U-Bahn dicht, Kunden weg Hagen Schulz, 22.11.2019 07:50 Uhr
Ingo Beer, Filialleiter der Marien-Apotheke in der Münchener Innenstadt, hat einen dicken Hals. Gar nicht mal wegen der Baustelle rund um die benachbarte U-Bahn-Haltestelle „Sendlinger Tor“. Vielmehr stört den Apotheker, dass weder von der Stadt noch von der Münchener Verkehrsgesellschaft (MVG) irgendwelche Informationen zu den geplanten Baumaßnahmen verkündet werden. Daher wurde Beer böse überrascht, als er am Montagmorgen sah, dass der nur wenige Meter von der Apotheke entfernte U-Bahn-Ausgang gesperrt war.
Für die Erreichbarkeit der Marien-Apotheke ist die Haltestelle von elementarer Bedeutung. Bedingt durch die Innenstadtlage gibt es kaum Parkplätze. Aber dank der Rolltreppe und eines Aufzuges kommen auch betagte Kunden bequem von der U-Bahn in die Apotheke. „Zudem gibt es eine schnelle Anbindung an den Hauptbahnhof. Die Lage ist so gesehen optimal, auch für die Laufkundschaft“, so Beer. Das gilt allerdings nur, wenn die Menschen auch an der gewohnten Stelle aussteigen können. Ist der Ausgang wie aktuell versperrt, bleibt nur ein Umweg von knapp einem Kilometer.
„Ich habe ja nichts dagegen, dass der Umbau stattfindet. Von Zeit zu Zeit muss die Infrastruktur eben erneuert werden. Aber die Informationspolitik ist nicht in Ordnung“, sagt der Filialleiter. Als die Bauarbeiten am Sendlinger Tor 2018 starteten, erhielten die Geschäftstreibenden noch einen Flyer. In diesem hieß es, dass es keine Beeinträchtigungen im Arbeitsalltag geben werde und die Baumaßnahmen spätestens 2021 abgeschlossen seien. Beide Vorhersagen sollten sich nicht bewahrheiten. Mittlerweile ist die Fertigstellung für das Jahr 2023 geplant. Doch Auskünfte dazu kamen von der Stadt und der MVG nicht.
Und so wurde Beer von der geschlossenen U-Bahn-Haltestelle völlig überrumpelt. „Am Baustellenschild gab es nicht mal einen Aushang oder einen Wegweiser“, fühlt sich der Apotheker im Stich gelassen. Anrufe bei der Stadt und der MVG brachten keine Besserung: „Dort fühlte sich niemand für mein Anliegen zuständig.“ Erst als Beer sich an die lokalen Medien wandte, erfuhr er, dass der Ausgang in gut einer Woche wieder geöffnet werden soll. Eine Reporterin hatte energisch bei der MVG nachgebohrt.
Die Verkehrsgesellschaft gab an, sich beim Apotheker melden und für die Unannehmlichkeiten entschuldigen zu wollen. „Als dann tatsächlich jemand von der MVG in der Apotheke anrief, war ich auf einer Fortbildung. Mal sehen, ob es noch zu einem Gespräch kommt“, berichtet Beer. So oder so spüre er die Auswirkungen der Bauarbeiten deutlich: „Die Kundenfrequenz ist um 15 bis 20 Prozent zurückgegangen. Das trifft uns schon hart. Unsere Kunden regen sich außerdem sehr über die Baustelle auf.“
Beer kann nicht nachvollziehen, dass die MVG ihn und die anderen Geschäftstreibenden im Umfeld nicht besser aufklärt. „Es wäre doch so einfach. Sie könnten gerne vor oder in meiner Apotheke ein Schild aufstellen und über alles informieren. Dann gäbe es weniger Ärger“, so der Apotheker. Doch auch die Stadt kommt in seinem Urteil nicht gut weg: „Sie sagen, dass der Einzelhandel wichtig ist. Und wir zahlen hohe Mieten und Steuern. Es gibt sogar eine Luftsteuer für Leuchtreklamen. Und wenn es dann um unsere Situation geht, herrscht nur Desinteresse.“
Exemplarisch sei der Fall des Münchener Apothekers Robert Scheerer. Dieser musste seine Apotheke im Stadtteil Pasing unter Wert verkaufen, nachdem eine Großbaustelle für stetig sinkende Umsätze sorgte. „So etwas tut mir sehr leid, aber es ist sinnbildlich für das, was in München passiert“, schätzt Beer ein. Doch aufgeben will der Apotheker mitnichten: „Ich bin Idealist und mache meinen Job immer noch gerne.“ Er stelle sich jeder Herausforderung, „selbst wenn man manchmal im Bett liegt und denkt: Super, was kommt als nächstes?“ Beer hofft daher, dass das Schicksal von Apothekern und übrigen Geschäftstreibenden mehr Aufmerksamkeit erhält: „Wir müssen die Leute für unsere Situation sensibilisieren.“