Witwer verklagt Pfusch-Apotheker APOTHEKE ADHOC, 24.02.2017 11:27 Uhr
Der Bottroper Apotheker Peter S. wird sich gegenüber den Hinterbliebenen seiner vermeintlichen Opfer verantworten müssen. Eine auf Medizinrecht spezialisierte Kanzlei aus Nordrhein-Westfalen bereit in mehreren Fällen Klagen vor. Einer ihrer Mandanten geht mit dem Schicksal seiner verstorbenen Frau an die Öffentlichkeit.
Die Bild im Ruhrgebiet berichtet über den Fall von Hannelore D. Die 70-Jährige litt an Krebs, wurde mit Medikamenten aus der Apotheke von S. behandelt. Zunächst schlug die Therapie an, doch später ließ die Wirkung plötzlich nach. „Für alle Fachleute war das unerklärlich. Die Tumor-Marker schnellten in die Höhe“, schildert ihr Mann.
Er ist überzeugt, dass der Apotheker seine Frau auf dem Gewissen hat. Hannelore D. verstarb im April 2016. Der Witwer will den Pharmazeuten verklagen, genauso wie andere Geschädigte und Hinterbliebene auch. Seiner Anwältin Sabrina Diehl zufolge legen erste Tatsachen nahe, dass Peter S. die Medikamente für Hannelore D. geliefert hat. Nun müsse er beweisen, dass er im konkreten Fall die richtige Dosierung gewählt hat. „Es ist ein abartiger Fall von Habgier auf Kosten krebskranker Patienten“, so Diehl gegenüber der Bild.
Die Staatsanwaltschaft Essen will konkret beweisen, welche Infusionslösungen S. gestreckt hat. Der kausale Nachweis sei schwierig. „Aber wir bemühen uns und lassen in der Beweisführung nichts unversucht“, so Oberstaatsanwältin Anette Milk.
Gemeinsam mit den behandelnden Ärzten wurden zehn Patienten ausfindig gemacht, die noch kurz vor der Verhaftung mit Zubereitungen aus der Apotheke behandelt wurden und die nach dem Abbruch noch keine neue Therapie erhalten hatten. Ihnen wurden im Dezember vorsorglich Blutproben entnommen und zur Beweissicherung eingelagert. „Wir erhoffen uns, anhand der Blutproben den Nachweis führen zu können, was wirklich in den Infusionslösungen enthalten war.“
In Essen wurde sogar erwogen, kürzlich verstorbene Patienten zu exhumieren, die mit Präparaten aus der Apotheke behandelt wurden. Ein Onkologe, der die Staatsanwaltschaft berät, sah laut Milk vor allem bei Rituximab die Chance, so den Einsatz gestreckter Lösungen nachweisen zu können. Von den Plänen wurde aber Abstand genommen, da von den Ärzten kein Fall gemeldet wurde, der die Kriterien erfüllt hätte.
S. soll in mindestens 40.000 Fällen Infusionen zur Krebsimmuntherapie abweichend von den individuellen ärztlichen Verordnungen zu gering dosiert haben. Mehrere Wochen lang wurde ermittelt, ein Abgleich von Abrechnungen und Lieferscheinen ergab Diskrepanzen. Am 29. November wurden die Geschäfts- und Privaträume durchsucht. Seitdem sitzt S. in U-Haft und schweigt.
Strafrechtlich verurteilt werden kann der Apotheker aber nur, wenn ihm tatsächlich im konkreten Einzelfall nachgewiesen wird, dass er bei Infusionslösungen falsche Wirkstoffmengen eingesetzt hat und dass dadurch Patienten zu Schaden gekommen sind.
Der 46-jährige Apotheker war auch Vertragspartner der Krankenkassen. S. hatte bei der Ausschreibung der Knappschaft Bahn-See (KBS) zwei Lose geholt; außerdem war er beim gemeinsamen Vertrag von GWQ und DAK dabei, der kürzlich gestartet ist. Wie jetzt bekannt wurde, gehörte S. auch zu den Nachzüglern bei den Open-house-Verträgen von SpectrumK. Die Kassen haben die Verträge ausgesetzt.
Bei der Herstellung soll er auch gegen Hygienevorschriften verstoßen haben. Laut Milk arbeitete er in normaler Straßenkleidung, teilweise seien die Infusionen nicht in steriler Umgebung an der Werkbank gefertigt worden. Mit den Kassen habe der Apotheker den vollen Betrag abgerechnet. Der finanzielle Schaden liege bei 2,5 Millionen Euro. Welchen gesundheitlichen Schaden der Apotheker angerichtet hat, ist offen.
S. sitzt in Untersuchungshaft, weil Fluchtgefahr besteht. Er verfüge über die finanziellen Möglichkeiten, sich ins Ausland abzusetzen und so seiner Strafe zu entgehen, so die Staatsanwaltschaft. Im Fall einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetzes und gewerbsmäßigen Betruges drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Obwohl es sich um eine ziemlich große Apotheke handeln soll, gibt es laut Staatsanwaltschaft keine weiteren Beschuldigten.
Anfang Dezember hatte die Bild-Zeitung berichtet, dass eine Angestellte ihrem damaligen Ehemann offenbart hatte, dass in der Apotheke Infusionslösungen gestreckt wurden. Sie soll darüber hinaus berichtet haben, dass zurückgenommene, bereits abgerechnete Infusionen erneut benutzt wurden: Teilweise sollen Altmischungen einfach für andere Patienten ausgegeben worden sein, zu denen sie überhaupt nicht passten, so die Bild. Der Mann habe auf der Grundlage der Aussagen seiner Ex-Frau den Fall zur Anzeige gebracht.