Die Debatte um die Namen von Mohren-Apotheken reißt nicht ab. Auch die Hof-Apotheke zum Mohren im hessischen Friedberg steht seit Wochen in der Kritik von Aktivisten, die eine Umbenennung fordern. Und der Streit schaukelt sich immer weiter hoch, es gibt Petitionen für und gegen die Umbenennung. Vorvergangenes Wochenende organisierten Aktivisten eine Demonstration – Befürworter und Gegner der Umbenennung standen sich vor der Apotheke gegenüber. Inhaberin Dr. Kerstin Podszus suchte daraufhin die Flucht nach vorne: Sie gab eigens eine Pressekonferenz und erneuerte ihr Gesprächsangebot an die Aktivisten. Doch ein Gespräch kam bisher nicht zustande – beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, daran nicht interessiert zu sein.
Die Debatte ist im Wesentlichen dieselbe wie auch in Wien, Kiel,Wolfsburg oder Kassel: Beide Seiten üben sich in Exegese und wollen deutlich machen, warum der Begriff Mohr nicht oder eben doch rassistisch ist. „Man wählte diesen Namen aus gutem Grund, weil man wusste, dass der Mohr nach alter Tradition die hohe Apothekerkunst symbolisiert. Es galt als Auszeichnung, dass hochqualifizierte Mohren bei europäischen Fürsten Salben, Arznei und Heilmittel zubereiteten, um Schmerzen zu lindern und Gesundheit herbeizuführen“, erklärte Rechtsanwalt Konrad Dörner als Podszus‘ rechtlicher Beistand auf der Pressekonferenz am vergangenen Samstag.
Der Begriff stamme nicht vom griechischen „moros“ für „dumm“ oder „einfältig“, sondern von den Mauren ab. „Diese Mauren hatten das beste Wissen um heilkräftige Salben und Arzneimittel. Sie galten in Mitteleuropa in der Apothekerkunst als fortschrittlich und innovativ. Sie kamen aus dem Morgenland, wo in Bagdad schon vor 800 Jahren die erste Apotheke bestand und wo zuerst die hohe Kunst der Anfertigung von gut wirkenden Arzneien und Heilmitteln, Salben und Gesundheitsmitteln entwickelt und gepflegt wurde“, so Dörner. „Die Bezeichnung Mohr galt zu keiner Zeit als Kränkung oder als rassistisch, sondern gilt damals wir heute als besondere Wertschätzung sowie als Gütesiegel oder als Kompliment.“ Es sei die Hochachtung für diese Leistung, die Familie Podszus fühle sich dieser fortschrittlichen und innovativen Heilkunst der Mauren oder Mohren aus dem Mittelalter bis heute verpflichtet.
Aufseiten der Gegner klingt das freilich ganz anders. Nicht nur führen sie eine andere Begriffsherkunft ins Feld, sie betonen insbesondere die Geschichte hinter der Bezeichnung. Selbst wenn das Wort vonseiten weißer Menschen positiv gemeint gewesen sein sollte, stehe dazwischen noch die Geschichte von Ausgrenzung, Ausbeutung und Abwertung, die schwarze Menschen in den zurückliegenden Jahrhunderten zu ertragen hatten. Außerdem handele es sich um eine Fremdbezeichnung für einen Teil von Menschen, die pauschaler nicht sein könnte, schließlich ist das einzige verbindende Element die Hautfarbe. Wenn Menschen diese pauschale Zuschreibung, die bei ihnen auch noch negative Erfahrungen triggert, nicht akzeptieren wollen, sei das zu respektieren.
Statt, wie schon in den vergangenen Jahren mehrmals geschehen, eine Begriffsdebatte zu führen, wollten in Friedberg eigentlich beide Seiten zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Doch nach beiden Darstellungen scheiterte das bisher an der jeweils anderen Seite. Ousman C. ist freischaffender Künstler und Hip-Hop-Tänzer aus Friedberg, gemeinsam mit einem Netzwerk aus Unterstützern hat er sich zum Ziel gesetzt, eine Umbenennung der Apotheke zu erreichen. Dabei sei er bei Podszus auch erst auf offene Ohren gestoßen, erzählte er der Frankfurter Rundschau: „Sie war super nett und verständnisvoll, nachdem wir ihr erklärt haben, was wir wollen.“ Vor einem eigentlich für zwei Wochen später vereinbarten Gesprächstermin drücke sich Podszus aber, teilweise mit fadenscheinigen Ausreden, so der Vorwurf. So seien sie abgewimmelt worden und einmal sogar eine Telefonstörung vorgetäuscht worden.
Bei Podszus stellt sich die Situation hingegen ganz anders dar. Sie und Dörner seien aktiv auf die Aktivisten zugegangen, haben – auch in der Pressekonferenz – ihr Gesprächsangebot erneuert, würden aber wiederum bei den Aktivisten auf taube Ohren stoßen. Dabei hatten die ihnen eine ganz konkrete Möglichkeit gegeben, sich an sie zu wenden: Denn am Samstag vor zwei Wochen veranstalteten sie eine Demonstration samt Kundgebung und Tanzeinlagen. Podszus war die Situation nach eigenen Angaben äußerst unangenehm, weil sie sich von mehreren der Tänzerinnen bedrängt fühlte, rief sie gar die Polizei. „Es wurde von den Rednern eine ziemlich aggressive Stimmung verbreitet, das war teilweise richtige Hetze“, sagt sie. Dass sich zu den nach ihrer Schätzung rund 80 Demonstranten auch noch um die 30 Unterstützer versammelten, die sich schützend vor die Apotheke stellten, habe die konfrontative Stimmung nicht gerade gemildert.
Dennoch habe sie gemeinsam mit Dörner versucht, einen Dialog zu ermöglichen. Nach der Kundgebung sei er zu den Organisatoren gegangen und habe versucht, ihnen ein Gesprächsangebot zu unterbreiten. Die hätten jedoch darauf bestanden, dass ein Austausch nur schriftlich per E-Mail stattfinden könne – ein echter Austausch sei daraufhin nicht zustande gekommen, „was ich und insbesondere Frau Dr. Podszus bedauern, weil offensichtlich von Seiten der Demonstranten als Voraussetzung für das Gespräch gilt, dass Frau Dr. Podszus vorher erklärt, dass sie den Namen der Apotheke ändern wird, und das ist für uns jetzt schwierig“, so Dörner. „Wir hatten und eigentlich vorgestellt, dass wir zunächst zuhören und auch mit den Vertretern der Demonstranten oder den Initiatoren der Demonstration ins Gespräch kommen, um unsere Gedanken auszutauschen – auch um die Motivation von Frau Dr. Podszus für die Beibehaltung des Namens entsprechend mitzuteilen.“
Also wechselte Podszus die Strategie: Sie ging in die Offensive. „Den Mittwoch nach der Demo haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was wir nun tun können“, erzählt sie. „Innerhalb von zwei Tagen haben wir dann die Pressekonferenz auf die Beine gestellt.“ In der distanzierten sie sich von jeglichem Rassismus, versuchten Verständnis für die Sicht der Aktivisten zu zeigen und erneuerten explizit ihr Gesprächsangebot und kündigten eine erneute Petition für die Beibehaltung des Namens an. Denn Podszus hat die Debatte schon einmal geführt, als im benachbarten Frankfurt 2018 ein Streit um die dortigen Mohren-Apotheken entbrannte. Podszus behalf sich damals mit einer Petition, die sich gegen die Forderungen stellte. Damals wie heute sei das auf Betreiben der Kundschaft zustande gekommen, beteuert sie. „Die Leute kamen reihenweise in die Apotheke und fragten ‚Wo können wir unterschreiben, damit Sie Ihren Namen behalten können?‘“, erzählt sie.
Ihre Petition konkurriert nun mit der der Aktivisten und zumindest nach Unterzeichnerzahlen ist der Stand eindeutig: Knapp 900 Menschen unterschrieben für die Umbenennung der Apotheke, über 25.000 hingegen für die Beibehaltung des Namens. Die Zeit scheint also für Podszus zu spielen. Sie hoffe, dass sich das Thema verläuft, sollten die Aktivisten sehen, dass sie nicht genug Unterstützung mobilisieren können.
Ihrer Auffassung nach sollte das besser früher als später geschehen: „Ich fahre jeden Tag mit einem mulmigen Gefühl hierher, weil ich nie weiß, was noch passieren könnte. Nicht, dass mir jemand die Apotheke beschmiert oder die Scheiben einschmeißt.“ Vor allem wolle sie sich wieder auf das konzentrieren, wozu sie eigentlich da ist. „Es ist ja nicht so, dass ich mich vorher gelangweilt hätte“, sagt sie. „Im Moment schaffe ich ja kaum noch meine eigene Arbeit in der Apotheke.“
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