Schon zweimal umgestellt: Rentnerin verzweifelt wegen Valsartan Nadine Tröbitscher, 22.11.2018 15:19 Uhr
Maria Schulte aus Welver hat eine schlaflose Nacht hinter sich. Seit mehr als zehn Jahren wird die 68-Jährige mit Valsartan behandelt; nach der ersten Rückrufwelle im Juli wurde sie erst auf Codiovan (Novartis) und dann auf das Mylan-Generikum umgestellt. Gestern Abend erfuhr die Rentnerin durch Zufall, dass auch dieses Präparat wahrscheinlich mit einem Nitrosamin verunreinigt ist. Sie sieht nun Politik und Kassen in der Pflicht.
Als im Juli bekannt wurde, dass Valsartan-Präparate mit dem Nitrosamin N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt sind, startete eine weltweite Rückrufwelle. In Deutschland mussten mehr als ein Dutzend Hersteller ihre betroffenen Arzneimittel zurückrufen. Als sicher galten die Präparate von Novartis, Mylan und TAD. Knapp vier Monate später wies das Labor der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic N-Nitrosodiethylamin (NDEA) in Präparaten von Mepha nach. Der zu Teva gehörende Hersteller hatte die aktive Substanz aus der indischen Produktionsstätte von Mylan bezogen. Ob deutsche Präparate ebenfalls verunreinigt sind, ist derzeit noch nicht bekannt. Einem Insider zufolge ist die Wahrscheinlichkeit hoch. Rückrufe würden für den heutigen Abend oder morgen früh erwartet.
So lange bleiben Verunsicherung und Angst. „Die Patienten wissen nicht, woran sie sind“, klagt Schulte, die sich eigentlich nicht so schnell verunsichern lässt. „Ich lebe nicht von heute auf morgen, sondern will noch ein paar Jahre vor mir haben. Darum achte ich auf mich und will nicht aus Unwissenheit krank werden.“ Durch Zufall hatte Schulte gestern die Meldung zum möglicherweise verunreinigten Valsartan von Mylan gelesen. Aber nicht jeder Patient habe Internet und könne sich informieren, so die Rentnerin, die zehn Jahre lang mit Valsartan Hexal 80 mg behandelt und in Folge der ersten Rückrufe auf das Original umgestellt wurde. Vor drei Wochen war die Packung aufgebraucht und es wurde auf das Mylan-Produkt geswitcht.
„Viele wissen gar nichts davon“, ärgert sich Schulte. Die Medien seien gefragt, alle Patienten zu informieren, sobald klar sei, welche Arzneimittel in Deutschland betroffen sind. Dann gehöre das Thema auch in die Nachrichten. Ärgerlich findet sie, dass zwischen Ankündigungen und Rückrufen so viel Zeit vergehe. So werde nur unnötig Angst geschürt.
Schulte sieht Politik und Kassen in der Pflicht, denn nur wegen der Sparsamkeit der Kassen an Krebs erkranken wolle sie nicht. „Rabattverträge müssen sein, aber gut finde ich sie dennoch nicht.“ Die Kassen dürften die Ärzte nicht in ihrer Verschreibung drosseln, sondern sollten es den Medizinern überlassen, was sie verordneten. Schließlich würden schon aufgrund des Budgets nicht unnötig teure oder zu viele Arzneimittel rezeptiert. Vielmehr sollten die Kassen Gelder aufbringen, die zur Sicherstellung der Arzneimittelsicherheit und somit zur Prüfung von Arzneimitteln eingesetzt werden können.
Von der Barmer hat Schulte bereits eine Abfuhr erhalten. Man werde kein zweites Mal Codiovan bezahlen, hieß es dort. Im Sommer hatte die Rentnerin Glück im Unglück, die Kasse übernahm auch die Aufzahlung. Die Rentnerin hat jetzt entschieden, selbst für die Mehrkosten aufzukommen. Ein Luxus, denn viele Betroffene können sich aufgrund der kleinen Rente die Aufzahlung nicht leisten.
Ändern müsse sich auch Einiges seitens der Politik. „Arzneimittel müssen besser überprüft werden. Die Mittel sind da, nur wird das Geld an anderer Stelle ausgegeben.“ Schulte fordert eine offene Politik zum Thema.
Schulte ist nicht die einzige verunsicherte Patientin. Vermehrt haben es Apotheken mit verunsicherten Kunden zu tun. Der MDR hat vor wenigen Stunden die Öffentlichkeit über einen bevorstehenden Rückruf beim Blutdrucksenker informiert und Patienten aufgefordert, ihr Medikamente nicht in die Apotheke zurückzubringen.