Liberalisierung

Apothekenketten: Die Angst ist zurück APOTHEKE ADHOC, 02.06.2017 15:19 Uhr

Berlin - 

Die Angst vor Apothekenketten ist zurück. Mehr als die Hälfte der Apotheker geht davon aus, dass das Thema Fremdbesitzverbot in den nächsten fünf Jahren wieder auf die Tagesordnung kommt. Das ist eines der Ergebnisse einer aktuellen Sempora-Umfrage unter Apothekern, Managern von Herstellern und Konsumenten. „Veränderungen im Markt sind vorprogrammiert“, glaubt der Leiter der Emporrage-Studie, Tobias Brodtkorb.

Jeweils 52 Prozent der Apotheker und der Entscheider in der Pharmaindustrie gehen davon aus, dass eine Aufhebung des Fremdbesitzverbotes in der kommenden Legislaturperiode geben werden wird. Bei der letzten Befragung vor einem Jahr waren es etwas mehr als 30 Prozent. Als Gründe für die wahrgenommene Bedrohung nennt Brodtkorb die aktuelle Diskussion um ein Rx-Versandverbot, die zunehmende Digitalisierung sowie die voranschreitende Marktkonzentration. „Gewinner werden die Marktteilnehmer sein, die die nötige Flexibilität und Schnelligkeit an den Tag legen und Veränderung als Chance statt Bedrohung wahrnehmen“, so Brodtkorb.

Der Einstieg von Amazon ins Apothekengeschäft und die Diskussion um das Rx-Versandverbot finden ebenfalls ihren Niederschlag in der Umfrage: Ein Einstieg des Internetriesen könnte den Markt signifikant verändern. Immerhin wären laut Umfrage 25 Prozent der Apotheken bereit, zukünftig Prime-Partner von Amazon zu werden. 6 Prozent der Teilnehmer verkauften schon heute freiverkäufliche Produkte über Amazon oder ähnliche Plattformen.

Das ist für Sempora ein Hinweis auf das Wachstumspotenzial: „Das Thema Apotheke ist bei Amazon in Deutschland im Vergleich zu den USA noch in den Kinderschuhen. Doch Amazon hat das Kapital und das Durchhaltevermögen, um ein substanzielles Geschäft aufzubauen. Eine kritische Entwicklung auch für die klassische Versandapotheke“, so Brodtkorb.

Der Versandhandel werde weiter an Relevanz im Apothekenmarkt gewinnen. Sowohl Industrie (96 Prozent) als auch Apotheken (78 Prozent) sind laut Umfrage mit großer Mehrheit überzeugt, dass die Bedeutung steigen wird. Profitiert hat bereits DocMorris von der Diskussion in Folge des EuGH-Urteils: Die Bekanntheit der niederländischen Versandapotheke bei den Verbrauchern ist mit 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen (70 Prozent). Nahezu alle weiteren Versandhändler büßten im Vergleich ein. Als Grund dafür sieht Sempora die „erhöhte Präsenz des Apothekenversenders in den Medien“ aufgrund der Diskussion über Rx-Boni und das Rx-Versandverbot sowie die höheren Werbeausgaben von DocMorris.

Bei der Bewertung der Gesamtleistungsfähigkeit durch die Industrie schneidet unter den Versandapotheken die Shop-Apotheke (Note 1,7) wie im Vorjahr am besten ab. Auf dem zweiten Platz folgen Medpex und Apo-Rot jeweils mit der Note 2,0.

Obwohl der Versandhandel scheinbar an Bedeutung gewinnt, lösen jedoch vier von fünf Befragten ihre Rezepte vorzugsweise nur in der Apotheke vor Ort ein. Aus Sicht der Konsumenten sollten auch Apotheken in Deutschland einen Rezeptbonus anbieten dürfen. Dafür sprachen sich 90 Prozent aus. Wenig überraschend ist auch, dass 62 Prozent der befragten Apotheker der Meinung sind, dass ein Rx-Versandverbot einen positiven Einfluss auf den eigenen Apothekenumsatz haben würde.

Unzufrieden sind viele Apotheker mit ihrer Standesvertretung: Nur 27 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die ABDA die Apotheken zum Thema Rx-Versandverbot gut vertritt. 25 Prozent waren unentschieden. Auch die Industrie beobachtet die Entwicklungen beim Versand von Rx-Medikamenten laut Sempora aufmerksam, ist aber hinsichtlich der Zukunftschancen gespalten: 45 Prozent der Pharmamanager sind der Ansicht, dass der Marktanteil der Versandhändler im Rx-Markt konstant bleiben wird, ebenso viele Befragte erwarten steigende Marktanteile.

Die Pharmaindustrie ist einstimmig der Meinung, dass die Digitalisierung ein strategisch wichtiges Zukunftsthema ist. Allerdings sind nur 65 Prozent der Manager der Ansicht, dass ihr Unternehmen die notwendigen Kompetenzen zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie bereits besitzt. Bei den Apothekern zeigt sich ein noch kritischeres Bild: Nur 18 Prozent der Apotheker sehen die stationäre Apotheke zum Thema Digitalisierung gut aufgestellt.

„Im Allgemeinen kann beobachtet werden, dass sowohl Apotheken als auch Hersteller die Chancen für zukünftige digitale Konzepte hoch einschätzen. Themen wie digitale Einrichtungskonzepte, die Wichtigkeit von Apps für Konsumenten und Fachpersonal sowie Onlineschulungen für das Apothekenpersonal gewinnen an Bedeutung“, so die Sempora-Studie. Zwischen Februar und Mai wurden 210 Apotheker, 1004 Verbraucher und 52 Vertreter von Herstellern befragt.