Trotz Verlusten: Apotheker darf nicht schließen Alexander Müller, 01.11.2019 10:09 Uhr
Gunther Oswald* würde seine Apotheke gern schließen, darf er aber nicht. Denn sein Mietvertrag sieht den Betrieb einer Apotheke vor – auch wenn es ein Verlustgeschäft ist. Das hat das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) in zweiter Instanz bestätigt und auch den Versuch des Inhabers abgebügelt, die Präsenz- in eine Versandapotheke umzuwandeln.
Oswald hatte 2011 seine erste Apotheke in einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz übernommen. Im April 2012 kam eine weitere hinzu, rund 300 Meter von der Hauptapotheke entfernt. Mit dem Vermieter schloss er einen Vertrag über zehn Jahre, so wie es auch in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) vorgesehen ist. Die Geschäftsräume im Erdgeschoss des historischen Gebäudes wurden „zum Betrieb einer Apotheke“ vermietet.
Doch Oswald stellte fest, dass sich der Standort nach einigen Jahren nicht mehr getragen hat. Später vor Gericht trug Oswald vor, dass er in den ersten sechs Jahren knapp 165.000 Euro Verlust eingefahren habe und dass der Standort quasi quersubventioniert werde. Daher kündigte er im September 2018 den Mietvertrag zum „nächstmöglichen Termin“ wegen „Geschäftsaufgabe“.
Der Vermieter bestätigte zwar die parallel erfolgte Kündigung der Mitarbeiterparkplätze zu Ende Oktober, erinnerte den Apotheker aber zugleich an die vereinbarte Betriebspflicht für die Apotheke bis Ende März 2022. Nur hatte der Inhaber schon Nägel mit Köpfen gemacht und seinen beiden Angestellten zu Ende September gekündigt. Da die Öffnungszeiten verkürzt und erkennbar Ware abverkauft wurde, sah sich der Vermieter vor vollendete Tatsachen gestellt und beantragte seinerseits beim Landgericht Mainz eine einstweilige Verfügung: Dem Apotheker sollte unter Androhung eines Ordnungsgeldes verboten werden, seine Apotheke zu schließen.
Um der Betriebspflicht gerecht zu werden, wollte Oswald die Räumlichkeiten für die Verblisterung beziehungsweise als Versandräume in seine Hauptapotheke eingliedern. Vor Gericht trug er vor, dass er vertraglich nicht verpflichtet sei, die Apotheke „in gleicher Weise“ weiterzuführen. Die Umwandlung in eine Versandapotheke erfülle die vereinbarte Betriebspflicht. Das sei für ihn als Inhaber immer noch attraktiver, als dauerhaft einen Filialleiter zu bestellen und bei der Notdienstverteilung doppelt so oft dran zu sein.
Doch das Landgericht Mainz urteilte, eine Apotheke ohne Publikumsverkehr sei nicht vertragsgemäß. Sogar die ApBetrO mit Präsenzpflicht und gesetzlich bestimmten Öffnungszeiten zog das Gericht heran. Der Mieter trage das wirtschaftliche Risiko. Daher müsse Oswald den Betrieb weiterführen. Das Apothekerpaar, das ihm seine andere Apotheke verkauft hatte, machte freundlicherweise Pause vom Ruhestand und überbrückte, bis ein neuer Apotheker gefunden war.
Oswald ging in Berufung, da die Betriebspflicht im Vertrag aus seiner Sicht nicht genügend konkretisiert war. Und überhaupt: Dem Vermieter gehörten die Räume, nicht die Apotheke. Dass der Standort ohne laufendes Geschäft für etwaige Nachmieter an Attraktivität verlieren würde, sei auch kein Argument. Es werde sich ohnehin kein Kollege finden, der hier eine Präsenzapotheke betreiben wolle.
Der Apotheker betont, dass dem Vermieter von Anfang kommuniziert worden sei, für die Miete bis zur Findung des Nachmieters oder bis Vertragsende einzustehen. Nur eine Apotheke habe er dort eben nicht mehr betreiben wollen. Außerdem gab es nach seiner Darstellung sehr wohl einen Interessenten: Die benachbarte Pizzeria hätte sich gern vergrößert – an warmen Sommerabenden stehen die Tische draußen ohnehin auch vor der Apotheke. Allerdings wäre für die angedachte Erweiterung ein Wanddurchbruch notwendig gewesen, was der Vermieter ablehnte. Der hatte ohnehin an der Ernsthaftigkeit des Angebots gezweifelt.
Auch Berufungsverfahren entschied das OLG Koblenz Ende Juni ebenfalls zugunsten des Vermieters: „Der Mieter muss auch ein vollkommen unrentables Geschäft weiter betreiben, denn er trägt das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Dazu gehört bei der gewerblichen Miete die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können und umgekehrt das Risiko, Verluste einzufahren“, heißt es im Urteil. Oswald hatte den Wegzug nahegelegener Arztpraxen zu Sprache gebracht. Das Gericht bemerkte trocken, der Apotheker habe jedenfalls nicht vorgetragen, zahlungsunfähig zu sein.
Immerhin: Oswald muss nur zu den gesetzlich vorgeschrieben Zeiten öffnen: vormittags von 9 bis 12 Uhr, nachmittags von 15 bis 18 Uhr. Er muss den Betrieb nun bis zur Findung eines Nachmieters weiterführen, im schlechtesten Fall bis zum Ende des Mietvertrages im Frühjahr 2022.