Das Apothekenstärkungsgesetz wird sich nach Informationen von APOTHEKE ADHOC weiter verzögern. Dem Vernehmen nach dauert die Abstimmung mit der EU-Kommission länger als erwartet. Dem von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Auftrag gegebenen Gutachten zur Preisbindung könnte dabei noch eine entscheidende Rolle zukommen.
Eigentlich hatte man in Berlin Mitte Januar mit einem Votum aus Brüssel gerechnet. Spahn hatte bereits frühzeitig angekündigt, sich beim Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) mit der EU-Kommission abzustimmen. Spahn war im Dezember erneut in Brüssel. Und nach allem was man hört, kam er mit leeren Händen zurück nach Berlin. Die neu besetzte EU-Kommission ist einfach noch nicht so weit. Das BMG hält sich auf Nachfrage bedeckt: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zu laufenden Gesprächen keine Zwischenstände geben können.“ Und: „Die Bundesregierung befindet sich zur Zeit zum Gesetzentwurf in der Kabinettfassung in Abstimmungsgesprächen mit der Kommission.“
Dass Brüssel sich dem Thema jetzt sehr schnell annimmt, ist aber schon aufgrund der Neubesetzung der Kommission nicht zu erwarten, die Spahn im Sinne der Kontinuität bewusst abgewartet hatte. Nun ist Thierry Breton, der zuständige EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, aber erst seit Dezember im Amt und muss sein Team erst noch zusammenstellen. Die Klärung der Frage, ob sich ein Rx-Boni-Verbot für den GKV-Bereich im deutschen SGB V europarechtskonform verankern lässt, steht dabei sicher nicht ganz oben auf der To-do-Liste des neuen Kommissars, dessen Zuständigkeit um die Bereiche Verteidigung und Raumfahrt erweitert wurde.
Fest steht auch, dass die Regierung auf die Stellungnahme aus Brüssel warten und das VOASG nicht vorher auf die parlamentarische Reise schicken wird. So hat die SPD schon angekündigt, keinem Gesetz zustimmen zu wollen, dass europarechtlich nicht hält. Und nicht zuletzt mit Blick auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft ab Mitte des Jahres will sich die Bundesregierung kein erneutes Vertragsverletzungsverfahren einhandeln. Eine Blamage wie das Maut-Desaster von Andreas Scheuer (CSU) gilt es für Spahn und die gesamte Regierung zu vermeiden.
Untätig ist der fleißigste Minister im Kabinett nicht geblieben: Spahn hat bereits im November beim Iges-Institut und dem Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein Gutachten in Auftrag gegeben, um mögliche Auswirkungen „einer partiellen oder vollständigen Aufgabe der Preisbindung beziehungsweise der Gewährung von Boni bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ zu untersuchen.
Das BMG betont, dass man damit das eigene Vorhaben stärken will. Minister Spahn habe im VOASG „einen Vorschlag zur Regelung der Arzneimittelpreisbindung aller Marktteilnehmer, auch der ausländischen Versandapotheken, im Rahmen der Sachleistung in der Gesetzlichen Krankenversicherung gemacht“. Die Arzneimittel-Preisbindung – seit dem EUGH-Urteil ohne Wirkung für ausländischer Versender – werde dazu im SGB V gesetzlich verankert. „Das beauftragte Gutachten zur Bedeutung der Preisbindung für den Apothekenmarkt und für das gesamte Gesundheitswesen in Deutschland unterstützt die Gesetzesinitiative von BM Spahn mit empirischen Daten.
Nach den früheren Äußerungen der EU-Kommission zur deutschen Preisbindung gibt es zumindest berechtigte Zweifel, dass die Brüsseler Behörde das geplante Rx-Boni-Verbot vorbehaltlos akzeptiert. In diesem Fall bliebe die Frage, ob konkrete Bedingungen oder Vorschläge für eine europarechtskonforme Lösung formuliert werden. Eine Alternative ist dabei seit jeher im Raum: der Boni-Deckel. Spahn selbst hatte das – und zwar konsentiert mit der ABDA-Spitze – in seinem ersten Anlauf schon auf der Agenda.
Zwar hat sich die Unionsfraktion bislang gegen den Boni-Deckel ausgesprochen, aber dass die Positionen beweglich sind, hat am Mittwoch erst wieder Dr. Georg Kippels (CDU) bewiesen. Beim Neujahrsempfang des Apothekerverbands Köln kündigte er an, die AG Gesundheit der Union würde sich für ein Rx-Versandverbot einsetzen, wenn das Rx-Boni-Verbot nicht kommt. Dabei war es Kippels, der als einer der ersten Unions-Politiker öffentlich vom RxVV abgerückt war: „Nun sind wir realistisch genug zu sehen, dass so eine rigide Maßnahme bei einer Prüfung durch die EU möglicherweise Schiffbruch erleidet“, sagte er schon im März 2018. Am Mittwoch sagte Kippels wiederum, ein Boni-Deckel sei in der Unionsfraktion nicht kompromissfähig.
Und hier beginnt die Spekulation über den wahren Grund, wozu das BMG in dieser Phase ein Gutachten in Auftrag gegeben hat: Sollten die beauftragten Institute etwa zu dem Ergebnis kämen, dass eine begrenzte Aufhebung der Preisbindung – nämlich als zulässige Gewährung gedeckelter Rx-Boni – für die Apotheken wirtschaftlich die mildeste Variante wäre, hätten die Unionspolitiker eine veränderte Sachlage, auf die sich berufen könnte. Die SPD favorisiert den Boni-Deckel ohnehin. Dieser Mittelweg ist nur ein mögliches Ergebnis von Spahns Brüsselreise, aber sicher nicht das unwahrscheinlichste.
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