Sittsam am Pranger Patrick Hollstein, 09.06.2016 10:32 Uhr
Apotheker stehen unter besonderer Beobachtung – es geht um ihre Integrität, in die die Patienten uneingeschränkt vertrauen können sollen. Wer sich als Heilberufler in den rechtlichen Graubereich begibt, der spielt mit dem Feuer: Ihm droht neben strafrechtlichen Konsequenzen der Approbationsentzug. Aber ist das berufliche Todesurteil noch zeitgemäß? Ein Kommentar von Patrick Holllstein.
Der Apotheker in seiner Apotheke: Dieser Grundsatz gilt in Deutschland nach wie vor, auch wenn er von Kritikern gerne belächelt und als Anachronismus abgetan wird. Dabei sind Fremdbesitzverbot, Apothekenpflicht und Festpreisbindung genau genommen gar keine Privilegien, sondern ordnungspolitische Notwendigkeiten, um den Anspruch an die Verantwortlichen in der Arzneimittelversorgung überhaupt erst durchsetzen zu können: Der Apotheker haftet mit seiner gesamten beruflichen und privaten Existenz – wo gibt es so etwas heute noch?
Dass Apotheker und Ärzte mit einem totalen Berufsverbot bestraft werden, ist äußerst selten. Doch es gibt Fälle, in denen dieses letzte Mittel zum Einsatz kommt. Es geht um das ungetrübte Vertrauen der Bevölkerung in die Apothekerschaft, um „Untadeligkeit in allen berufsbezogenen Bereichen“ und darüber hinaus. Apotheker werden in der Rechtsprechung als ein „Element des wichtigen Gemeinschaftsguts der Volksgesundheit“ gesehen.
Hellhörig machen sollten einen aber die Einschränkungen, die von Parteien und Richtern in Verfahren zum Approbationsentzug regelmäßig vorgetragen werden: Auch den Angehörigen der Heilberufe sei heute nicht mehr in jeder Beziehung eine integre Lebensführung auferlegt, heißt es da. Unterstellt die Justiz einen Sittenverfall im Apothekenmarkt?
Man verkenne den in den vergangenen Jahrzehnten vollzogenen Wandel im Berufsbild des Apothekers, wenn man immer noch von einer „romantisch-idealisierten allgemeinen berufsbezogenen Apothekeruntadeligkeit“ ausgehe, versuchte vor einigen Jahren ein Pharmazeut seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, dem wegen Abrechnungsbetrugs die Approbation entzogen werden sollte.
Die Tätigkeit des Apothekers sei „nicht mehr durch persönliche Beratung, soziale und medizinische Betreuung und eine damit verbundene überragende Stellung innerhalb der Gemeinschaft geprägt“, sondern „vor allem auf den Vertrieb von Arzneimitteln gerichtet“, so sein Argument. „Die Geschäftsbeziehung zwischen dem Apotheker und seinen Kunden ist weitgehend anonym und nicht durch ein persönliches Vertrauen in die medizinischen Kenntnisse und die Beratungskompetenz des Apothekers gekennzeichnet.“ Deshalb seien an Apotheker keine strengeren moralischen Maßstäbe anzulegen als an jeden Anderen auch.
Man muss diese Einschätzung nicht teilen, um dem Kollegen in einem Punkt recht zu geben: Er machte „europarechtliche Wettbewerbslockerungen“ für die zunehmende Kommerzialisierung des Berufs verantwortlich – ein Phänomen, das heute aktueller scheint als je zuvor. Wer Apotheker in den ungleichen Wettbewerb mit ausländischen Kapitalgesellschaften stellt, bei denen der kalkulierte Rechtsbruch zum Geschäftsmodell gehört, der darf auf der anderen Seite keine Untadeligkeit erwarten.
Noch hält die Berufsehre aufrecht, was an Anerkennung verloren gegangen ist. Doch Politik und Kassen riskieren mit ihrer Nachlässigkeit – um nicht zu sagen: ihrem bewusst abschätzigem Verhalten – viel: Niemand wird sich auf Dauer als Leistungserbringer im Interesse der Patientensicherheit ausliefern, wenn ihm kein Schutz geboten wird vor ungerechtfertigten Eingriffen und unfairer Konkurrenz.
Wer einen Mietvertrag über zehn Jahre und mehr unterschreiben muss und mit der Ausübung seines Berufs auch seine private Existenz aufs Spiel setzt, der muss darauf vertrauen können, nicht permanent für Sonderopfer herangezogen zu werden und mit seinen formalen Fehlern das System zu finanzieren.
Es geht nicht um einen Freibrief für Apotheker, doch für Doppelmoral ist gerade im Gesundheitswesen kein Platz. Man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln: Ein Sittenverfall im Apothekenmarkt ist nicht zu beobachten, wohl aber im politischen Umgang. Verlierer ist am Ende immer der Verbraucher.
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