Tilidin soll BTM werden Désirée Kietzmann, 11.08.2008 14:37 Uhr
Das Schmerzmittel Tilidin ist wegen seiner euphorisierenden Wirkung in der Drogenszene bereits seit einigen Jahren beliebt. Die Beschaffungskriminalität ist insbesondere in Berlin auf einem hohen Niveau. Die Justizsenatorin des Landes, Gisela von der Aue (SPD), will sich deshalb dafür einsetzen, das Opioid künftig ohne Ausnahme dem Betäubungsmittelgesetz zu unterstellen: Patienten könnten Tilidin-haltige Arzneimittel dann nur noch auf Vorlage eines schwer fälschbaren BTM-Rezeptes erhalten.
Im vergangenen Jahr hatte das Landeskriminalamt (LKA) Berlin eigenen Angaben zufolge rund 2400 gefälschte Rezepte sichergestellt; in mehr als 90 Prozent der Fälle handelte es sich um Tilidin-Verordnungen. „Nur ein kleiner Teil der Vorfälle wird tatsächlich angezeigt, so dass wir davon ausgehen, dass die Dunkelziffer mindestens zehn Mal so hoch liegt“, sagte Daniel Abbou, Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Justiz gegenüber APOTHEKE ADHOC. Vor allem Jugendliche entdeckten Tilidin zunehmend für sich. Eine Drogenuntersuchung in der Berliner Jugendstrafanstalt habe ergeben, dass Tilidin nach Cannabis auf Platz zwei der am häufigsten konsumierten illegalen Substanzen liegt.
Die Berliner Apotheker sehen sich seit vielen Jahren mit gefälschten Rezepten konfrontiert und sind entsprechend sensibilisiert. Längst ist die illegale Tilidin-Beschaffung kein auf die Hauptstadt beschränktes Phänomen mehr. „Es gibt inzwischen einen regelrechten Tilidin-Tourismus“, sagt Abbou. Beim LKA Berlin registrieren die Beamten seit einiger Zeit die Flucht in andere Bundesländer. Im jüngsten Fall hatten Fälscher nach Angaben eines Sprechers versucht, vier Rezepte aus einer Berliner Diebstahlserie in Hessen einzulösen.
Der Berliner Senat strebt deshalb die Änderung des Rezeptstatus' an. Nach der Sommerpause will von der Aue die Problematik mit den Justizministern der anderen Länder besprechen. Abbou kündigte jedoch an, es seinen „keine Schnellschüsse“ zu erwarten. Um die anderen Bundesländer von der Notwendigkeit zu überzeugen, müssten zunächst harte Zahlen vorliegen. Genaue Daten über den Umfang des Missbrauchs fehlen bislang. Ohne belastbare Zahlen Daten könne man jedoch keine Bundesratsinitiative starten, so Abbou.
In Zukunft soll die Berliner Polizei deshalb gesondert erfassen, welche Straftaten unter Tilidin-Einfluss stattgefunden haben. Beim LKA wird derzeit ein Verdachtskalender erstellt, der Verhaltensauffälligkeiten beschreibt. Mit seiner Hilfe sollen die Beamten entscheiden, ob die Entnahme einer Blut- und Urinprobe sinnvoll ist. Zudem soll sich ein Runder Tisch aus Polizei, Justiz-, Innen- und Gesundheitsverwaltung künftig mit der Problematik beschäftigen.
Die Berliner Apothekerkammer und der Berliner Apotheker-Verein (BAV) warnen schon seit Langem vor der zunehmenden Tilidin-Problematik und begrüßten deshalb die Ankündigung der Senatorin. „Wir freuen uns, dass Frau von der Aue unsere Initiative unterstützt“, sagte Dr. Rainer Bienfait, Vorsitzender des BAV gegenüber APOTHEKE ADHOC. Im Mai vergangenen Jahres hätten Kammer und Verein zusammen mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Bundesopiumstelle erfolglos darum gebeten, Tilidin voll dem Betäubungsmittelgesetz zu unterstellen. Offenbar habe die Datenlage die Experten nicht überzeugt. so Bienfait. Auch wenn der neue Status mit einem erhöhten Dokumentationsaufwand in der Apotheke verbunden sei, hält Bienfait die Änderung für einen richtigen Schritt. Apotheker würden dann nicht länger als „unfreiwillige Dealer missbraucht“.
Tilidin ist ein Betäubungsmittel mit hohem Abhängigkeitspotenzial, das in Kombination mit dem Opioidantagonist Naloxon nur der normalen Verschreibungspflicht unterliegt. Die Kombination wurde gewählt, um der missbräuchlichen intravenösen Anwendung durch Heroinabhängige vorzubeugen. Bei oraler Gabe wird Naloxon in der Leber abgebaut, so dass Tilidin seine analgetische Wirkung entfalten kann.