Am Donnerstag endet die Kammerwahl in Hessen, am Freitag werden die Stimmen ausgezählt. Apothekerin Christine Zentgraf aus Hilders im Ulstertal an der Grenze zu Thüringen hofft inständig auf einen Neuanfang. Denn die Haltung der Kammer gegenüber den Mitgliedern habe sie in ihrem Berufsleben wertvolle Lebenszeit gekostet.
Seit Anfang der 2000er-Jahre musste Zentgraf in ihrer Apotheke jede dritte Woche Notdienst leisten – und zwar komplett. Insgesamt 17 Wochen war sie mit ihrem Betrieb pro Jahr eingeteilt, zusammengerechnet habe sie in ihrem bisherigen Berufsleben also sieben Jahre lang ununterbrochen in der Apotheke gestanden. „Rückblickend muss ich schon sagen, dass ich viel verpasst habe. Oft konnte ich bei privaten Terminen mit meiner Familie einfach nicht mit.“
Was sie am meisten ärgert, ist die Tatsache, dass es alles hätte anders laufen können. Denn mittlerweile wurde der Notdienst reformiert – nachdem zahlreiche Inhaberinnen und Inhaber die Reform nachdrücklich bei der Kammer eingefordert hatten. Zentgraf selbst hatte vor einem Jahr sogar Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) angeschrieben, der sich dann für eine 30-Kilometer-Regelung eingesetzt hatte.
Nach dem neuen System ist Zentgraf nicht mehr an 121, sondern nur noch an 31 Tagen eingeteilt; im kommenden Jahr muss sie sogar nur 13 Notdienste absolvieren. „Das ist eine riesige Entlastung für uns. Aber da fragt man sich schon, wie das von jetzt auf gleich gehen kann.“ Sie gibt die Antwort selbst: „Die Kammer hat über Jahre hinweg nur über uns, aber nicht mit uns geredet – und immer wieder einfach über unsere Köpfe hinweg entschieden.“
Schon 2009 hatte die Apothekerin gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen darum gebeten, ihren Notdienstkreis mit dem des Raums Fulda zu verschmelzen, doch der Antrag wurde von der Kammer abgelehnt. „Wegen fünf bis acht Kilometern, denn damals galt noch die 20-Kilometer-Regelung“, so Zentgraf.
Umso erstaunter war sie, als sie vor circa sechs Jahren plötzlich einen Brief der Landesapothekerkammer Thüringen erhielt. In dem großen Umschlag war der komplette Notdienstplan des Nachbarbezirks auf der anderen Seite der Landesgrenze enthalten, darüber stand in Großbuchstaben das Wort „Anordnung“.
Während einem Kollegen aus ihrem Notdienstkreis auf Nachfrage bei der eigenen Kammer mitgeteilt wurde, dass er das Schreiben ignorieren könne, rief Zentgraf in der Geschäftsstelle in Erfurt an. Ob man denn jetzt für den Notdienst in Osthessen zuständig sei? Keineswegs, das Schreiben sei nur zur Kenntnis verschickt worden, habe es zur Antwort geheißen: Weil auch die Kolleginnen und Kollegen im äußersten Westen des Freistaats über Gebühr belastet gewesen seien, habe man die Planung aus Hessen berücksichtigt und verweise jetzt im Wechsel auf den dortigen Notdienst, so die Erklärung. Dadurch müssten die Apotheken in Grenznähe nicht mehr alle drei, sondern nur noch alle neun Wochen selbst Notdienst leisten. „Sie sind doch ohnehin da.“
Was dann noch in dem Gespräch herauskam, verschlug ihr den Atem: Man habe ja mit der Kammer in Hessen über einen grenzübergreifenden Notdienstkreis sprechen wollen, aber das sei abgelehnt worden, habe es von der Mitarbeiterin aus Thüringen geheißen. „Die Kammer wusste doch über unsere Probleme längst Bescheid, trotzdem hat sie es nicht für nötig gehalten, das Thema mit uns zu besprechen oder uns auch nur über den Vorschlag zu informieren.“
Dass sie überhaupt davon erfahren habe, sei ein riesiger Zufall gewesen. „Hätte ich nicht zufällig die Anordnung erhalten, hätte ich gar nicht nachgefragt.“ Zentgraf fragt sich, wie viele solcher Fälle es noch gegeben hat, in denen die Kammer einfach über die Köpfe der Mitglieder hinweg entschieden hat. „Das darf doch nicht passieren!“
Zentgraf hofft, dass es bei der anstehenden Kammerwahl endlich zu einem Neustart kommen wird. Sie hat sich der Liste 7 angeschlossen, die die langjährige Präsidentin Ursula Funke ablösen will. Sie hat in den umliegenden Apotheken Werbung für das zentrale Anliegen ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter gemacht, die Kammer so zu reformieren, dass sie wieder eine echte Standesvertretung für ihre Mitglieder werde. „An unserem Beispiel sieht man doch, wie unterschiedlich die Kammern mit den berechtigten Interessen der Apothekerinnen und Apotheker umgehen.“