Seit 10. März können Ärzte Cannabis auf Rezept verordnen. Für Schmerzpatienten ist damit eine langjährige Forderung von der Großen Koalition umgesetzt worden. Große Hoffnungen waren damit verbunden. Aber in der Praxis zeigen sich Probleme. Es dauert lange, bis das Cannabis bei den Patienten ankommt. Die Kassen prüfen penibel, die Ärzte verordnen zurückhaltend und die Preise sind explosionsartig gestiegen. Den Apotheken droht die nächste Debatte.
Noch lassen sich nur ansatzweise Erfahrungen über die Umsetzung des Gesetzes sammeln. Nach Angaben der Techniker Krankenkassen (TK) sind seit Anfang März 450 Anträge auf Kostenübernahme eingegangen. In allen Fällen hat die TK den Medizinischen Dienst (MDK) eingeschaltet und um ein medizinisches Gutachten gebeten. So will es das Gesetz. In 263 Fällen befürwortete der MDK die Cannabis-Therapie, in 187 Fällen sagte er Nein.
Nicht viel anders ist das Bild bei der Barmer: Dort gingen 150 Anträge ein, in 70 Fällen übernahm die Kasse die Kosten. Etwa jeder zweite Antrag wird offenbar abgelehnt. Der MDK beurteilt die Cannabis-Therapie in der Regel nach Aktenlage. Nur in Ausnahmen besucht er die Patienten vor Ort, um sich ein Bild zum machen. Auch die ABDA hatte Zahlen zum angeblichen Cannabis-Boom vorgelegt: Demnach verordneten Ärzte alleine im März auf 488 Rezeptformularen insgesamt 564 cannabishaltige Zubereitungen oder Cannabisblüten in Rezepturen.
Für den Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, den Arzt Dr. Franjo Grotenhermen, hat das Gesetz dagegen für viele Patienten bislang nicht zu einer Verbesserung geführt. Sie müssten zunächst einmal einen Kassenarzt finden, der ihnen überhaupt etwas verschreibe. Dann müsse die erste Verordnung für jeden Patienten von den Kassen genehmigt werden, was oft genug verweigert werde.
Ärzten drohe zudem wegen der hohen Kosten für Cannabis ein Regress wegen Überschreitung ihres Budgets, erklärt Grotenhermen, der eine Praxis in Rüthen (Nordrhein-Westfalen) hat. Insgesamt sei der Verwaltungsaufwand für die Mediziner mit Cannabis-Patienten groß, sagte er. „Da muss die Politik nachbessern.“
Seit dem 10. März können Ärzte Cannabis verschreiben, wenn alle übrigen Behandlungswege ausgeschöpft sind. Bislang brauchte man dafür eine Sondergenehmigung, die das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur etwa 1000 Mal vergab. In der Vergangenheit bezogen die Apotheker das Cannabis bei Bedarfslieferanten und gaben es in der Regel zum Selbstkostenpreis an die Patienten weiter.
Das geht seit März nicht mehr: Die Apotheker müssen die gesetzlichen Zuschläge berechnen. Das verdoppelt den Preis für die Kassen. Der Rezepturaufschlag beträgt 100 Prozent, wenn die Cannabis-Blüten vom Apotheker geprüft und an den Patienten weiter gegeben werden. Werden die Cannabis-Blüten beispielsweise zu Tee verarbeitet, beträgt der Aufschlag 90 Prozent. Obendrauf kommt das Apothekenhonorar von 8,51 Euro und die neue Rezepturgebühr. In beiden Varianten verdoppelt sich der Abgabepreis also.
5 mg Cannabis-Blüten kosten im Einkauf derzeit 51 Euro netto, einschließlich Mehrwertsteuer daher knapp 61 Euro. Die Kassen müssen also rund 120 Euro zahlen. Monatlich benötigten Schmerzpatienten sehr unterschiedliche Mengen Cannabis, so Apotheker Murat Baskur von der Petershauser Apotheke in Konstanz. In vielen Fällen könnten sie die Dosierung selbst bestimmen. Durchschnittliche Monatskosten ließen sich daher nur schwer abschätzen. In der Regel dürften die Therapiekosten zwischen 400 und 1000 Euro pro Patient betragen. In Einzelfällen können sie aber auch deutlich darüber liegen. Nach Schätzungen im Gesetzentwurf kostet die Versorgung mit Cannabis monatlich bis zu 1800 Euro.
Baskur hält den Aufschlag für gerechtfertigt: Die Blüten müssten in der Apotheke geprüft werden. Stimme der Pharmazierat zu, sei dies schneller und kostengünstiger per Mikroskop möglich. Anderenfalls muss laut Baskur eine aufwändige chemische Analyse erfolgen. Dazu müssten teure Zusatzstoffe angeschafft werden. Die Prüfung dauere bis zu zwei Stunden.
Schon während der Verabschiedung des Gesetzes hatten die Kassen auf die Kostenfrage hingewiesen und eine Kostenübernahme abgelehnt. Cannabis verstoße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, schrieb der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme unter Verweis auf den Aufschlag der Apotheken. „Dies erscheint vor dem Hintergrund des für die Apotheke anfallenden Arbeitsaufwands und des geschätzten Apothekeneinkaufspreises unangemessen hoch“, so der GKV-Spitzenverband im September 2016. Diese Kosten seien im Vergleich zu den Therapiekosten mit dem zugelassenen Cannabisarzneimittel Sativex, insbesondere aber im Vergleich zu den Kosten anderer zugelassener Arzneimittel, deutlich höher. Für die Kostenübernahme durch die Kassen fehle es jedoch an der notwendigen Evidenz, so die Kassen.
APOTHEKE ADHOC Debatte