Sexuelle Belästigung kommt oft unterschwellig vor – auch in Apotheken. Helena Hartl erkannte erst auf den zweiten Blick, dass die anonyme Weihnachtspost nicht nur sehr ungewöhnlich war, sondern auch sexualisierende Bemerkungen gegenüber dem rein weiblichen Team enthielt. Die Inhaberin der Burg-Apotheke im Hanau-Steinheim wollte das nicht unkommentiert lassen und machte ihre Position jetzt deutlich.
Zwischen den vielen Weihnachtsgrüßen von Kundinnen und Kunden der Burg-Apotheke war ein anonymer Brief, der sofort auffiel. Er war mit Schreibmaschine geschrieben und enthielt eine Kopie des Teamfotos, wie Hartl schildert. „Meine Filialleiterin hat den Brief am Tag vor Heiligabend aus dem Briefkasten geholt und rumgeschickt“, sagt sie. Zunächst habe sie gedacht, was das für ein „komischer“ Brief sei.
Der Verfasser beschrieb sich als „dankbarer Kunde“ und sendete „Weihnachtspost an das Team der Apotheke“, wie es in dem Schreiben hieß. Zudem sei das Teamfoto vom Flyer abgebildet gewesen – vom „super Team“ mit der „Äppelallee“ war die Rede. Hartl empfand das Schreiben laut eigenem Bekunden als „schräg“ – als ihre Angestellten in der digitalen Apothekengruppe „ihhh“ und „wie ekelhaft“ kommentierten, wurde ihr die Tragweite klar. „Äppelallee“ sei in der Faschingszeit eine Anspielung auf die weiblichen Brüste, die damit „auf die Schippe genommen“ würden.
In der Apotheke war man schockiert: „Mein komplett weibliches Team ist entsetzt und angewidert darüber, inklusive mir“, sagt sie. Der Brief sei „sehr aufwendig“ angefertigt worden. Dass der Verfasser ihn anonym eingeworfen habe, zeige, dass ihm klar war, dass das Schreiben nicht in Ordnung sei, betont die Apothekerin.
Die 34-jährige Chefin besprach mit ihren Angestellten, wie man am besten damit umgehen sollte. „Viele haben gesagt, dass wir das nicht öffentlich machen sollen. Aber wir sind mittlerweile einen Schritt weiter, ich muss mich damit doch nicht belasten.“ Gleichzeitig fragte sie sich, ob die roten „a-sexuellen“ T-Shirts irgendeine falsche Botschaft hinterließen. „Klar fängt man an, nachzudenken. Sind die Brüste zu sehr zu sehen? Aber das ist Quatsch. Man darf die Schuld nicht beim Opfer suchen.“
Deshalb entschied sich Hartl für eine sachliche Offensive: Sie veröffentlichte in der Apotheke einen Aushang und bedankte sich darauf zunächst für die Weihnachtsgrüße und die Wertschätzung: „Das Vertrauen, das Sie uns schenken, ist für uns Motivation und Verpflichtung zugleich“, heißt es dort. Im Anschluss betont die Inhaberin: „Bei allem Dank für die meisten Grüße sei aber auch gesagt, dass wir in unseren Apotheken nicht nur für Fachwissen, Kompetenz und eine qualifizierte Beratung stehen, sondern auch für Werte wie Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung. Daher möchten wir klarstellen, dass wir uns entschieden gegen Sexismus, Rassismus und jede Form von Diskriminierung aussprechen. Wir sind stolz auf die Expertise unseres Teams und unsere Arbeit soll auf dieser Grundlage wertgeschätzt und respektiert werden.“ Auch bei Facebook veröffentlichte sie diese Botschaft.
Hartl fühlt sich mit dieser Reaktion wohl, sie wollte den Brief selbst nicht öffentlich machen und damit ihr Team erneut belasten. „Ich will niemanden eine Plattform bieten, sich darüber lustig zu machen.“ Sich öffentlich gegen Sexismus und für Respekt einzusetzen, sei aber wichtig: „Denn vielen ist nicht bewusst, wie unwohl man sich mit so einem sexistischen Brief fühlen kann.“
Auch mit der Polizei war sie in Kontakt. Den Kunden habe sie auf Video, sagt Hartl. Identifizieren konnte sie ihn jedoch nicht. Dafür sei die Aufnahme zu schlecht. Doch sie und ihre Angestellten sehen von einer Anzeige gegen Unbekannt ab – auch weil die sexuelle Belästigung in dem Schreiben der Polizei zufolge „zu positiv“ dargestellt wurde.