Auseinzelung

„Nicht alles, was Kassen von Apothekern verlangen, ist rechtmäßig“ Julia Pradel, 14.10.2015 15:21 Uhr

Berlin - 

Es sieht nicht gut aus für die Privilegierte Rats-Apotheke aus Uslar: Vor dem Landgericht Hamburg (LG) haben Inhaber Hermann Rohlfs und sein Team heute versucht, die Auseinzelung von Eylea (Aflibercept) zu verteidigen. Doch der Vorsitzende Richter Dr. Axel Enderlein stellte schon kurz nach Beginn der Verhandlung klar, man sei weiterhin der Auffassung, dass die Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) aus dem Jahr 2011 richtig gewesen sei. Die Richter hatten einer Apotheke verboten, Lucentis (Ranibizumab) auszueinzeln.

Da es sich bei Aflibercept um einen Wirkstoff handele, der biotechnologisch hergestellt werde, fielen entsprechende Präparate in den Geltungsbereich der EU-Verordnung 726/2004. Diese schreibt vor, dass bestimmte Arzneimittel nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn dafür eine Genehmigung erteilt wurde. Aus Sicht der Richter greift der Einwand, dass es sich bei den ausgeeinzelten Spritzen um Rezepturen handele, nicht: Schließlich sei in der Verordnung keine Ausnahme für Rezepturen vorgesehen.

Da der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem ähnlichen Fall zur Auseinzelung von Lucentis durch den Kölner Herstellbetrieb Apozyt auf die Ausnahmen für Rezepturen hingewiesen habe, müsse dieser Aspekt zwar auch berücksichtigt werden. Die Richter sind allerdings der Meinung, dass es sich bei den ausgeeinzelten Spritzen nicht um Rezepturarzneimittel handelt.

Die Zulassung des Originalherstellers greife nicht. Dies sei laut EuGH-Urteil nur dann der Fall, wenn das Abfüllen nur auf ärztliche Anweisung hin erfolge und das Arzneimittel nicht verändert werde. Letzteres sei aber der Fall, da sich die Haltbarkeit der Präparate ändere. Das sei ein ganz wesentliches Kriterium und eine klare materielle Veränderung des Arzneimittels. Und damit wäre eine neue Zulassung erforderlich.

Insgesamt zweieinhalb Stunden versuchten Rohlfs und seine Rechtsanwälte Thomas Krüger aus Uslar und Dr. Wolfgang Prinz, der bereits das Verfahren von Apozyt vor dem EuGH begleitet hatte, die Richter vom Gegenteil zu überzeugen. Sie argumentierten, dass die EU-Verordnung gar nicht vorgebe, ob ein Arzneimittel zugelassen sein müsse, sondern lediglich, wie dies im Zweifel zu geschehen habe. Daher greife das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) mit seiner Ausnahme für Rezepturen.

Doch selbst wenn die Verordnung anwendbar sei, müsse die Klage von Bayer abgewiesen werden. Schließlich greife dann das EuGH-Urteil, das Prinz zugunsten der Rats-Apotheke verstanden wissen wollte: Für das Präparat müsse keine neue Zulassung beantragt werden, da es nur auf ärztliche Verordnung hergestellt und nicht verändert werde. Dass die Zusammensetzung dieselbe bleibt, ist aus seiner Sicht „unstreitig“. Überhaupt sei die Frage, was eine Veränderung darstelle, eine offene Rechtsfrage.

Krüger ergänzte noch, dass der EuGH in seiner Urteilsbegründung erklärt habe, dass die Tätigkeit des Umfüllens ohne Apozyt von den Apotheken selbst durchgeführt würde. Auch das ist für ihn ein klares Indiz, dass der EuGH eine Ausnahme für Rezepturen eben nicht verbieten wollte. Die Unterschiede in der Haltbarkeit erklärten die Anwälte mit den unterschiedlichen Bestimmungen der Präparate: Das Fertigarzneimittel werde gelagert und durch Großhandlungen ausgeliefert, während die ausgeeinzelten Spritzen die anwendungsfertige Form des Medikaments seien.

Das wollte Richterin Dr. Stefanie Kohls so allerdings nicht stehen lassen: Schließlich hätten die Spritzen immer noch eine Haltbarkeit von mehreren Tagen und könnten somit auch zwischengelagert werden. Krüger brachte noch vor, man könne nicht die Haltbarkeit als Bezugspunkt heranziehen. Schließlich ändere sie sich, sobald man die Packung öffne.

Auch mit dem Argument, das Abfüllen der Spritzen selbst sei kein biotechnologischer Herstellungsschritt und die im Ergebnis hergestellten Spritzen unterfielen somit nicht der EU-Verordnung, drangen die Anwälte der Rats-Apotheke nicht durch. Kohls stellte klar, dass die Regelung aus ihrer Sicht trotzdem greift.

Bayers Rechtsanwälte Dr. Ulrich Reese und Dr. Christian Stallberg von der Düsseldorfer Kanzlei Clifford Chance machten es kurz: Die EU-Verordnung stelle ein klares Verbot dar. Das Arzneimittel werde beim Umfüllen verändert. Und Eylea sei ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel und bleibe es auch nach dem Abfüllen. Der Rats-Apotheke warfen sie vor, den Begriff des Rezepturarzneimittels aufzuweichen: Man könne sich gar keinen klareren Fall einer Nicht-Rezeptur vorstellen – schließlich würden wesentliche Fertigungsschritte vorab durchgeführt.

Rohlfs wandte noch ein, dass ein Verbot von Zubereitungen aus biotechnologisch hergestellten Fertigarzneimitteln dramatische Folgen hätte, etwa für die Restmengenverwertung im Bereich der Zytostatika. Für die Bayer-Anwälte war klar, dass in diesem Fall das Sozialgesetz geändert werden müsse. Und Richterin Kohls erklärte: „Nicht alles, was die Krankenkassen von den Apothekern verlangen, ist rechtmäßig.“

Zweieinhalb Stunden lang wurde die Sache „eingehend erörtert“, so das Fazit von Enderlein. Eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen, sie soll Mitte November verkündet werden. Am Nachmittag findet im Hamburg ein zweites Verfahren statt: Novartis will es Rohlfs untersagen lassen, Lucentis (Ranibizumab) auszueinzeln.

Die Urteile könnte weit reichende Folgen haben. Denn wenn Fertigarzneimittel weiterverarbeitet werden, müssten sich Apotheke oder Herstellbetrieb künftig strikt an die Zulassung halten. Wenn etwa der einmalige Gebrauch in der Fachinformation vorgesehen ist, können nicht mehrere Teilmengen verwendet werden.