Impfen in der Apotheke kann ein Gamechanger sein. Denn das niedrigschwellige Angebot kann dazu beitragen, die Impfquoten zu steigern. Aber für die Apotheken fehlen die Anreize, denn der Service wird nicht ausreichend honoriert und aktuell saisonal begrenzt. „Das rettet keine Apotheke. Die Leistung muss sich betriebswirtschaftlich lohnen. Wenn Impfen nur ein Add-on ist, wird es auf die Dauer nicht funktionieren“, so Joachim Stolle, Vizepräsident der Berliner Apothekerkammer, beim Live-Talk zum Auftakt der APOTHEKENTOUR in Berlin. Weitere Gesprächspartner waren Rebecca Zeljar, Referatsleiterin beim Verband der Ersatzkassen (vdek) in der Landesvertretung Berlin/Brandenburg, und Ramin Heydarpour von Pfizer.
Stolle startet mit dem Impfen im Herbst. Nachdem die mangelnde räumliche und personelle Situation gelöst wurde, ist er startklar. Ein grundlegendes Problem müsse allerdings noch von der Politik gelöst werden, damit das Impfen für die Apotheken attraktiver sei: Das Impfspektrum müsse auf alle Totimpfstoffe ausgeweitet werden, denn bislang ist Impfen in der Apotheke nur ein Saisongeschäft. „Ich begrüße es sehr, wenn wir mehr Impfstoffe bekommen, wenn wir aus diesem saisonalen Setting rauskommen. Das ist eines der Probleme, warum die Quoten in der Apotheke noch gering sind“, so Stolle.
Unterstützung kommt von Zeljar. Welche Leistungen angeboten und angefordert werden können, dürfe nicht vom Namensschild am Eingang abhängen. Wichtig sei, dass die Versicherten, die diese Leistung haben wollten, diese auch bekämen. „Natürlich von geschultem Personal. Aber ob es die Arztpraxis oder die Apotheke ist, darf dauerhaft nicht die konkurrierende Frage sein.“
Apotheken könnten die Impfquote erheblich erhöhen, weiß Stolle. Denn Apotheken erreichten ein anderes Klientel als die Praxen. Zudem sei das Potenzial hoch, denn die Impfquoten seien hierzulande gering. Impfen in der Apotheke könne ein Gamechanger sein.
„Wir brauchen niedrigschwellige Angebote und müssen die Hemmschwelle abbauen, um die Impfquoten, die hierzulande leider unterirdisch sind, zu steigern“, so Zeljar. „Ohne die Öffnung der Apotheken wird es uns auch aufgrund des Wandels in der Versorgungslandschaft nicht gelingen.“
Dennoch brauche es Anreize für die Apotheken. „Das Thema ist immer die bessere Vergütung“, so Stolle. „Wir können Skaleneffekte heben, wenn wir die Totimpfstoffe bekommen.“ Zudem würden Apotheken immer routinierter, wenn mehr geimpft werde. Faktisch dürften nur Apothekerinnen und Apotheker impfen – das führe zu höheren Grundkosten im Vergleich zu den Praxen. Denn dort impften vor allem MFA, gibt Stolle zu bedenken. Hinzu kämen in den Apotheken ein hoher Dokumentationsaufwand und höhere Grundkosten der Räumlichkeiten. „So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben“, appelliert Stolle. „Das rettet keine Apotheke. Die Leistung muss sich betriebswirtschaftlich lohnen. Wenn Impfen nur ein Add-on ist, wird es auf die Dauer nicht funktionieren.“
Sollten auch PTA impfen dürfen? „Perspektivisch wahrscheinlich schon“, so Stolle, der selbst einmal diesen Beruf gelernt hat. „PTA sind unsere Universaltalente. Wir brauchen die PTA auch, um Rezepturen in der Apotheke herzustellen. Wir können den PTA nicht alle Tätigkeiten überhelfen, die es gibt, nur weil sie weniger Geld verdienen. Das ist ein zu schwaches Argument.“ Wenn es Heerscharen von PTA geben würde, dann könnte man über alles reden. Im Moment sei dies jedoch kein Thema.
„Das Thema Geld ist immer ein wichtiger Punkt“, stimmt Zeljar zu und sieht eine weitere Chance – vor allem bei Grippeimpfungen. Denn die hohe Verwurfsquote in den Arztpraxen koste die Kassen mehrere Millionen Euro. „Hätten wir einen gemeinsamen Pool für Grippeimpfstoffe, hätten wir weniger Verwurf und könnten das Geld für andere Dinge nutzen.“ Würden Praxen und Apotheken in diesem Punkt zusammenarbeiten und würde der Gesetzgeber Freiheiten gewähren, wären dort Potenziale, viele Millionen einzusparen.
„Die Industrie muss sich letzten Endes um die Verwürfe kümmern“, findet Stolle. Dass Apotheken sich bevorraten, ist vorstellbar, aber auf überlagerter Ware dürften Apotheken nicht sitzen bleiben.
„Das Impfen hat für Apotheken Vorteile – man hebt sich ab vom Versandhandel“, so Heydarpour. Aber es gibt noch einen anderen Punkt – die heilberufliche Position.
Zudem herrsche in den Apotheken ein anderes Klima als in den Praxen. Dies führe dazu, dass bei kompetenten Ansprechpartnern andere Themen angesprochen würden, gibt Zeljar zu bedenken. Fest steht: „Die Erhöhung der Impfquoten muss ein gemeinsames Anliegen sein.“ Es gehe nicht darum, dass die Praxis die Impfziffer abrechne.
Der Topf der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) wird bei Weitem nicht ausgeschöpft. Eine Idee wäre die Ausweitung der pDL auf einen Impfpasscheck. „Das wäre eine super Idee“, so Stolle. „Ich glaube, wir werden noch viele pDL auf Prävention beziehen – und Impfpasscheck wäre so etwas.“ Im Rahmen des Checks könnten fehlende Impfungen in der Apotheke nachgeholt werden; vorausgesetzt alle Totimpfstoffe dürfen in der Apotheke verimpft werden. „Apotheken haben die Gesundheitskompetenz und das Vertrauen der Menschen.“
Der 1. April ist nicht mehr weit. Dann ist die assistierte Telemedizin in den Apotheken erlaubt. „Das Thema ist eine riesige Chance für uns alle“, so Zeljar, „aber ich bin mir noch nicht sicher, ob nicht durch die Gegenwehr und das größere Konkurrenzdenken die Vorteile überschattet werden.“ Aber: Es müssen neue Wege gegangen werden. Der Versorgungsgedanke müsse im Vordergrund stehen.
Assistierte Telemedizin könne Notfallstellen entlasten und fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Praxen und Apotheken, weiß Heydarpour.