Das Ruhen der Approbation kann bereits dann angeordnet werden, wenn gegen den Inhaber wegen einer Straftat ermittelt wird, die komplett außerhalb seines beruflichen Wirkungskreises liegt. Wenn ein gravierender Fehltritt im Privaten seine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit nahelegt, spielt es keine Rolle, dass er seine heilberufliche Tätigkeit bisher einwandfrei ausgeübt hat und noch nicht verurteilt wurde. Diese Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof Hessen (VGH) jetzt in einem Beschluss erneut bestärkt. Er hatte die Berufung eines Arztes zurückgewiesen, der sich nach einem Strafverfahren gegen den Entzug seiner Approbation wehren wollte. Es handelt sich um einen absurd-tragischen Fall.
Grund für das Verfahren war eine dramatische Nacht im Sommer 2015. Der Arzt aus Gießen hatte eine nach eigenen Angaben „rein sexuelle Beziehung“ zu einer Frau, die er auf einem Datingportal kennengelernt hatte. Am Abend des 5. Juni verabredeten sie sich per WhatsApp: Die Frau, die den Gerichtsunterlagen zufolge dem Alkohol „ungefähr ebenso häufig zusprach“ wie der Verurteilte, besuchte ihn gegen 23 Uhr an diesem Freitagabend – da soll sie schon leicht angetrunken gewesen sein. Das Tête-à-Tête verlief allerdings nicht so, wie sie es sich erhofft haben dürfte: Kurz nach der Ankunft machte der Arzt für sie überraschend Schluss mit ihr.
Traurig und verzweifelt habe sie daraufhin gewirkt, gab er später zu Protokoll. Sie könnte eine Aufheiterung gebrauchen, dachte er sich anscheinend und machte den wenig konventionellen Vorschlag, sie könnten die Trennung doch „mit Ecstasy feiern“. Gesagt, getan: Gegen ein Uhr nachts begaben sie sich zusammen zu einem nahegelegenen Club und kauften für 17,50 Euro zwei Pillen – „einen blauen Stern und eine rote UPS“, wie das Gericht schreibt. Warum Form und Farbe relevant sind? Ein Blick auf die einschlägigen Internetseiten verrät es: Schon zur damaligen Zeit gingen in der Techno-Szene Warnungen vor diesen „Ausführungen“ um. So ist die rote UPS-Pille das Nachfolgemodell der gelben – die wiederum „galt lange Zeit als stärkste Ecstacy-Pille der Welt“, wie das Faze Magazine, eine Fachzeitschrift für elektronische Musik, in einer Warnung schreibt. Die rote UPS beinhaltet demnach 210 mg MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) und ist damit rund doppelt so stark wie eine „normale“ Ecstasy-Pille. Dem Schweizer Drogeninformations- und -warnungsportal Saferparty zufolge wird es ab 120 mg MDMA pro Tablette gefährlich. Warum das UPS-Logo? Weil der Hersteller damit sofort klar machen will, „dass sie einen schickt“.
Der Arzt wusste offenbar, dass es sich bei der roten Pille um ein „Monstrum“ handelt, wie das Faze Magazine sie nennt. Jedenfalls brach er sie in zwei Teile, nahm eines selbst und bot das andere der Frau an. Die zögerte zunächst und erklärte ihm, „dass es ihr beim Konsum von Cannabis schon einmal schlecht ergangen sei“. Anscheinend warf er da seine vermeintliche medizinische Kompetenz in den Ring und gab ihr zu verstehen, „dass Ecstasy grundsätzlich kein Problem sei“. Und damit nicht genug: Kurz darauf kaufte er acht weitere Ecstasy-Pillen, vier rote und vier gelbe UPS.
Derart ausgestattet machten sie sich zurück auf dem Heimweg, als die Tabletten zu wirken begannen. Was die Frau offenbar selbst nicht wusste: Sie hatte eine genetische Disposition zu maligner Hyperthermie. Zuhause angekommen entfaltete die ihre verheerende Wirkung: „Sie schwitzte, weil ihre Körpertemperatur rasant anstieg, wälzte sich nackt auf dem Boden, neben dem Kiefer wurden auch ihre Hände steif, sie schlug sich aufgrund der Veränderungen in ihrer Skelettmuskulatur, die zu verfallen begann, gegen Oberschenkel und Hüfte, hyperventilierte, war vigilanzgemindert, hatte Bauchschmerzen und fiel mindestens einmal von der Couch“, beschreibt das Gericht den tödlichen Horrortrip.
Und was machte der anwesende Arzt? Er wertete die Anzeichen als psychisch und ging davon aus, dass es ihr wegen der Trennung so schlecht ging. Und nicht nur das, er tat das vielleicht dümmste, was man in dieser Situation hätte tun können: Er teilte sich vier weitere Tabletten Ecstasy mit dem Opfer, zwei pro Person. Wenig überraschend ging es daraufhin mit der Frau weiter rasant bergab, sie versteifte sich und begann heftig zu hyperventilieren. Statt einen Notarzt zu rufen, gab er ihr eine Tüte, in die sie zurückatmen sollte. Weiter half er dann auch nicht – sondern legte sich neben sie auf die Couch und schlief ein. Da war es bereits Vormittag. Doch die Frau begann, über Hitzewallungen und starke Bauchschmerzen zu klagen. Zwischen 11 und 11.30 Uhr entschloss er sich deshalb, sie mit Novalgin-Tropfen (Metamizol) zu versorgen. Nackt stieg er von der Couch auf und verließ die Wohnung, um die Tropfen aus dem Keller zu holen – und sperrte sich dabei aus.
So stand er mittags nackt und mit hunderten mg MDMA im Blut vor der eigenen Haustür und versuchte, die Frau zu wecken. Doch weder Klopfen an der Tür noch mehrmalige Anrufe auf dem Handy halfen. Also ging er aus dem Haus, um von außen durchs Wohnungsfenster zu schauen. Seiner Wahrnehmung nach hob und senkte sich der Brustkorb der Frau da noch, sie schien nur zu schlafen. Also rief er den Schlüsseldienst, der ihn schließlich gegen halb eins in die Wohnung ließ – wo er seine ehemalige Geliebte tot auffand.
Im Strafprozess wurde der Arzt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und versuchten Totschlags durch Unterlassen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Bundesgerichtshof muss noch über eine Revision entscheiden.
Ende Januar 2016 wurde ihm außerdem mitgeteilt, dass das Ruhen seiner Approbation angeordnet wurde. Das wollte der Arzt nicht akzeptieren und legte Widerspruch ein, vergebens. Also klagte er am Verwaltungsgericht Gießen, das die Klage abwies. Sein Antrag auf Zulassung einer Berufung dagegen wurde nun vom VGH abgeschmettert. Der Arzt hatte sich darauf berufen, dass der Fall in keinerlei Zusammenhang zu seiner beruflichen Tätigkeit gestanden habe. Vielmehr sei er seinen berufsspezifischen Pflichten stets nachgekommen, habe seine ärztliche Tätigkeit bislang ohne Beanstandungen ausgeführt und sich sogar erfolgreich einer Therapie seiner Drogenabhängigkeit unterzogen.
Letzteres hat dem Delinquenten jedoch nicht zum Vorteil gereicht: „Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht den relativ kurzen Zeitraum, in dem der Kläger keine Drogen mehr genommen hat, ins Verhältnis gesetzt zu dem relativ langen Zeitraum, in dem er entsprechende Suchtmittel konsumierte“, so die Richter. Deshalb ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis eine berufsrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers nicht schon dann bejaht hat, soweit er relativ kurze Zeitspannen ohne diese Drogen bewältigt hat.“ Dass der Drogenkonsum des Arztes sich nicht negativ auf seine Tätigkeit ausgewirkt hat, könne „nach dem derzeitigen Kenntnisstand auch auf nicht vom Kläger zu vertretenden glücklichen Umständen beruhen“.
Das Argument, er habe zu der verstorbenen Frau lediglich in einer privaten und keinerlei beruflichen Beziehung gestanden, sei ebenfalls nicht dazu geeignet, seine Unwürdigkeit zu widerlegen. Denn abhängig von der Schwere des Fehlverhaltens könne auch ein Handeln oder Unterlassen außerhalb des beruflichen Wirkungskreises die Annahme einer Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs rechtfertigen. „So liegen die Dinge hier.“ Besonders gravierend sei dabei gewesen, dass der Arzt „nach alledem seine weniger gewichtigen Interessen vor die der Frau gestellt hat.“ Denn obwohl es erkennbar zureichende Anhaltspunkte für die Todesgefahr gab, habe er es unterlassen, ärztliche Hilfe zu holen, „insbesondere zur Vermeidung der Entdeckung seiner Suchterkrankung“. Das bittere Fazit der Ereignisse: Für ihn selbst ging sein Scheitern damit gut aus, weil er aufflog und letztendlich therapiert wurde. Seine Freundin bezahlte das mit dem Leben.
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