„Ich will mein Kind aufwachsen sehen“

Verkauf: Familie statt Familienapotheke

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Berlin -

Wachstum, Filialienbildung, immer wieder Nacht- und Notdienste und zwischendurch noch ein bisschen Privatleben. Wie so viele selbstständige Freiberufler arbeiten auch Apothekeninhaber oft am Anschlag. Und wie auf anderen Karrierewegen verpassen viele die richtige Abzweigung. Entweder leiden Familie und Freunde – oder irgendwann schlagen die Geißeln des modernen Arbeitslebens zu: Überarbeitung, Burnout oder gleich der Herzinfarkt. Apotheker Valentin Brugger lässt es so weit nicht kommen. Seit er eine kleine Tochter hat, wird es ihm zu viel – und wo die Priorität liegt, ist dabei keine Frage. Zum Glück entstammt er einer waschechten Apothekerfamilie.

Frau, Kind, Hund, Apotheke: In Bruggers Leben lief es gut, etwas zu gut vielleicht. Seine Augusta-Apotheke in Köln-Buchhorst läuft einwandfrei, die Münster-Apotheke seiner Frau auch. Das Problem ist die Lage: Seine liegt in Köln, ihre in Bonn, wo beide wohnen. Wer die Strecke kennt, weiß, was Berufspendler dort täglich durchmachen. Mit der Geburt des gemeinsamen Kindes vor zweieinhalb Jahren begann die Belastung für Brugger allerdings spürbar zu steigen.

Denn die Kombination aus zwei Apotheken in zwei Städten und einem Kind geht schnell an die Substanz: Halb fünf klingelt der Wecker, nach dem Frühstück bringt Papa Brugger den Spross in die Kita, dann geht es nach Köln. „Unterwegs stehe ich im Stau, jeden Tag. Das ist so eine unproduktive Zeit – und gleichzeitig hat man den Kopf voll mit tausend Aufgaben. Die To-do-Liste platzt. Dann kommt man spät in der Apotheke an, muss aber auch früher wieder los – verkürzte Zeit bei der gleichen Masse an Aufgaben“, beschreibt er seinen Alltag. Und dann wartet zuhause neben Frau und Kind auch noch der Golden Retriever, der auch seine Aufmerksamkeit braucht. „Das kann man schon eine zeitlang machen, aber auf Dauer ist der Spagat zwischen zwei Apotheken und dem Familienleben mit einer kleinen Tochter eine riesige Herausforderung.“

Vor allem sei in ihm im Laufe der Zeit das Gefühl stärker geworden, seinen Erwartungen an sich selbst nicht mehr gerecht werden zu können. „Ich habe den Anspruch an mich selbst, alles 150-prozentig zu machen. Wenn man den aufrechterhalten will, dann zerreißt einen diese Situation irgendwann“, sagt der 46-Jährige. „Vor allem bin ich jemand, der den Patientenkontakt sucht und vorne bei den Kunden sein will. Dafür bin ich doch Apotheker geworden. Dazu blieb aber zuletzt wegen all der Verwaltung, QMS, IKS, Securpharm, DSGVO und alldem kaum noch Zeit.“

Vor allem aber sei es eine Entscheidung zwischen Arbeit und Privatleben gewesen: „Ich will schließlich mein Kind aufwachsen sehen.“ Dass die Entscheidung, die Kräfte zu bündeln statt zu zerteilen, leicht war, heißt das noch lange nicht. Denn Brugger ist seiner Offizin eng verbunden: Die 1957 gegründete Apotheke ist seit 1974 in Familienhand. Erst betrieb sie seine Mutter als Pächterin, dann ab 1982 als Inhaberin. Im Jahr 2000 übergab sie an ihren Sohn, blieb dem Betrieb aber bis heute – mit 83 Jahren – treu.

Brugger selbst ist seit seiner Kindheit im Viertel um die Apotheke unterwegs, den Großteil seiner Stammkunden kennt er seit Jahren, teils Jahrzehnten. „Von daher ist das lachende Auge zwar sehr groß – das weinende aber auch.“ Wie es der glückliche Zufall will, sind die Verhältnisse bei Brugges Frau Dr. Alexandra Raasch – die er aus dem Pharmaziestudium kennt – ähnlich: 1964 gründete ihr Großvater die Münster-Apotheke in Bonn, seit 2006 leitet sie sie in dritter Generation. Es bleibt also in der Familie. Und darauf hat er auch bei seiner bisherigen Apotheke Wert gelegt: Ab dem 1. Februar übernimmt Apothekerin Nalan Uslu dort das Heft – gemeinsam mit ihrer Tochter. „Der Gedanke, dass die Apotheke in Familienhand bleibt, ist für uns auch wichtig.“

Als die Entscheidung verkündet wurde, war die Belegschaft entsprechend überrascht. „Aber wir haben ein tolles Team, das konnte meine Entscheidung gut nachvollziehen und unterstützt mich aktuell mit allen Kräften.“ Bedrückter waren da schon einige Kunden und Bekannte in der Gegend. „Ein Arzt kam zu mir und umarmte mich. Dem kamen die Tränen, als er sagte, er verliere mit mir einen Freund.“

Allzu viel Zeit für emotionale Abschiede bleibt aber dennoch nicht, denn die Nachfolgerin muss bis zur Übernahme am 1. Februar noch eingeführt werden. „Präqualifizierung, Hilfsmittelverträge… all diese Sachen müssen ja neu gemacht werden“, beschreibt der Noch-Inhaber. Bis er sich ganz von der Apotheke löst, vergehen allerdings noch ein paar Wochen: Er werde die Übernahme „engmaschig begleiten“ und noch mindestens zwei Wochen vor Ort aktiv sein. Dann sei es aber endlich so weit. Nicht nur freue er sich auf die zusätzliche Zeit mit der Familie, sondern auch auf die Konzentration auf Bonn. „Dadurch haben wir auch die Möglichkeit, die dortige Apotheke zu festigen, uns auf deren Projekte zu konzentrieren und gleichzeitig an Lebensqualität zu gewinnen. Das wird unser persönliches Happy End.“

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