Tatort Apotheke: Es ist eine Geschichte wie im Film – voll Dreistigkeit und krimineller Energie auf der einen, Wut und Fassungslosigkeit auf der anderen Seite. Apotheker Björn Conrads aus Köln wurde über Jahre hinweg von einem Mitarbeiter bestohlen. Den Stein ins Rollen dafür, dass der Fall aus der Paracelsus-Apotheke aufgedeckt werden konnte, brachte ein Artikel von APOTHEKE ADHOC.
Es beginnt im August mit der Almased-Schlacht auf Ebay. Der private Nutzer Beautyaffair-89 hat Almased-Beutel und Nuxe-Produkte in einem gewerblich anmutenden Umfang im Angebot; verschickt wird die Ware laut Beschreibung aus Köln. Conrads liest den Artikel im Urlaub. „Wäre nur Almased verkauft worden, hätte mich das nicht weiter interessiert. Mich hat jedoch die Kombination aus den Beuteln sowie Parfum und Huile Prodigieux in der limitierten Sonderauflage stutzig gemacht. Denn die Produkte deckten sich mit unseren Angeboten im Versandhandel.“
Conrads ruft Andre Feldmann an, seinen Geschäftsführer im Versand. Der soll mögliche Bestandsdifferenzen prüfen. Als er keine Fehler findet, gibt er Entwarnung. „Auf den ersten Blick war alles in bester Ordnung und keine Auffälligkeiten zu entdecken.“ Doch nun lässt die Geschichte Feldmann keine Ruhe. Bestandsfehler sind im Versand der Apotheke leider immer wieder ein Thema, gerade bei Artikeln, die in der Masse untergehen. Ein Grund: Die Kommunikation zwischen Lauer-Fischer und Mauve ist nicht ausgereift, so erkennt das System beispielsweise die Lieferung an Packstationen nicht – Bestellungen können nicht vernünftig verbucht werden. Diese Probleme könnte ein möglicher Dieb ausnutzen, denkt Feldmann.
„Wir hatten keinen Grund für Misstrauen gegenüber unseren Mitarbeitern. Ich würde für alle die Hand ins Feuer legen“, sagt er. Ein Dieb in den eigenen Reihen? Ausgeschlossen. „Wir haben den Zuliefern und Amazon nicht getraut.“ Die Paracelsus-Apotheke vertreibt unter dem Namen Medigate Produkte über die führende Plattform.
Doch so erschreckend die Vorstellung ist, dass es ein schwarzes Schaf im eigenen Team gibt: Sie will Conrads und Feldmann nicht loslassen. Sie beschließen zu ermitteln – ohne aufzufallen. Ein Freund aus Kassel löst eine Bestellung aus und sendet ein Foto der Bezahlung via Paypal. Zu sehen sind ein Bild und der Name eines Mitarbeiters.
Wut, Fassungslosigkeit und Verzweiflung kommen auf. Es gilt, den Diebstahl nachzuweisen. Schon ein Blick in die Bewertungen verrät: Beautyaffair-89 ist kein Neuling im Auktionskaufhaus. Über etwa 1,5 Jahre hat er bereits Apothekenware im Wert von etwa 20.000 Euro verkauft und sich so etwa 14.000 Euro in die eigene Tasche gesteckt. Wie hoch der tatsächliche Schaden ist, kann selbst heute noch nicht beziffert werden.
Conrads und Feldmann sind etwa zwei Monate mit der Beweisführung beschäftigt. Etwa neun Testbestellungen werden durchgeführt. „Wir haben Ware unter Zeugen markiert und dann bestellt. Und diese dann auch erhalten“, so der Apotheker. „Es war die schwerste Zeit für uns. Wir mussten dem Mitarbeiter zwei Monate ins Gesicht sehen und die Wut zurückstellen. Wir wurden auch auf privater Ebene verarscht, das Persönliche durfte aber nicht über der Professionalität stehen“, erzählt Feldmann. „Wir durften uns ja nichts anmerken lassen und mussten diszipliniert bleiben.“
Anfangs werden die beiden Chefs noch gewarnt, wie schwer es werden könnte, dem Mitarbeiter die Taten zu belegen. Doch dann geht alles Schlag auf Schlag: Markierte Ware wird ausgeliefert, die Fehlbestände können zugeordnet werden. Conrads lässt zudem eine Überwachungskamera installieren, die nur außerhalb der Arbeitszeiten filmt. Da jeder Mitarbeiter großes Vertrauen seitens des Chefs genießt, hat auch jeder einen eigenen Schlüssel. Der Apotheker will festhalten, wie die Ware das Lager verlässt.
„Wir machen mit unserem Versandhandel nicht das große Geschäft. 80 Prozent der Ware bestellen wir über den Großhandel. Die restlichen 20 Prozent haben wir im Lager. Hierbei handelt es sich um Depotware wie Produkte von Nuxe und Almased, die nur direkt bestellt werden können.“ An einem Freitag trifft im Lager eine große Bestellung ein, von der am Montag bereits Ware fehlt. „Es musste also am Wochenende etwas passiert sein.“ Conrads und Feldmann sehen sich das Video der Überwachungskamera an. „Der Mitarbeiter kam gegen Mitternacht in das Lager. Er war klar zu erkennen. Ich war megaenttäuscht, fassungslos, traurig und wütend“, erinnert sich der Apotheker.
Conrads zeigt seinen Angestellten an und übergibt die gesammelten Beweise der Polizei. Es folgt eine Hausdurchsuchung. Dem Apotheker fehlen noch 200 Packungen Nuxe Huile Prodigiuex. Der erste Durchsuchungstermin platzt – die Ermittlungen drohen aufzufliegen. Am Vorabend wechselt der Mitarbeiter seinen Nutzernamen bei Ebay. Conrads fürchtet, er könnte Verdacht geschöpft haben.
Der zweite Termin für die Hausdurchsuchung findet dann an einem Morgen gegen 6.30 Uhr statt und überrascht den schlafenden Mann in der Wohnung seiner Eltern. Die Polizei kann etwa 100 Asservate sicherstellen, darunter auch Arzneimittel. Ebay übergibt alle Daten an die Polizei, die auch E-Mail und SMS auswertet.
Der Beschuldigte ist geständig, auch gegenüber dem Apotheker. In einem gemeinsamen Gespräch entschuldigt er sich. Conrads will retten, was zu retten ist. „Ich wollte, dass wir beide mit einem blauen Auge davonkommen. Wenn er kooperieren wolle, bot ich ihm an, dann sollte er ab dem Zeitpunkt nur noch die Wahrheit sagen.“
Nein, er habe keine Mittäter oder Mitwisser gehabt, gesteht der junge Mann. Die Idee sei ihm durch Geschenke des Apothekers gekommen: „Leicht beschädigte oder retournierte Ware sammeln wir und verschenken sie an die Mitarbeiter. Als der Angestellte mit der Ware am Geburtstag der Schwester nach Hause kam, waren Freude und Anerkennung darüber groß. Ihm wurde sogar Geld für die Produkte geboten. Das war der Startpunkt für die Diebstähle.“
Wie sind die Taten über die vielen Jahre möglich? Warum wird nie etwas bemerkt? „Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich viel zu unerfahren und naiv war“, erzählt Conrads. „Das Wahnsinnige an der Geschichte ist auch, dass der Steuerberater nichts bemerkte. Im Durchschnitt fehlten etwa 1000 Euro pro Monat. Der Betrag ist jedoch zu gering, als dass er betriebswirtschaftlich auffällt, er verschwimmt einfach. Ich muss mir an die eigene Nase packen.“
Nach der Hausdurchsuchung, so denkt Conrads, ist der Fall für ihn abgeschlossen. Ist er aber nicht. „Jetzt kam die Wut.“ Hoffnung, dass er seinen Schaden ersetzt bekommt, hat der Apotheker nicht: „Uns geht es in erster Linie darum, den Fall aufzuklären.“ Es wird ein sogenanntes Adhäsionsverfahren geben – also zivil- und strafrechtlich verhandelt.
Aus der Fassung bringen lassen will er sich durch den Vorfall nicht. „Bei uns im Team herrscht ein sehr familiäres Klima. Wir haben zwar aufgerüstet, aber ich würde noch immer für jeden Mitarbeiter meine Hand ins Feuer legen.“
Hinter Conrads liegt ein hartes Jahr. Auch er war wegen seiner Angebote bei Amazon betroffen von der Abmahnwelle, die der Münchener Kollege Dr. Hermann Vogel jr. angestoßen hatte. Zwar habe man sich geeinigt: Im Rahmen des Verifizierungsverfahrens sei der Account jedoch vorübergehend durch Amazon gesperrt worden. „Wir waren neun Tage offline und dann noch der Diebstahl. Inzwischen sind jedoch wieder Alltag und Normalität eingezogen. Wir können uns wieder ganz dem Tagesgeschäft widmen.“
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