Kommentar

Spahns Verteidigungspolitik

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Berlin -

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) steht wegen des verpatzten Impfstarts massiv unter Druck. Doch er setzt alles daran, politisch unversehrt aus der Krise zu kommen. Im Vorfeld des Impfgipfels am heutigen Nachmittag gab der „Verteidigungsminister“, wie ihn der „Spiegel“ passenderweise unlängst nannte, noch einmal alles – bis hin zum plötzlichen Auftritt mit Bayer. Doch die Mischung aus Ablenken und Beschuldigen sowie das Changieren zwischen Staatsmann und einfachem Mitbürger wirkt mittlerweile durchschaubar.

Den Anfang machte am Samstag ein virtuelles Townhall Meeting mit Pflegekräften und pflegenden Angehörigen. „Es kommen jede Woche Impfstoffe, und es werden auch mehr Zug um Zug“, gab sich Spahn gewohnt staatsmännisch. „Ich bitte einfach um ein Stück Vertrauen.“

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) schlug er dieselbe Tonart an: Das Leben sei zu komplex, um Entscheidungen nach reiner Lehre treffen zu können. Absolute Gerechtigkeit gebe es ohnehin nie, „in einer Pandemie leider auch nicht“. Und bei aller Kritik dürfe die „patriotische Erzählung, wie wir durch diese Krise kamen, nicht verlorengehen“: „Wir haben sie bezwungen, weil wir zusammengehalten haben. Dieses Gemeinschaftsgefühl müssen wir mitnehmen in die zwanziger Jahre.“

Kritik kam auch zur Sprache – Spahn nutzte die Frage, um sie direkt weiterzureichen: „Ich weiß, dass die Dinge nicht optimal laufen und dass die Terminvergabe viele nervt. Viele sind frustriert, weil der Impfstoff knapp ist. Das verstehe ich. Ich rede nichts schön. Darüber müssen wir sprechen.“ Über die Frage der Terminorganisation gesprochen hat er dann trotzdem nicht.

Und wohl ebenfalls kein Zufall: Während Spahn fabulierte, dass man das Gesundheitssystem nicht nur als Kostenfaktor sehen dürfe, gingen parallel die Meldungen über den Ticker, dass der Minister durchgegriffen und das viel zu hohe Apothekenhonorar für die Ausgaben von FFP2-Masken gekürzt habe.

Am Sonntagabend eine Zwischenstation bei „Berlin direkt“: Ja, er stehe als Gesundheitsminister in Verantwortung, aber es gebe wohl keine Entscheidung, die nicht von irgendjemandem als Fehler gesehen würde. Die einzige Alternative wäre Nichtstun, postulierte Spahn. Und das komme für ihn nicht in Frage. Mit der Aussage, dass man ja nach einem Jahr immerhin einen Impfstoff habe, kam er zwar nicht mehr so einfach davon. Aber man habe ja als Bund dreistellige Millionenbeträge investiert, insofern sei es nicht alleine eine Leistung der Wissenschaft, verlagerte er seine Verteidigungslinie.

Und erneut bezog er die Frage, welche Fehler er gemacht habe, nicht auf sich, sondern auf alle: Bund, EU und Länder – um abermals zu beteuern, dass er sich an gegenseitigen Beschuldigungen nicht beteiligen wolle. Fehler müssten aufgearbeitet werden, um daraus zu lernen, aber bitte später.

Weniger souverän am späten Abend sein Auftritt im „Bild Talk“. Getreu dem Motto „Die richtigen Fragen“ ließ Bild-Vize Paul Ronzheimer ihn nicht aus der Mangel. Warum er im Sommer nicht interveniert habe, als klar wurde, dass die EU zu zögernd bei der Bestellung von Impfstoff war? Spahn blieb im Ungefähren, den Brief an die EU-Kommission etwa wollte er bis zum Abdruck bei Bild gar nicht mehr gekannt haben.

Die Frage nach eigenen Fehlern deutete er abermals um: „Die Frage ist: Habe ich wider besseres Wissen etwas falsch oder nicht entschieden? Die Antwort ist: Nein. Wir alle entscheiden in Phasen von Unsicherheit in einer Pandemie und müssen immer wieder mit neuen Erkenntnissen auch Entscheidungen anpassen.“ Angesprochen auf seine eigenen Versprechen, räumte er ein, dass er diese immer unter Vorbehalt gegeben habe.

Spahn Rhetorik – wie immer streiterprobt. Vielen Fragen nahm er die Schärfe schon dadurch, dass er seine Antworten einleitete mit Formulierungen wie: „Also erst einmal ist es so, dass...“ Und in einem Akt von Übergriffigkeit bezog er sogar den Journalisten in eine Antwort mit ein: „Ich weiß nicht, ob Herr Ronzheimer heute noch zu allen Kommentaren steht, die er seit September veröffentlicht hat.“ Wer war noch mal Gesundheitsminister?

Und während erst AstraZeneca und dann Biontech zusätzliche Lieferungen in Aussicht stellen konnten, gelang Spahn am Montagvormittag noch ein vermeintlicher Coup. Gemeinsam mit Armin Laschet sekundierte er Curevac und Bayer, die nun auch noch gemeinsam produzieren wollen. Gut, erst ab 2022, aber auch dann brauche man ja noch Impfstoffe, so Spahn. Curevac, der abgeschlagene Hoffnungsträger bei dem der Bund über die KfW mit 300 Millionen Euro investiert ist. Bayer, der strauchelnde Pharmariese, in dessen Diensten bekanntlich der ehemalige DocMorris-Lobbyist Max Müller steht. Und mittendrin ein Minister, der sich über Wasser zu halten versucht.

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