TI-Ausfall: THW verteilt Papierrezepte Patrick Hollstein, 17.02.2024 07:59 Uhr
Eine Stunde lang war die Telematikinfrastruktur (TI) am Mittwoch nicht zu erreichen, so konnten E-Rezepte weder ausgestellt noch eingelöst werden. Obwohl der Spuk schnell vorbei war, lieferte er einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie gravierend eine solche Störung werden kann. Doch es gibt schon eine Lösung.
Bei der Gematik gibt es einen Ordner mit Standardsätzen, die bei Störungen oder ähnlichen Zwischenfällen genutzt werden sollen. Einer davon lautet: „Bei Problemen bei der Verwendung des E-Rezeptes in dieser Zeit, empfehlen wir, es zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu versuchen oder vorübergehend auf das Ersatzverfahren Muster 16 zu wechseln.“
Das ist natürlich wenig hilfreich, wenn man als Apothekerin oder Apotheker im Notdienst in der Apotheke steht und in dieser Zeit Wartungsarbeiten durchgeführt werden. Denn schließlich lässt sich ohne Zugang zur TI noch nicht einmal nachvollziehen, welches Medikament überhaupt verordnet wurde. Zwischenfazit der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens: Als Apotheke kann man seit der Einführung des E-Rezepts nichts bis gar nichts mehr tun, wenn sich die elektronische Gesundheitskarte (eGK) partout nicht auslesen lassen will.
Der Ausfall am Mittwoch zeigte einmal mehr, wie schnell die Versorgung zusammenbricht, wenn das System flächendeckend den Geist aufgibt. Auch hier gab es wieder den Hinweis, einstweilen auf das gute alte Papier zurückzugreifen. Immerhin ist ja im Bundesmantelvertrag der Ärzte geregelt, dass das herkömmliche Muster-16 als Ersatzverfahren zu nutzen ist.
Keine Papierrezepte mehr da
Aber diesbezüglich gab es eine böse Überraschung: Einige Kolleginnen und Kollegen hatten, nachdem ihre Systeme nur noch „rot“ anzeigten, gemäß Gematik-Anweisung sofort Kontakt mit ihren Praxen aufgenommen, um sie auf den Ausfall hinzuweisen und zur Umstellung auf Papierrezept anzuhalten. Überraschende Antwort: „Wir haben gar keine Muster-16 mehr da.“
Und so kommt es, dass ein Ersatzverfahren für das Ersatzverfahren eingeführt wird: Mit sofortiger Wirklung beschafft der Bund 1000 Muster-16-Formulare und lagert diese zentral im ehemaligen Impfstofflager der Bundeswehr im niedersächsischen Quakenbrück ein. Sobald die TI wieder einmal ausfällt, wird das Technische Hilfswerk (THW) mit der sofortigen Auslieferung beauftragt. Die Einsatzwagen fahren alle Gemeinden mit mindestens 1001 Einwohnern an und halten an zentraler Stelle (Marktplatz, Bürgermeisteramt, Fleischerei o.ä., perspektisch auch Gesundheitskiosk). Sirenen weisen die umliegenden Arztpraxen auf das Eintreffen der dringend benötigten Zettel hin. Pro in der Praxis angestellter MFA können dann 20 Blankos abgeholt und für die Verordnung dringend benötigter Medikamente genutzt werden.
Sternstunde für Lieferdienste
Und damit in einer solchen Krisensituation die öffentliche Ordnung nicht gefährdet wird, dürfen nur die Patientinnen und Patienten selbst sowie Verwandte ersten Grades die physischen Verordnungen abholen und in der nächstgelegenen Apotheke einlösen. In allen anderen Fälle werden Lieferdienste wie Uber oder Wolt beauftragt, die für die Vorhaltung der erforderlichen Kapazitäten entsprechend öffentlicher Ausschreibung eine monatliche Bereitschaftsprämie abrechnen können.
Die Abda ist froh, mit ihrer Stellungnahme im Anhörungsverfahren noch Schlimmeres abgewendet zu haben. Die ursprünglichen Pläne von Gesundheitswesendigitalisierungsminister Karl Lauterbach (SPD) hatten nämlich vorgesehen, dass jede Ärztin und jeder Arzt einen Schlüssel zur nächstgelegenen Apotheke erhält und somit bei TI-Ausfall schnell selbst rüberhuschen und die benötigten Medikamente gänzlich ohne Rezept abgeben könnte („Selbstdispensationsmodus I“). Die Kassen hatten noch die Idee ins Spiel gebracht, die Apotheken gleich komplett aus der Versorgung zu streichen („Selbstdispensationsmodus II“), wurden aber von Lauterbach auf später vertröstet.
Bummeln mit Bonus
Doch des einen Leid, des anderen Freud: Während die Apotheken vor Ort die zahlreichen Kinderkrankheiten und Unzulänglichkeiten des E-Rezepts ausbaden müssen – und für den extremen Mehraufwand keinerlei Honorierung, geschweige denn Belohnung sehen – geben sich die Versender in Feierlaune: 50 Milliarden Euro warten angeblich nur darauf, mit nach Holland umgeleitet zu werden. Alles nur eine Frage der Zeit.
Allerdings wachsen am Kapitalmarkt die Zweifel, dass das E-Rezept wirklich ein Selbstläufer ist. Die Schweizer Großbank UBS sieht nur ein Kursziel von 29 Franken – ein Drittel dessen, was die Aktie derzeit an der Börse wert ist. Es gebe „gute Gründe“ für die Annahme, dass der Versandanteil bis 2028 nicht auf die berühmten 10 Prozent wachse, sondern vielleicht „nur“ auf die Hälfte. Das wäre allerdings immer noch fünfmal so viel wie heute – will heißen: Ohne die Fantasie müsste das Kursziel also 6 Franken lauten, die Risiken noch gar nicht eingepreist.
Um solche düsteren Gedanken zu zerstreuen, versprach DocMorris-CEO Walter Hess mal nebenbei im Handelsblatt, dass das neue Verfahren Ende des Monats kommen könnte. Dass es noch nicht einmal die Spezifikation gibt, geschweige denn die Zulassung, erwähnte er nicht.
Gekaufte E-Rezepte
Um zumindest den Anschluss nicht komplett zu verlieren, spendieren DocMorris und Shop Apotheke daher wieder Rx-Boni. Das ist zwar illegal, aber momentan gilt die Devise: lieber gekaufte E-Rezepte als gar keine E-Rezepte.
Solch eine Einstellung zum Geld würde man sich im Bundesgesundheitsministerium (BMG) auch von den Apotheken wünschen. Aber die nörgeln jetzt auch noch wegen eines blöden Skonto-Urteils rum. Als ob die darauf angewiesen wären... Eine Milliarde Euro an Soforthilfe fordert die Abda – das sind zwar 1,7 Milliarden weniger als noch im Sommer, aber immer noch eine Milliarde mehr, als der Minister ihnen zugestehen will. Naja, man muss ja bei einer Struktur- und Honorarreform auch nicht ausgerechnet diejenigen um ihre Meinung fragen, die davon betroffen sind. Wobei an dieser Stelle klarzustellen wäre, dass die Abda bei ihren zahlreichen Gesprächen im BMG unglaublich viele Vorschläge gemacht haben will.
Bei den Ärzten sieht das anders aus. Auch hier war die Beziehung zuletzt ein wenig angekratzt, aber aktuell werden erstaunlich versöhnliche Töne angeschlagen: „Wir haben unsere Vorschläge in einem sehr guten und konstruktiven Gespräch mit dem Minister ausführlich vorgestellt und diskutiert sowie auf Arbeitsebene im BMG weiterbearbeitet“, lobt der Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa). „Unser Dialog mit dem BMG ist intensiv und konstruktiv.“ Na also, geht doch. Schönes Wochenende!