Selbstgenähte Atemmasken können beinahe den gleichen Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 bieten wie FFP2-Masken mit Filter – wenn man es richtig macht. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie aus den USA. Wissenschaftler des Argonne National Laboratory in Lemont bei Chicago hatten gängige Modelle selbstgenähter Masken auf ihre Filtereigenschaften untersucht und festgestellt, dass zweilagige Masken aus Baumwolle und Seide richtig getragen bis zu 90 Prozent der Partikel in der Größe der Viren filtern können. Eine Anleitung zum korrekten Tragen und Waschen von Masken finden sie hier zum Download.
Die landläufig bekannte Weisheit lautet, dass selbstgenähte und OP-Masken den Träger zwar nicht von einer Infektion schützen, wohl aber seine Mitmenschen, weil sie die verhindern, dass Infizierte Viren in die Umgebung abgeben. Den Ergebnissen der Forschergruppe um Professor Dr. Supratik Guha zufolge ist das allerdings nur die halbe Wahrheit: Guha, ehemaliger Leiter des Center for Nanoscale Materials des US-Energieministeriums, hatte mit seinen Kollegen untersucht, welche Filtereigenschäften selbstgenähte Masken aus den gängigsten Materialien bei für die Übertragung besonders relevanten Aerosolpartikeln von einer Größe zwischen 10 nm und 10 μm aufweisen – denn bisher hatte das wohl niemand getan.
„Bisher herrschen begrenzte Kenntnisse zur Filterleistung verschiedener gängiger Materialien, die in selbstgenähten Atemmasken verwendet werden“, heißt es in der Studie, die am Freitag in ACS Nano, einer Fachpublikation der American Chemical Society, veröffentlicht wurde. Da Guha nach eigenen Angaben schon vor Wochen absehen konnte, dass bald auch im Bundesstaat Illinois, in dem das Institut liegt, eine allgemeine Maskenpflicht verhängt wird. „Ich habe das kommen sehen“, sagte er der Chicago Tribune. „An dem Punkt wurde mir allerdings bewusst, dass es bisher kaum wissenschaftliche Daten zur Filterleistung von Stoffmasken gibt.“ Also legten Guha und seine Leute sich ins Zeug.
Innerhalb von etwas mehr als einer Woche testeten sie 15 gängige Materialien und deren Kombinationen, darunter grobe und feine Baumwolle, Flanell, natürliche und synthetische Seide, Spandex Polyester, Satin und Chiffon. Dazu benutzten sie eine Apparatur, die aus einem Aerosolgenerator und zwei Kammern besteht, die durch ein PVC-Rohr verbunden sind, über dessen Ende sie die jeweiligen Masken spannten. Der Aerosolgenerator kann Partikel von wenigen Dutzend Nanometern – ein einzelnes Wasserstoffatom misst circa 0,1 nm – bis zu rund 10 μm erzeugen, die vor und nach der Passage durch den Stoff mit einem Spektrometer und einem optischen Partikelgrößenmessgerät analysiert wurden. „Wir haben sieben oder acht Tage lang intensiv experimentiert und nachts die Analysen laufen lassen, sodass wir am nächsten Tag bereits die Daten hatten“, erklärt Guha. „Wir hatten das Bedürfnis, diese Daten möglichst schnell der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Parallel zu den selbstgenähten Masken testeten Guha und sein Team auch gängige OP-Masken sowie solche nach dem US-amerikanischen N95-Standard, der der Europäischen Norm (EN) FFP2 entspricht. Als Ergebnis konnten sie ein Ranking verschiedener Stoffe und Herstellungsvarianten nach deren Filtereigenschaften erstellen – und deren Spanne ist groß. Die Effektivität reicht bei einlagig vernähten Stoffen von 5 bis 80 Prozent bei Partikeln kleiner als 300 nm und 5 bis 95 Prozent bei Partikeln größer als 300 nm. Zum Vergleich: Bei einer N95-Maske betrugen sie im Test rund 85 Prozent bei Partikeln unter 300 nm und 99,9 Prozent bei Partikeln darüber. Bei einer OP-Maske waren es rund 76 und 99,6 Prozent.
Besonders effektiv sind demnach natürliche Seide und Baumwolle, wobei bei letzterer gilt: Je feiner der Stoff, desto höher die Filterwirkung. Die lässt sich aber nicht nur mit der Wahl des Stoffes, sondern vor allem mit der Wahl der Nähweise steigern. „Der Wirkungsgrad lässt sich erhöhen, wenn mehrere Lagen übereinander oder bestimmte Kombinationen aus verschiedenen Stoffen verwendet werden“, heißt es in der Studie. Die Kombinationen Baumwolle/Seide, Baumwolle/Flanell und Baumwolle/Chiffon haben demnach im Schnitt über 80 Prozent der Partikel unter 300 nm und über 90 Prozent der Partikel darüber herausgefiltert. Besonders wirksam sei die Kombination aus feiner Baumwolle außen und natürlicher Seide innen: Sie hat rund 94 Prozent der größeren Partikel herausgefiltert – und ist demnach zumindest in dieser Kategorie sogar effektiver als eine N95-Maske. Auch bei den Partikeln unter 300 nm liegt sie mit rund 98,5 Prozent nur knapp hinter der professionellen Maske. Als ebenfalls sehr effektiv hat sich eine denkbar einfache Maskenkonstruktion herausgestellt: vier Lagen Seide übereinander. Es geht aber auch ohne Seide: eine Maske, die aus zwei Lagen Baumwolle besteht, zwischen denen sich eine Watte aus einem Baumwolle-Polyester-Gemisch befindet, habe sich auch als sehr effektiv herausgestellt.
Über die Ursachen für diese überraschend hohe Effektivität können auch Guha und sein Team bisher nur spekulieren. „Wir vermuten, dass die erhöhte Leistungsfähigkeit wahrscheinlich auf den kombinierten Effekt aus mechanischer und elektrostatischer Filterung resultiert“, heißt es in der Studie. „Insgesamt kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Kombinationen aus verschiedenen leicht beschaffbaren Stoffen in Atemmasken potentiell einen signifikanten Schutz gegen die Übertragung von Aerosol-Partikeln bieten können.“ Dazu muss jedoch eine wichtige Voraussetzung erfüllt sein: Die Maske muss richtig sitzen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lücken am Rand der Maske deren Wirkungsgrad um über 50 Prozent verringern können, und zeigen damit, wie wichtig der richtige Sitz der Maske ist.“ Und das gelte schon bei sehr kleinen Lücken: Im Versuchsaufbau wurden dazu kleine Löcher in die Masken gestochen, die lediglich rund 1 Prozent von deren Fläche ausmachten – nach eigenen Angaben können sich die Autoren nicht erklären, warum bereits ein so kleines Loch einen prozentual so großen Verlust an Filterleistung ausmacht. „Es ist nicht klar, ob spezielle aerodynamische Effekte diesen Leckverlust verstärken“, so die Autoren. Zukünftige Studien müssten vor allem diesen Aspekt genauer untersuchen.
Allerdings, so wendet das Wissenschaftlerteam ein, müsse bei der Einschätzung der Aussagekraft der vorliegenden Daten auch die weite Spanne der Partikelgröße beachtet werden, da noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt ist, welche Aerosolpartikelgröße bei der Übertragung von Sars-CoV-2 besonders relevant ist. Es sei davon auszugehen, dass bei der Übertragung im öffentlichen Raum vor allem kleine Partikel von Bedeutung sind, schlicht weil sie länger in der Luft verbleiben, bevor sie aufgrund der Schwerkraft zu Boden sinken. Und bei diesen besonders kleinen Partikeln zeigte sich die getestete N95-Maske allen selbstgenähten weiterhin überlegen.
Außerdem wurden bei den Experimenten mindestens zwei – im Alltagsgebrauch möglicherweise entscheidende – Punkte nicht berücksichtigt: Die Materialien waren jeweils neu – welche Auswirkungen eine oder mehrere Wäschen auf die Filterfähigkeit des Materials haben, wurde nicht erhoben. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, dass empfohlen wird, die Masken täglich bei 80 bis 90 Grad Celsius zu waschen – was sich bei vor allem bei natürlicher Seide in den meisten Fällen als schwierig herausstellen dürfte: Der Stoff ist besonders empfindlich, bei handelsüblicher Seide wird in der Regel empfohlen, sie nicht heißer als 30 Grad Celsius zu waschen, da er sonst Schaden nehmen kann. Selbstgenähte Einwegmasken mit Seide dürfte die Breite der Bevölkerung allerdings nicht als allzu erschwinglich betrachten.
Ebenfalls außer Acht gelassen wurde der Einfluss der Nutzung: Viele Heilberufler kritisieren, dass das durchgehende Tragen von Stoffmasken schon an sich eine Krankheitsgefahr birgt. Im durch die Atemluft entstehenden feuchtwarmen Milieu im Stoff vor dem Mund gedeihen Bakterien und andere Krankheitserreger, die wiederum selbst Atemwegserkrankungen begünstigen oder gar verursachen können. Darüber hinaus kann die durchgehende Befeuchtung aber auch Einfluss auf die Filtereigenschaften der benutzten Stoffe haben – welche, dazu gibt es allerdings noch keine validen wissenschaftlichen Daten.
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