nötigen Sicherheitsmaßnahmen wie Plexiglasscheiben treffen. Auch Studenten, die bereits vor dem Studium als PTA gearbeitet haben und jetzt wegen des verschobenen Semesterstarts zwangsweise freihaben, würden nun verstärkt vermittelt.
El-Wahsch hat also gerade ebenfalls alle Hände voll zu tun, seine 340 Freelancer, 1800 Apotheken und die neu hinzugekommenen Angebote und Nachfragen zu betreuen. Dabei gilt für ihn wie für viele Apotheken auch, dass der Stress durchaus auch gut für das Geschäft sein kann. „Es gibt in diesem Sturm enorm viel Potential für uns. Ich glaube, dass wir einen Schub bekommen können, zumindest in unseren Skills. Später weiß man dann, wie man in der Krise gehandelt hat.“ Die Zeit bedeute auch für ihn viele Überstunden und ständige Bereitschaft. „Wir müssen sehr viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten“, sagt er. „Die richtige Kombi zu finden, um alle happy zu machen, ist nicht leicht.“
Manchmal geht es aber auch ganz einfach. Bei Wolfgang Wagner zum Beispiel. Der hat sich Donnerstagabend gemeldet und hatte Freitagmorgen bereits drei Anfragen im Faxgerät liegen. Direkt am Samstag stand er das erste Mal bei einer Apotheke auf der Matte. „Das war auch für mich ungewohnt, das letzte Mal, dass ich anderen Apotheken war, war als Sachverständiger der Kammer, und das letzte Mal, dass ich eine Vertretung gemacht habe, ist über 30 Jahre her“, sagt Wagner. Doch das hindert ihn nicht in seinem Engagement. Solange die Corona-Krise nicht durchgestanden ist, wolle er weiterhelfen, „aber nur tageweise und hier in der Region, ich kann nicht über Nacht bleiben – ich habe ja noch einen eigenen Betrieb, den ich am Laufen halten muss.“
Und das funktioniert im Moment tatsächlich sehr gut. „Wir haben zwar auch ein erhöhtes Kundenaufkommen, aber sind personell nicht unterbesetzt, sodass wir noch etwas Kapazitäten haben“, erklärt er. Dass es bei ihm läuft, liegt aber nicht nur an der stabilen Personaldecke, sondern vor allem an den gut eingespielten Arbeitsabläufen innerhalb und außerhalb der Apotheke. „Wir haben hier ein gutes System mit Ärzten entwickelt, um physischen Kontakt zu vermeiden, indem wir alles telefonisch und digital klären“, sagt er. „Wenn es bereits ein E-Rezept gäbe, wäre das das Mittel unserer Wahl.“
So stellen die Ärzte im Umfeld Rezepte telefonisch aus und schicken sie auf Kundenwunsch in die Apotheke, gelegentlich holen die Mitarbeiter die Rezepte auch selbst ab. „Außerdem habe ich mich mit unseren Hauptverschreibern abgesprochen und wir haben Erleichterungen bei der Rezeptänderungen ausgemacht. Dadurch können wir die Kundenströme gut lenken und das nimmt etwas Druck vom Kessel.“
Er habe seine Hilfe auch deshalb angeboten, weil er sich bewusst sei, dass die interne und externe Zusammenarbeit vielen Apotheken nicht so leicht fällt. Das merkt auch El-Wahsch. „Es macht sich im Moment schon bemerkbar, dass der eine oder andere wirklich überarbeitet ist“, sagt er. „Ich bin mir sicher, dass niemand das an jemand anderem auslassen will, aber die Apotheker sind gerade am Limit. Unsere Branche strukturiert sich gerade um und das geht nicht an jedem Gemüt vorbei.“ Wagner will deshalb auch dabei ein Vorbild sein. „Es ist ein Zeichen, zu sagen, dass ich auch etwas geben kann“, sagt er, „und zwar in der Hoffnung, dass das diesen Netzwerkgedanken stärkt und wir später so aus der Krise kommen, dass wir mehr zusammenarbeiten und mehr Vertrauen zueinander haben.“
APOTHEKE ADHOC Debatte