Inhaber muss Apotheke abgeben

Sieben Bußgelder in zehn Jahren: Betriebserlaubnis weg Patrick Hollstein, 31.05.2024 15:29 Uhr

Die Landesdirektion Sachsen hat einem Apotheker aus Leipzig nach jahrelangem Ärger die Betriebserlaubnis entzogen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

In Leipzig schließt heute ein Inhaber zum letzten Mal seine Apotheke, dann muss er den Schlüssel abgeben. Denn die Landesdirektion Sachsen (LDS) als Aufsicht hat seine Betriebserlaubnis zum 31. Mai widerrufen. Grund sind mehrere berufs- und strafrechtliche Verstöße, die ihn aus Sicht von Behörde und Gericht in der Gesamtschau unzuverlässig gemacht haben.

Im Februar 1997 hatte der Apotheker seinen Betrieb im Stadtteil Stötteritz eröffnet, über Jahre hinweg war er immer in Konflikt mit der Aufsicht geraten. Neunmal war er zwischen 2005 und 2022 kontrolliert worden, und so gut wie jedes Mal tauchten neue Probleme auf. Wegen verschiedener Verstöße wurden seit 2014 in sieben Fällen Bußgeldern verhängt; hinzu kam 2019 ein Zwangsgeld, weil der Inhaber die Auflage ignoriert hatte, zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Betriebs einen Approbierten einzustellen.

Sieben Bußgelder, zwei Verurteilungen

Hinzu kamen zwei Verurteilungen – einmal wegen vorsätzlichen unerlaubten Inverkehrbringens gefälschter Arzneimittel und einmal wegen „Computerbetrugs“.

BtM gestückelt

Im ersten Fall ging es um sieben Umkartons verschiedener Betäubungsmittel, die bei einer Kontrolle waren im Dezember 2020 aufgefunden worden waren und in denen sich Blister unterschiedlicher Chargen befunden hatten. Insbesondere bei Fentanyl hatte der Apotheker die Blister also offenbar aus verschiedenen Verpackungen zusammengestückelt.

Stückelpackung abgerechnet

Im zweiten Fall hatte er gegenüber einer Krankenkasse die Abgabe von 100 Tabletten eines Arzneimittels abgerechnet, tatsächlich aber der Patientin eine zusammengestückelte Packung von zweimal 50 Tabletten abgegeben, die zudem von verschiedenen Anbietern stammten.

Medikamente an Praxis geliefert

Aktuell anhängig ist ein Verfahren, bei dem die Staatsanwaltschaft vor einem Jahr Anklage wegen gewerbsmäßigen Betruges in 59 Fällen erhoben hatte. Zwischen Dezember 2013 bis Dezember 2017 soll der Apotheker verschiedene Arzneimittel unmittelbar an einen ihm bekannten Arzt geliefert haben, die dieser seinen Patienten verordnete und in der Praxis aushändigte. Die Rezepte habe die Apotheke bei den Krankenkassen eingereicht und dadurch einen Gesamtschaden in Höhe von rund 412.000 Euro verursacht.

Im März hatte die Aufsicht genug und erklärte den Widerruf der Zulassung zum 31. Mai. Auch die Versandhandelserlaubnis und die Zustimmung zu verschiedenen Heimversorgungsverträgen wurden zum Stichtag widerrufen.

„Feindliche Gesinnung“

Der Apotheker wehrte sich. Er räumte Fehler ein, warf der Behörde aber auch eine völlig überzogene Entscheidung vor, die auf die „persönlichen Verquickung“ mit Personen vor, die ihm „feindlich gesinnt seien“: Ausgangspunkt seien Anschuldigungen eines konkurrierenden Apothekers gewesen, dessen Ehefrau wiederum für die Landesdirektion arbeite.

Tatsächlich habe es sich um Bagatellfälle gehandelt, aus denen er gelernt und die er nach der Rüge sofort und endgültig abgestellt habe. Durch sein Verhalten habe er nie Patienten gefährdet, wenn er jetzt seinen Betrieb vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens schließen müsse, sei es für immer vorbei. Eine kurzfristige Übertragung auf einen Dritten komme nicht in Betracht, argumentierte er, um eine aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs zu erreichen.

Lenalidomid ohne Rezept

Die Behörde hielt dagegen: Nachdem er bereits 2015 wegen der Abgabe von Lenalidomid ohne gültige Verschreibung zur Verantwortung gezogen worden sei, habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Dezember erneut Anzeige über entsprechende Verstöße erstattet. Im Übrigen könne die Unzuverlässigkeit sich auch aus einer Häufung kleinerer Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben ergeben, die für sich genommen nicht gravierend erschienen – insbesondere dann, wenn sie den Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen ließen oder in der Häufung eine erhebliche Störung der Ordnung darstellten.

Das Verwaltungsgericht sah es genauso. So lägen keine objektiven Anhaltspunkte vor, die „bei einem verständigen Betrachter die Besorgnis der Befangenheit“ seitens der Behörde hätten begründen könnten. Und auch eine Vielzahl kleinerer Verstöße, die je für sich betrachtet noch keine ausreichende Grundlage für ein Eingreifen der Behörden bildeten, könnten in ihrer Häufung ordnungsrechtliche Maßnahmen rechtfertigen, wenn sie einen „Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften“ erkennen ließen.

Sorgfalt als Berufspflicht

Aus Sicht des Gerichts bildet schon die Verurteilung wegen der unzulässigen BtM-Stückelung einen „hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Annahme der Unzuverlässigkeit“: Es liege auf der Hand, dass von einem Apotheker ein sorgfältiger Umgang mit den abzugebenden Medikamenten erwartet werde. „Diese Erwartung frustriert aber derjenige, der den Inhalt von Verpackungen manipuliert und damit bewusst in Kauf nimmt, dass Präparate unterschiedlichen Alters und mit einer abweichenden Lagerungsgeschichte unerkannt in den Verkehr gelangen.“

Dasselbe gelte für die Abrechnung der gestückelten Packungen: Das Berufsbild des Apothekers bringe es mit sich, dass er „insbesondere auch die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen zu wahren hat“.

Vor allem aber die Vorgänge mit der Arztpraxis, die gerichtlich erst noch aufgearbeitet werden, wertete das Gericht als „erheblichen Verstoß“ gegen das „Ärztebevorzugungsverbot“ nach § 11 Apothekengesetz (ApoG). Durch die strikte Trennung zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Apothekers solle gewährleistet werden, dass der Arzt sich bei der Auswahl der Arzneimittel ausschließlich von fachlich-medizinischen Gesichtspunkten und seinem ärztlichen Gewissen leiten lasse; andererseits solle der Apotheker die ihm zugewiesenen Kontrollfunktionen sachgerecht und eigenverantwortlich wahrnehmen können.

„Dem Patienten wird damit die Sicherheit gegeben, dass die Verordnung von Medikamenten durch den Arzt nur zum Zwecke seiner Heilung und nicht etwa wegen eines möglichen wirtschaftlichen Eigeninteresses erfolgt. Wird – wie hier – über Jahre und wiederholt gegen das Verbot des § 11 ApoG verstoßen, muss dem folglich erhebliches Gewicht beigemessen werden.“

Kein Verantwortungsbewusstsein

Und dann wurden dem Apotheker noch seine eigenen Ausflüchte um die Ohren geworfen. Er hatte sich vor Gericht zu der Aussage verstiegen, dass Pharmazie ein kompliziertes Handwerk sei und dass das Studium nur unzureichend auf die bürokratischen, betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Notwendigkeiten vorbereite. Selbst erfahrenen Praktikern unterliefen immer wieder Fehler.

Anders ausgedrückt: Auch der beste Apotheker sei immer zugleich ein ehemaliger Pharmaziestudent – daher sei es die Aufgabe der Landesdirektion, „die Theoretiker zu Praktikern zu formen“. Den Anforderungen ihrer verantwortungsvollen Aufgaben genügten Apotheker wie in jedem gefahrenträchtigen Beruf durch das Lernen aus Fehlern. Diese „Praktikerprüfungen“ leiste die Landesdirektion durch erfahrene Fachkräfte und quittiere das nötigenfalls durch Bußgeldbescheide.

„Offenkundiger kann man wohl seine persönliche Verantwortung für die Einhaltung berufsrechtlicher Regelungen kaum missverstehen“, befand das Gericht.

Und auch dass er ernsthaft behauptet habe, er selbst habe entscheidend zur Aufklärung beigetragen und den Schaden aus der Abrechnung freiwillig beglichen, sodass es sich im Grunde um eine fiktive „Schadenskonstruktion“ handele, lasse nicht erwarten, dass er künftig „die finanziellen Interessen der Krankenkassen hinreichend zu wahren bereit“ sei.

Die Betriebserlaubnis ist also weg. Aber einen Nachfolger gibt es offenbar, wie der Apotheker recht einsilbig am Telefon verrät. Er übergebe die Apotheke zum 1. Juni. „Und wie geht es beruflich für Sie weiter?“ „Es geht weiter. Mehr muss ich Ihnen ja nicht sagen.“