Tauschexperiment: Plötzlich arm – in der Apotheke Patrick Hollstein, 27.10.2018 07:54 Uhr
Dr. Christopher Hermann ist eine lebende Legende: Als zänkischer AOK-Rabattchef hat er die Generikaindustrie gebrochen – oder wie es der heutige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einst ausdrückte: die Zitrone ausgepresst. Dass man ihm nach zehn Jahren Limonen-Limbo nun ein paar tausend Euro mehr nicht gönnt, ist doch ein Unding. Um wieder sicherer im Umgang mit kleinen Beträgen zu werden, macht er beim Sat.1-Tauschexperiment „Plötzlich arm, plötzlich reich“ mit.
Mit seinem Gehalt von 260.000 Euro gehört Hermann zu den Topverdienern unter den Kassenchefs. Was ihm zu seinem Glück noch fehlt, wäre eine automatische Anpassung. 5000 Euro mehr pro Jahr, das findet sein Verwaltungsrat eigentlich angemessen. Sind ja nicht mehr als 2 Prozent. Leider spielt das Wirtschaftministerium als Aufsichtsbehörde nicht mit. Wird doch keine Retourkutsche sein? Der Fall geht jetzt vor das Bundessozialgericht (BSG).
Um in Kassel nicht als abgehobener Kassenkrösus dazustehen, der nur noch Millionen und Milliarden sieht, hat sich Hermann etwas einfallen lassen. Sieben Tage lang will er sein Leben publikumswirksam mit jemandem eintauschen, der am anderen Ende des sozialen Spektrums steht. Ein AOK-Versicherter? Zu durchschaubar. Eine Pflegekraft? Zu anstrengend. Kassierer bei Lidl? Zu eintönig. Lieber jemand, der trotz guter Ausbildung, hoher Verantwortung und langen Arbeitszeiten mit wenig Geld nach Hause kommt.
Die Idee mit der Apotheke hatten die Reporter vom Fernsehen. 2600 Euro plus ÖPNV-Ticket versus 260.000 Euro plus Dienstwagen, das würde sich doch gut gegenüber stellen lassen. Und irgendwann war auch klar, dass man in Sachsen würde drehen müssen. Kein Tarifvertrag, nur 95 Prozent des bundesweit ausgehandelten Gehalts, seit zwei Jahren stagnierende Löhne. Perfekt. Gedreht werden soll kurz vor Weihnachten in der Odler-Obodäge [Adler-Apotheke] in Zschopau im Erzgebirge.
Dass das Gehalt von Hermann dynamisiert werden soll, ist keine ausgedachte Geschichte. Während die Kassenchefs den Apothekern eine regelmäßige Anpassung des Honorars seit Jahren verweigern, soll eine sogenannte Gleitklausel seine steigenden Lebenshaltungskosten abfedern. Die Aufsicht lehnt ab, weil eine „Bezügeanpassungen auf Jahre hinaus“ nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Einklang zu bringen sei. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, klagt die AOK jetzt vor dem BSG.
Apothekenmitarbeiter, auch das ist eine traurige Wahrheit, stehen tatsächlich am anderen Ende der Einkommensskala, zumindest wenn sie PTA sind. Die Apothekengewerkschaft Adexa hat mehr als 3000 Kolleginnen und Kollegen befragt und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass zwar vielerorts über Tarif gezahlt wird, die Gehälter in sieben Kammerbezirken seit 2016 gemessen am Verhältnis zum Tarifgehalt aber gesunken sind.
Parallel zeichnet sich ab, dass die Angestellten länger arbeiten – weil das Geld sonst offenbar nicht zum Leben reicht. Tanja Kratt, Leiterin der Tarifkommission bei der Gewerkschaft, will den Inhabern nicht die Schuld geben. Sie findet, dass die Bundespolitik die Apotheken nicht ausreichend unterstützt. Stichwort: Blockade beim Honorar – Apotheker sind ja keine Ärzte, die für längere Sprechzeiten jährlich 600 bis 700 Millionen mehr bekommen sollen. Stichwort: Hängepartie beim Rx-Versandverbot – Christian Redmann ist mit seiner Petition im Bundestag vorerst abgeblitzt. Die ABDA will bis Anfang November entscheiden, welchen Plan B sie Spahn vorlegen will.
Doch es sind auch die Kassen, die die Apotheker in den Wahnsinn treiben. Während sich der GKV-Spitzenverband mit vier Monaten Verspätung in Sachen Valsartan zum Anwalt der Versicherten aufschwingt, torpediert die HEK die Versorgung der Patienten im Notdienst: Weil Michael Spöttl von der Sonnen-Apotheke in Kressbronn im Notdienst das fehlende Noctu-Kreuz nicht beachtet hat, strich die Kasse die Rechnung um 2,50 Euro. Dass der Kunde mit seiner Augenentzündung an jenem Sonntag schon 66 Kilometer erst zum Arzt und dann zur Apotheke zurückgelegt hatte, war für die Kasse kein Argument. Da könnte man sich doch glatt wünschen, als Notdienstapotheke von den Patienten gar nicht erst gefunden zu werden.
Wenn die Gegenseite knauserig ist, hilft nur eins: selber sparen. Wie wäre es anstelle der Umschau mit My Life, der neuen Kundenzeitschrift von Burda/Noweda zum Kampfpreis von 99 Euro? Oder einem kostenlosen Kinoabend mit Phoenix? Oder einfach mal die Zugaben der Hersteller weiterverkaufen? Aber auch beim Sparen gilt: Nicht übertreiben! Wer als Apotheker seinen geschäftlichen Bedarf etwa günstig beim potenziellen Systemfeind Amazon bestellen will, der sollte dringend ein paar Regeln der Treuhand beachten. Immer dran denken: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht – es sei denn, man gewährt Rx-Boni und kann die Richter überzeugen, dass man ein Urteil des Bundesgerichtshofs nun wirklich nicht verstehen konnte.
Das Letzte, was man in so einer Situation brauchen kann, sind Beratungsschnorrer. Leute, die mit einer Medex-Erkältungsbox unter dem Arm in der Offizin stehen und wissen wollen, wie oft sie das Ibuprofen zum Wick Medinait nehmen sollen. Oder die sich zu Wick Vaporub bei Müller gekauft haben und sich zu Risiken und Nebenwirkungen informieren wollen. Wenn Sie in eine solche Situation kommen, denken Sie an die Dinge, die ein Apotheker nie sagen würde. Und wünschen Sie höflich, aber bestimmt ein schönes Wochenende!