Beim Deutschen Apothekertag (DAT) wollen die Apotheker berufspolitisch die Weichen für die Zukunft stellen. Eine entscheidende Weiche wird aber erst eine Woche später gestellt – und zwar von anderen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird am 19. Oktober darüber entscheiden, ob sich ausländische Versandapotheken an die deutschen Preisvorschriften halten müssen. Davon hängt womöglich die Zukunft der gesamten Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ab.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hatte dem EuGH im vergangenen Juni drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ob es sich beim deutschen Rx-Boni-Verbot um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt (Warenverkehrsfreiheit), wie diese zweitens zu rechtfertigen wäre und drittens, wie hoch die Anforderungen an eine solche Feststellung sein müssten. Auslöser war eine Klage der Wettbewerbszentrale gegen ein Bonusmodell der niederländischen Versandapotheke DocMorris und der Deutschen Parkinson Vereinigung (DPV).
Nach der mündlichen Verhandlung in Luxemburg am 17. März wurde die Partie von den Beteiligten als offen angesehen. Doch anschließend hatte Maciej Szpunar, Generalanwalt beim EuGH, sich gegen die Wirkung deutscher Preisvorschriften auf ausländische Versender ausgesprochen. Laut seinen Schlussanträgen verstößt das allgemeine Rx-Boni-Verbot gegen EU-Recht. Im Verfahren ist dies allerdings nur ein Fingerzeig, der EuGH ist nicht an das Votum des Generalanwalts gebunden.
Zwei Stunden wurde Mitte März in Luxemburg verhandelt. Die Positionen der Beteiligten in Kurzform: Die Bundesregierung findet, dass Versandapotheken nachts versagen, DocMorris meint, ein kleiner Bonus täte nicht weh. Die EU-Kommission denkt, Versender seien auf Boni angewiesen und die Wettbewerbszentrale und die ABDA sind überzeugt, dass die Preisbindung Apotheken erhält.
Die Bundesregierung hatte in der mündlichen Verhandlung die Preisbindung verteidigt. Der EuGH habe es Mitgliedstaaten erlaubt, den Versandhandel auf OTC-Arzneimittel zu beschränken. In Deutschland sei der Rx-Versand zulässig. Ein Festpreissystem als Alternative zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sei das mildere Mittel.
Die EU-Kommission hatte sich gegen die deutsche Regelung gestellt. Die Brüsseler Behörde hatte zuvor schon ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung eingeleitet, dies aber nicht mit Nachdruck verfolgt. Trotzdem hatte sich das OLG Düsseldorf auf dieses Verfahren bezogen, als es seinen Fall dem EuGH vorlegte.
Aus Sicht des polnischen Generalanwalts verstößt § 78 des Arzneimittelgesetzes (AMG) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) gegen die Artikel 34 und 36 der EU-Verträge. Das Festpreissystem für verschreibungspflichtige Arzneimittel wäre damit unzulässig, sofern auch ausländische Apotheken betroffen sind.
Wenn ein Mitgliedstaat die Warenverkehrsfreiheit beschränken möchte, muss er dies begründen. Die Maßnahmen müssen geeignet und verhältnismäßig sein. Dies habe die deutsche Regierung nicht eindeutig belegt, so der Generalanwalt. Die Preisbindung sei kein geeignetes Mittel, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Ein Höchstpreissystem anstelle fixer Preise wäre laut Schlussanträgen das mildere Mittel gewesen. Es sei zwar nicht Sache des Gerichtshofs, sich in die nationale Gesetzgebung einzumischen, es genüge aber die Feststellung, dass es mildere Mittel gebe.
Ob man gleichzeitig ein Rx-Versandverbot befürworten und das System der Preisbindung als das „kleinere Übel“ verbieten könne? „Die Antwort lautet: ja, man kann“, so der Generalanwalt. Habe sich ein Mitgliedstaat aus freien Stücken für die Zulassung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entschieden, so unterliege diese Maßnahme als solche der Überprüfung auf Geeignetheit, Kohärenz und Stimmigkeit.
Eine Preisbindung sei dagegen „ein Dorn im Auge eines jeden Wirtschaftsteilnehmers, der nicht am Markt präsent ist“, so der Generalanwalt. „Nimmt man einem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit, einen bestimmten Preis zu unterbieten, nimmt man ihm einen Teil seiner Wettbewerbsfähigkeit.“ Die deutschen Bestimmungen seien geeignet, Einfuhren zu beschränken. Immerhin seien die Verkäufe von DocMorris nach den Rx-Boni-Verbot zurückgegangen.
Szpunar bemerkte in seinen Schlussanträgen, dass sich der EuGH bereits zum dritten Mal mit einem Fall befassen müsse, bei dem es um den Zugang von DocMorris zum deutschen Markt gehe. Im Streit über die Zulassung des Versandhandels habe der deutsche Gesetzgeber reagiert, beim Fremdbesitzverbot hielt die deutsche Regelung.
Im aktuellen Verfahren geht es formal nur um die Preisbindung für ausländische Versandapotheken. Sollte der EuGH jedoch den Vorschlägen des Generalanwalts folgen, dürfte das auch Auswirkungen auf die Regelung in Deutschland haben. Die Debatte reicht von einer vollkommenen Aufhebung der Rx-Preisbindung bis zu einem generellen Rx-Versandverbot.
Allerdings ist nicht sicher, dass der EuGH den Schlussanträgen folgen wird: Szpunar musste dafür von Experten viel Kritik einstecken. Arzneimittelrechtler kritisieren, dass der Generalanwalt von der gefestigten Rechtsprechung des EuGH abweichen will und damit indirekt das System der Preisbindung in Deutschland untergrabe. Die Experten Dr. Elmar Mand, Dr. Morton Douglas und Dr. Jörn Witt hatten das Votum des Generalanwalts für APOTHEKE ADHOC bewertet.
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