Der Lunapharm-Skandal hat die Diskussion um den Import von Arzneimitteln neu entfacht. Die ABDA erneuerte ihre Forderung, die Importquote abzuschaffen. Die Importeure halten dagegen und verweisen auf die wirtschaftlichen Vorteile des Imports. Solche Argumente haben für Markus Kerckhoff von der Schloss-Apotheke in Bergisch-Gladbach keine Bedeutung. Da die Arzneimittelsicherheit nicht 100-prozentig nachweisbar sei, müssten Apotheker „dem Zauber“ ein Ende bereiten. Er sieht den Apotheker – als letztes Glied in der Abgabekette – in der Verantwortung. Kerckhoff gibt in seiner Apotheke keine Importarzneimittel mehr ab – und zahlte dafür bisher bereits 6200 Euro „Strafe“ an die Kassen.
ADHOC: Sie verweigern in Ihrer Schloss-Apotheke die Abgabe von Importarzneimitteln. Möchten Sie den Import verbieten?
KERCKHOFF: Nein, das löst das eigentliche Problem nicht und greift nicht weit genug. Das zentrale Thema ist die Frage nach der Arzneimittelsicherheit und der Position des Apothekers. Dieser wurde aus gutem Grund nach den Erfahrungen des Contergan-Skandals in den 60er-Jahren zum Verantwortlichen „für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln“ bestimmt. Der Apotheker ist somit die letzte Instanz vor der Abgabe des Arzneimittels an den Verbraucher und damit gelebter Verbraucherschutz.
In der Praxis kann er diese Funktion jedoch kaum ausfüllen. Gesetzliche Regelungen im Sozialgesetzbuch V verpflichten ihn beispielsweise, 5 Prozent seines Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als sogenannte Importe in Verkehr zu bringen – und das trotz der Tatsache, dass fast alle Arzneimittelfälschungen über den „Importweg“ in die legale Lieferkette eingeschleust werden. Eine ähnliche fatale Situation ergibt sich aus den Automatismen der Rabattverträge.
ADHOC: Wieso das?
KERCKHOFF: Das Beispiel Valsartan zeigt dies leider eindrucksvoll. Tausende von Patienten wurden über Jahre einem unnötigen Risiko ausgesetzt und keiner hat es gemerkt. Ein Armutszeugnis für alle Beteiligten. Die Schutzmechanismen funktionieren hier nicht mehr. Es scheint, dass nur der Apotheker als letztes Glied in der Kette dem Zauber ein Ende bereiten kann – und genau das sollte er tun. Denn das ist seine gesellschaftliche Aufgabe und das können die Patienten auch von ihm erwarten.
ADHOC: Wo sehen Sie die Hauptprobleme?
KERCKHOFF: Vor allem in den Vertriebswegen und ihrer offensichtlich nicht effektiv durchführbaren Kontrolle. Eine Ursache dafür ist die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Land und auf Landesebene zwischen den einzelnen Bezirksregierungen. Diese Strukturen sind im Sinne der Arzneimittelsicherheit insuffizient. Im Lebensmittelbereich hat man dies erkannt und länderübergreifende Strukturen aufgebaut. So kann der Vertriebsweg der Parallelimporte missbraucht werden und öffnet Tür und Tor für den Eintrag von Arzneimittelfälschungen in die Apotheke.
Parallelimporte haben jedoch auch durchaus ihren eigenen Problemkreis. Nach wie vor ist der Importeur nicht verpflichtet, die Identität seiner „Importe“ zu prüfen. Es reicht aus, sich auf die Angaben seiner Lieferanten zu verlassen, ohne die Lieferkette vollumfänglich offen zu legen. Auch gibt es keine Dokumentationen zur Einhaltung der produktspezifischen Lager und Transportbedingungen wie beispielsweise notwendige Kühlung.
ADHOC: Was kann dabei eine Apotheke tun?
KERCKHOFF: Auf der anderen Seite ist jede öffentliche Apotheke aus gutem Grund gesetzlich verpflichtet, Rohstoffe sowohl auf Identität als auch auf Reinheit zu prüfen und das in jedem Einzelfall vor dem Inverkehrbringen. Erwähnt seien auch die hohen Anforderungen an öffentliche Apotheken im Zusammenhang mit Einzelimporten nach § 73 AMG. Diese gesetzlichen Anforderungen dienen der Arzneimittelsicherheit. Sie verdeutlichen auch den Willen des Gesetzgebers, den Einzelimport grundsätzlich als eine Art Ausnahme von der Regel zu definieren und auf Fälle zu beschränken, für die es keine andere Versorgung gibt.
Der Vergleich hinkt ein wenig, da der Einzelimport nach § 73 AMG gerade für Arzneimittel ohne Zulassung gilt, Parallelimporte haben hingegen ja eine Zulassung. Es bleibt jedoch die Frage im Raum, ob der Handel mit Parallelimporten der Arzneimittelsicherheit grundsätzlich zuträglich ist oder nicht. Aktuell kann man das nicht bejahen.
ADHOC: Sie meinen den Fall Lunapharm.
KERCKHOFF: Ich möchte auf die Liste 2/Lunapharm, veröffentlicht auf der Internetseite des Gesundheitsministeriums des Landes Brandenburg, verweisen, die eindrucksvoll die Wege der Lunapharm-Produkte in die legale Lieferkette aufzeigt und am Ende die öffentliche Apotheke zum Opfer krimineller Fälscher macht. Auf der Empfängerseite sind neben öffentlichen Apotheken auch Importeure und etablierte pharmazeutische Großhandlungen zu finden.
Kritisch ist auch die Tatsache, dass zwischen den Beteiligten kühlpflichtige Arzneimittel retourniert worden sind. Der eigentliche Weg eines Arzneimittels sollte vom Hersteller direkt in die Apotheke oder über den Großhandel an die Apotheke erfolgen. Und es muss darüber nachgedacht werden, ob ein Handel mit Arzneimitteln zwischen Großhändlern und Importeuren untereinander weiterhin sinnvoll ist.
ADHOC: Lässt sich das Problem lösen?
KERCKHOFF: Da müssen Sie den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung fragen. Meine Aufgabe als Apothekenleiter ist es, erkannte Risiken in der Arzneimittelversorgung zuverlässig abzustellen und der Aufsichtsbehörde zu melden. Ob da ein guter oder schlechter Importeur im Hintergrund tätig war, eine gute oder schlechte Arzneimittelkontrolle stattgefunden hat, eine gute oder schlechte Politik gemacht wurde, liegt nicht in meinem Verantwortungs- und Handlungsbereich.
Die Politik muss sich allerdings fragen lassen, welche Rahmenbedingungen sie eigentlich schafft, wenn ein Apothekenleiter eine solche Entscheidung treffen muss. Die Krankenkassen müssen sich fragen, welche medizinischen und finanziellen Ziele sie verfolgen und ob ihre Versicherten einen Mehrwert dadurch haben. Und die Aufsichtsbehörden müssen sich fragen, was sie eigentlich in Anbetracht der Ergebnisse den ganzen Tag machen. Effizienz sieht für mich anders aus.
ADHOC: Aber Jörg Geller von Kohlpharma sieht keine Risiken in der Lieferkette.
KERCKHOFF: Seine Sichtweise kann ich gut nachvollziehen. Kohlpharma ist ein erfolgreiches Handelsunternehmen und Herr Geller argumentiert aus dieser Perspektive für sein Unternehmen und seine Branche. Es geht in dieser Diskussion jedoch nicht um die Firma Kohlpharma. Im gewissen Sinne ist Kohlpharma ebenfalls ein Opfer der mangelhaften Strukturen.
Als Marktführer steht Kohlpharma in der ersten Reihe. Aus dieser Position könnte Herr Geller, wenn nicht schon geschehen, die systematische Identitätsprüfung seiner Importarzneimittel einführen, seine Lieferkette durchgängig transparent machen und eine Dokumentation der Liefer- und Lagerbedingungen zur Verfügung stellen. Dies wären entscheidende Beiträge zur Arzneimittelsicherheit.
ADHOC: Sie sagen also, so lange die Importkette nicht nachvollziehbar ist, darf ein Apotheker grundsätzlich aus Verantwortung für die Abgabe sicherer Arzneimittel als letztes Glied keine Abgabe an Patienten vornehmen.
KERCKHOFF: Genauso ist es. Die Fälschungen sind nahezu perfekt. In der Regel kommen sie über den Importweg in die Apotheke. Sie sind im Tagesgeschäft nicht zu erkennen. Um das Risiko effektiv abzustellen, bleibt nur der konsequente Verzicht. Als Leiter einer öffentlichen Apotheke trage ich eine besondere persönliche Verantwortung, der ich nach Abwägung aller mir vorliegenden Erkenntnisse nur dann nachkommen kann, wenn ich auf Parallelimporte in meinem Verantwortungsbereich verzichte, auch wenn dies zu finanziellen Nachteilen führt. Arzneimittelsicherheit gibt es nicht umsonst.
ADHOC: Die Importbefürworter verweisen aber stets auf das äußerst geringe Risiko. Was antworten Sie auf dieses Argument?
KERCKHOFF: Diese Betrachtungsweise geht am Kern vorbei. Die Fragestellung ist eine qualitative und keine quantitative. Es geht nicht darum, ob es nur eine Fälschung unter Tausenden von Arzneimitteln gibt. Wie wollen Sie das denn einem Patienten erklären, dessen Gesundheit dadurch geschädigt wurde? Dieser Patient ist zu 100 Prozent betroffen, auch wenn er statistisch vernachlässigbar ist. Dieser Ansatz der Wahrscheinlichkeit ist falsch. Wenn man ein Risiko erkennt, muss man es abstellen. Das ist der richtige Ansatz.
ADHOC: Das Regelwerk schreibt aber die Abgabe von Importen vor. Muss der Gesetzgeber handeln?
KERCKHOFF: Das dahintersteckende Wirtschaftlichkeitsgebot macht nur Sinn, wenn die Annahme stimmt, dass Parallelimporte wirtschaftlicher sind. Bringe ich aber ungewollt Fälschungen in Verkehr, geht die Rechnung nicht auf. Arzneimittelsicherheit steht vor Wirtschaftlichkeit.
ADHOC: Sie wollen damit aber auch ein Signal setzen.
KERCKHOFF: Ja, das tue ich bereits seit knapp einem Jahr, weil ich für mich erkannt habe, dass unter den derzeitigen Bedingungen eine substanzielle Besserung nicht zu erwarten ist. Das ist eine bittere Erkenntnis.
ADHOC: Ihre Schloss-Apotheke ist bereits importfrei?
KERCKHOFF: Ich habe im Herbst 2017 damit begonnen, die Schloss-Apotheke importfrei zu führen. Die vollständige Umsetzung dauert eine gewisse Zeit und wir sind noch nicht ganz am Ziel. Ich musste die Läger räumen, die Patienten umstellen. Wir vermerken auf den Rezepten, dass wir aus Gründen der Arzneimittelsicherheit keine Importe in Verkehr bringen.
ADHOC: Wie reagieren die Krankenkassen darauf?
KERCKHOFF: Gar nicht. Das müssen sie auch nicht. Ich erhalte wie jede andere Apotheke auch zu jedem Quartal die „Importabrechnung“ und einen Abzug über die fiktive Differenz zu nicht abgegebenen Importarzneimitteln – aktuell sind das für den Zeitraum September bis Juni 6199,84 Euro. Im Ergebnis verbessert sich die Situation für die Mitglieder der Krankenkassen. Sie werden keinem unnötigen Risiko ausgesetzt und ihre Krankenkasse erhält zusätzliches Geld.
ADHOC: Kann man das Problem der Lieferkette heilen?
KERCKHOFF: Wenn es dazu einen Änderungswillen gibt, wird das schon gehen. Dazu ist ein massiver Eingriff in die derzeit geltenden Regelungen notwendig. Dies setzt Erkenntnis, Durchsetzungskraft und Mut voraus.
ADHOC: Dann wäre doch aus Ihrer Sicht ein Importverbot die einzige Konsequenz.
KERCKHOFF: Ja, deshalb habe ich es mir selber auferlegt.
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