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Schnäppchenfreie Zone Silvia Meixner, 27.01.2018 07:57 Uhr

Berlin - 

Aufbruchstimmung unter Deutschlands Pharmazeuten: Genervt vom ewigen Vorwurf der überzogenen Apothekenpreise, wollen sie jetzt Apotheken eröffnen, in denen es ausschließlich Hochpreisiges gibt. Eleganter Markenname: Fenerari (lat. für „Wucher treiben“). Für die Werbekampagne wurde die Agentur 3hm engagiert.

„Die Politik schläft, seit Wochen kümmert sich niemand um Rx-Boni und unsere Probleme“, sagt der Wisselshofer Apotheker und Fenerari-Sprecher Ferdinand von Fennig. „Wir sind das Jammern aber mittlerweile auch Leid und wollen nicht mehr öffentlich weinen.“

Die Idee ist – wie bei allen genialen Neuerungen – so verblüffend einfach, dass man sich fragen muss, warum noch niemand darauf gekommen ist. Warum über Boni und Rabatte verhandeln, wenn Apothekenkunden sowieso davon ausgehen, dass sie in der Offizin übers Ohr gehauen werden? „Es ist doch viel kundenfreundlicher, offen darüber zu sprechen, wie man sich als Kaufmann eine goldene Nase verdient“, erläutert von Fennig. Ursprünglich wollte er das Konzept Mohren-Apotheke nennen, aber die Idee wurde aus aktuellem Anlass verworfen.

Schnäppchenjagd war also gestern. Bei Fenerari wird es keine neongelben Preisschilder mit Sonderangeboten geben. Hier wird mit Begriffen wie „Hochpreisparadies!“ oder „Schnäppchenfreie Zone“ geworben. Das Bundeskartellamt hat seinen Segen erteilt. Schließlich ist Abzocke mit Ansage ehrlicher als das übliche Gemauschel hintenrum.

Auf die Idee gebracht, das muss man zugeben, wurden die Apotheker durch das Honorargutachten aus dem Hause Zwo-H&M. Erstautorin Iris an der Heiden hatte ihrem Auftraggeber ins Stammbuch geschrieben, doch bitte nicht jedes OTC-Schnäppchen aus dem Rx-Topf querzufinanzieren. Wo käme man dahin, wenn Apotheker verschreibungsfreie Ware nahezu zum Einkaufspreis abgeben könnten, um dadurch Patienten mit Rezepten zu gewinnen. „Wer bezahlt dabei die Aufwendungen, die für das OTC-Produkt entstehen?“ Die Frage war rhetorisch gemeint.

In der Geschäftsführenden Regierung will sich am Honorargutachten niemand die Finger verbrennen. Dagegen haben die Geschäftsdominierenden Kassen bereits die erste gute Idee in die Tat umgesetzt: Rückwirkend wurden die Preise der Hilfstaxe gekürzt. 200 Millionen Euro sollen die Zyto-Apotheker abgeben, was in etwa der Forderung aus dem Gutachten entspricht. Von „Enteignung“ war unter den Betroffenen schnell die Rede. Besonders bitter: Den Verhandlungsführern vom Deutschen Apothekerverband stellte die Schiedsstelle kein gutes Zeugnis aus. Die Vorschläge seien zu spät gekommen und rechtlich nicht haltbar gewesen. Au weia.

So wie die Fenerari-Apotheker sollte auch der Großhandel ehrlich für die eigenen Preise einstehen, lautete ein weiterer beherzter Ratschlag von Zwo-H&M. Wer seine Spanne an die Kunden verschenkt, ist selber schuld. In Planegg ist die Botschaft angekommen: Die Sanacorp hat angekündigt, dass die Genossen ihr künftig eine Basisspanne von 6,33 Prozent zugestehen müssen. Da ist es praktisch, wenn man Mitglied bei Elac ist. Der Verbund der XL-Apotheken hat mit seinen Lieferanten verhandelt und noch was rausgeschlagen. Auch Avie hat erkannt, dass im Einkauf der Gewinn liegt, und „erweiterte Lieferkonditionen und Servicelevels“ ausgehandelt.

Erweiterte Servicelevels verspricht auch DocMorris: „Fortschritt stellt sich nicht in Warteschlangen“, findet die Versandapotheke, die ihren Umsatz 2017 um ein Fünftel gesteigert hat. Besser lief es nur bei Shop-Apotheke. Bei Apo-Discounter hofft man noch auf ähnliches Fortune, mit der Deutschen Internet Apotheke wurde gerade der zweite Mitbewerber innerhalb weniger Monaten übernommen.

Doch die Wachtumsstory ist nicht unendlich: Beim DocMorris-Mutterkonzern in der Schweiz läuft es allzu schleppend, um am Kapitalmarkt als Überflieger zu gelten. Während deutsche Apotheken mit digitalen Rezeptsammelstellen Anschluss an die neue Zeit suchen, setzt Zur Rose auf Bewährtes und geht mit Supermarktapotheken offline. Offline! Wenn das Bloggerin Bea wüsste. Wobei natürlich Schweizer Apotheken per se schon Fenerari sind. Es steht nur (noch) nicht außen dran.

Wenn Wucher endlich geil ist, werden auch hierzulande die Karten neu gemischt. Dann könnte Teva in Berlin bleiben und dann könnten auch Produkte wie DrSlym eine echte Chance bekommen. Im ersten Anlauf ist das Abnehmmittel gescheitert, doch der (neuerliche) Pleite-Coup der Klym-Familie ist filmreif und macht Lust auf mehr: Erst raste DrSlym in die Insolvenz, dann machte der plietsche Firmenchef eine Kehrtwende auf dem Diät-Highway und trickste seine Gläubiger aus. Die rieben sich verwundert die Augen, denn DrSlym gehört jetzt wieder Klym. Daumen hoch, Preise rauf!

Mit Fenerari wird es auch keine Tests wie den bei NDR „Markt“ mehr geben. Wie gut sind Wärmepflaster? Und wo kann man sie am billigsten erstehen? Apotheke oder Discounter? Wer was auf sich hält, kauft in der schnäppchenfreien Zone. Da muss auch Klosterfrau sich zweimal überlegen, ob der Ausverkauf beim Ramsch-Händler Jawoll noch zeitgemäß ist. Zumal Ginkgo und Johanniskraut in dieser Woche quasi amtlich als Apothekenprodukte klassifiziert wurden.

Für das Apothekerehepaar Barbara und Harald Wächter aus Bornheim kommt Fenerari zu spät, sie sind gerade in Rente gegangen und haben ihren Kindern längst geraten, beruflich etwas anderes zu machen. Ein Kandidat ist dagegen der Osnabrücker Apotheker Lars Crusius. Er hat zwar nach zweieinhalb Jahren quasi in Eigenregie seine Apothekengruppe vor der Pleite und 92 Arbeitsplätze gerettet, aber ein zweites Mal will er so etwas bestimmt nicht erleben. Lang ersehnte Apothekenpreise in der Offizin lassen auch ihn künftig gut schlafen.

Eine wichtige Säule im Fenerari-Konzept werden soll der Kosmetikbereich. Hier sind die Margen nach oben quasi offen – insbesondere wenn der Kunde das nicht spürt, weil er mit Bitcoins zahlt. Das erste Produkt, das in einer deutschen Apotheke mit Kryptowährung bezahlt wurde, war Bepanthen. Physisch verfügbar und virtuell bezahlt, was für eine Erfolgsstory. Schon heute sehen viele Kollegen in dem Bereich Potenzial, auch wenn sie den Produkten nicht unbedingt mehr Platz einräumen wollen.

Eine Apothekerin aus Bad Oeynhausen muss hoffen, dass sie vor Schlimmerem verschont wird. Sie bekam Post von der AOK Hessen, Einschreiben mit Rückschein. Inhalt: Eine Retaxation in Höhe von 51.255,48 Euro. Dass die Sache vorab genehmigt wurde, hatte man verschusselt. Die Einigungsversuche laufen.

In solchen Extremsituationen – oder auch im Nachtdienst – konnten sich Apotheker früher nach Herzenslust betrinken, ohne dass jemand sie schief anschaute. Heinrich Buurman beschreibt in einem Buch die verheerenden Folgen der bis weit in das 20. Jahrhundert grassierenden Alkoholepidemie.

Hochprozentiges kann aber auch heilsam sein. Einen kleinen, wohlverdienten Schnaps konnten vermutlich auch Mitarbeiter und Kunden der Marien-Apotheke im bayerischen Dillingen brauchen. Dort raste gerade ein in Panik geratenes Wildschwein durch die Offizin. Rucki-zucki, es donnerte mit Wucht gegen die Glastür, die Aktion dauerte 30 Sekunden. Die Polizei erlegte die Bache. Apotheker Alois Haggenmüller wollte eigentlich nur kurz durchlüften, deshalb stand die zweite Glastür offen. Lüften will er künftig deshalb genau planen. Beim Arbeiten heute schön aufpassen, schönes Wochenende!