6. August 2023, 23:49 Uhr: Marianna fällt erschöpft ins Bett, sie hat einen saftigen 17-Stunden-Tag hinter sich. Langsam gewöhnt sie sich aber dran, es ist nämlich ihr neuer Alltag. Denn seit die Ampel-Regierung die Landapotheken gestärkt hat, gibt sie richtig Gas. Ja, Apotheken müssen sich jetzt mehr selbst kümmern – aber wenn sie das tun, haben sie nicht nur eine blühende wirtschaftliche Zukunft, sondern können sich als die zentrale Versorgungseinrichtung in ländlichen Regionen etablieren.
Das Leben in Niedergroßkurbelhöhe ist wieder aufgeblüht. Jahrelang hatten es vor allem die älteren Bewohner der 600-Seelen-Gemeinde am Rande des nördlichen Ostwestfalen schwer, alles wurde immer weniger. Post: geschlossen. Arzt: weggezogen. Tante Emma: längst verstorben. Die Schwanen-Apotheke am Erpelteich hielt noch wacker die Stellung und versuchte stets zu helfen, wo sie nur konnte. Aber sie konnte die letzten Jahre eben immer häufiger nicht, weil sie nicht durfte.
Ordnungspolitisch befand sich das deutsche Gesundheitswesen halt noch in der Zeit, in der die selige Tante Emma einst geboren wurde: Der Arzt macht die Diagnose, der Apotheker kümmert sich um die Medikamente und wenn es richtig schlecht läuft, rettet dich der Sanitäter. Doch dann endete die bleierne Merkel-Ära und es wurde auch im Gesundheitswesen endlich geampelt, was das Zeug hält.
Für die Apotheken bedeutete das: Flexibilisierung und mehr Eigeninitiative. Die Zeiten, in denen das ferne Berlin jeden Handgriff vorschrieb, sind vorbei. Dafür aber auch die Zeiten, in denen man einfach gesagt bekam, was zu tun ist. All die finanziellen Spielereien von der Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel bis zum Nacht- und Notdienstfonds als Entwicklungshilfeorganisation für Landapotheken halfen schon ein Stück weiter, die Vor-Ort-Versorgung zu erhalten – aber eben nur die mit Arzneimitteln. Die Stadtflucht konnte auch mit Glasfaserkabeln und drei statt zwei Bussen am Tag nicht aufgehalten werden. Deshalb floppten die integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten. Ärzte? Längst abgewandert.
Glücklicherweise haben die Apotheken die furchtbare und furchtbar endlose Corona-Pandemie genutzt, um zu zeigen, was sie alles können: Desinfektionsmittel herstellen in der ersten Welle, Masken verteilen in der zweiten, Schnelltests durchführen in der dritten, PCR-Tests in der vierten, Booster-Impfungen in der fünften, Erstimpfungen in der sechsten. Beim Testen blieb hie und da auch mal ein Groschen hängen und hinzu kam dann als Umsatzschmankerl noch die Aufwertung von Apotheken zu „lizenzierten Geschäften“: Sie dürfen seit Ende 2022 Cannabis verkaufen – natürlich nur, wenn sie das wollen und sich auf eine Lizenz dafür bewerben.
Eigeninitiative halt. Die dient nicht nur dem Ausbau, sondern auch dem Erhalt des Geschäfts: Die Welle gefälschter Impfpässe steigerte bei den Behörden den Bedarf nach fälschungserfahrenen, aber vertrauenswürdigen Freiberuflern. Wer sich ehrenamtlich einbringt und Polizisten in der Erkennung gefälschter Impfzertifikate schult, erwirbt sich eine Vertrauensgutschrift und wird dann nicht so schnell von der Corona-Warn-App gesperrt, falls mal ausgerechnet das eigene Personal den Arbeitgeber hinterhältig missbraucht, um illegal das Gehalt aufzubessern.
Die Apotheker:innen haben mit alldem hinreichend bewiesen, dass sie das Schweizer Taschenmesser unter den Leistungserbringern sind. Das war der Koalition mit den drei bunten Leuchten Beleg genug, damit sie ihren Kurs der Flexibilisierung, Aufweichung der Sektorengrenzen und Integration heilberuflicher Leistungen weiterspinnen konnte, um den Versorgungsnotstand auf dem Land zu bekämpfen.
Mit dem Landapotheken-Leistungsausbauleitlinien-Anforderungs-Gesetz (LALALA) öffneten sie den engagierten, ambitionierten, innovativen und flexiblen Betrieben Tür und Tor für neue Leistungen – wenn sie sich darum selbst kümmern. Klar, die klassische kleine Landapotheke mit Inhaberin und zwei PTA hat weder personell noch räumlich oder finanziell die Ressourcen dazu. Aber Generalalphabet statt Kommissionierer ist ja sowieso ein Auslaufmodell.
Das, was an kleinen Betrieben wegfallen mag, fangen die dynamischen neuen Apothekenversorgungszentren regional locker auf – wenn sie sich denn ins Zeug legen. Das war auch Marianna bewusst: Vom ersten Tag an zog sie alles an sich, was das neue Gesetz hergab, qualifiziert und personell gut ausgestattet ist sie ja. Mit den neuen finanziellen Möglichkeiten konnte sie sogar eine neue Mitarbeiterin aus der großen Stadt rekrutieren: Hybrid-PTA Jolanda hatte dort schon genug Erfahrung mit neuen Geschäftsmodellen gesammelt, als es sie aufs Land zog. Die Arbeit für Mayd war ihr einfach zu stressig geworden, deshalb suchte sie Entschleunigung und Naturromantik in der atemberaubenden Landschaft Ostwestfalens.
Doch weit gefehlt! Seit dem LALALA-Gesetz geht es dort noch dynamischer zu als in der Großstadt: Die Schwanen-Apotheke ist weit mehr als der lokale Coffeeshop, in dem sich die Dorfjugend mit Haze fürs Schützenfest eindeckt. Das ist übrigens indirekter Gesundheitsschutz: Früher lag jede Woche einer der Jäuster mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Aber das war halt auch früher, vor Cannabis- und Landapothekenfreigabe.
Was damals der Krankenwagen war, ist heute das Botendienstauto. Anruf vom Kirchberg: Herzstillstand bei Frau Watzlawski! Marianna schnappt sich den Defibrillator und fährt, so schnell sie kann. Zum Glück sind die Straßen sowieso immer frei. Nach so einem schweren Zwischenfall muss Frau Watzlawski natürlich unter Beobachtung. Zum Glück hat Marianna an den Raum angebaut, in dem sie nun auch Physiotherapie und hausärztliche Beratung anbietet. Ein Intensivbett kann sie nun immer vorhalten. Wenigstens die erste Zeit sollte noch jemand an Frau Watzlawskis Seite sein. Wenn sich ihre Werte stabilisiert haben, kann Marianna die Apotheke aber verlassen und sie die restliche Zeit telemedizinisch betreuen.
Das ist auch nötig, denn sie muss später nochmal los: Die Nebenwirkungen des neuen Corona-Impfstoffs Covaxin haben die Impfskepsis wieder befeuert. Seit sich deshalb alle mit Ivermectin selbst behandeln, ist das kaum noch zu bekommen. Und der nächste Tierarzt ist sowieso einen ganzen Tagesritt entfernt. Auch diesen Verlust kann und darf Marianna nun kompensieren und kümmert sich deshalb auch noch um die Wurmplage auf dem Reiterhof. Klar, Geld gibt‘s dafür. Verdammt stressig ist das alles aber trotzdem. Daran wird sie sich aber gewöhnen müssen, denn so sieht ein normaler Sonntag jetzt eben aus. Bei Ihnen hoffentlich nicht – schönes Wochenende!
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