Nach 60 Jahren ist Schluss mit der Flora-Apotheke im nordrhein-westfälischen Leichlingen. Samstag war der letzte Tag, derzeit räumt Apothekerin Katharina Behrens die Offizin aus. Eine letzte gemeinsame Aktion mit ihren geschätzten Mitarbeitern.
„Wir sind noch bis zum 31. Dezember da, wir räumen gerade die Lager leer“, sagt Behrens. Die Einrichtung kommt auf den Müll. „Wir haben eine sehr kleine Apotheke, rund 60 Quadratmeter groß. Alles wird herausgerissen, ich werde es nicht mehr schaffen, die Sachen zu verkaufen.“ Mit der Schließung der Apotheke endet auch ein Stück Familiengeschichte. „Ende der 60er-Jahre hat meine Mutter die Apotheke übernommen und später auch das Haus gekauft. Ich bin hier mit und in der Apotheke aufgewachsen.“ Ihr Berufswunsch stand immer fest: Apothekerin. „Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich es nicht machen soll. Sie wussten schließlich, was Selbstständigkeit bedeutet, was dahinter steckt. Es steht ja schon im Wort, man ist ständig selbst für alles verantwortlich.“
Doch die Warnungen konnten sie nicht abschrecken. Nach einer PTA-Ausbildung studierte sie Pharmazie in Marburg und übernahm vor 14 Jahren die Apotheke an der Bahnhofstraße. „Meine Eltern waren natürlich happy. Davor hatte ich als Angestellte in verschiedenen Apotheken gearbeitet.“ Schnell fand sich ein Team zusammen, das über viele Jahre durch dick und dünn ging. „Es war ein schönes Miteinander. Ich bin sehr glücklich, dass alle wieder einen neuen Job gefunden haben. Ich hatte sechs Mitarbeiter in Teilzeit, alle haben Beschäftigungen hier und in Nachbarorten gefunden. Wir hatten einige Anrufe von Apothekern, die Personal suchen.“
Das Schlimmste an der Schließung sei der Moment gewesen, in dem sie ihren Mitarbeitern die Kündigung mitteilen musste. „Ich habe für mich Anfang des Jahres die Entscheidung getroffen, zu schließen. Ich habe gemerkt, dass es nicht weitergeht und wollte auf keinen Fall in die Insolvenz gehen. Aber natürlich konnte ich das meinem Team anfangs nicht erzählen.“ Im August war es dann so weit. „Es war ganz schlimm“, erinnert sich Behrens, „ich hatte schließlich Vorlaufzeit, mein Team fiel aus allen Wolken.“ Obwohl es durchaus Anzeichen für die wirtschaftlichen Probleme des Unternehmens gegeben hatte: „Natürlich hatten wir alle gemerkt, dass es in den letzten ein bis zwei Jahren ruhiger geworden war.“
Die ersten Probleme kamen vor rund vier Jahren auf. „Zwei Häuser weiter hat eine Kinderärztin ihre Praxis, aber man verdient nichts mehr an Rezepten. Das ist vorbei, meine Eltern haben in den 70er- und 80er-Jahren noch davon profitiert. Wir haben uns schließlich auf Mutter-Kind und anthroposophische Medizin spezialisiert, aber das reichte nicht aus. Wenn man Apotheke richtig macht, macht man kaum noch Gewinn. Und die Pauschalen der Krankenkassen sind lächerlich.“
Neben Phasen der sinkenden Umsatzzahlen gab es durchaus wieder Phasen, in denen die kleine Apotheke gut lief. Doch leider eben nicht gut genug, um dauerhaft überleben zu können. Dazu kam das hinreichend bekannte Problem der Internet-Bestellungen: „Nasenspray oder Körpermilch kaufen die Kunden verstärkt im Internet oder im Drogeriemarkt. Sie kaufen dort, wo es am günstigsten ist.“ Ein riesiger Standort-Nachteil war der Umstand, dass es vor der Apotheke keinen eigenen Parkplatz gibt. „Die Leute fahren dann eben weiter.“ Erschwerend kam hinzu, dass gegenüber ein Bäcker mit vielen Veranstaltungen lockt. „Dort gibt es unter anderem Seniorencafés und auch Beerdigungsfeiern mit Gästen des Friedhofes, der sich in der Nähe befindet“, erzählt die Apothekerin. „Bei Veranstaltungen gibt es vor unserer Haustür dann überhaupt keine Parkplätze mehr. Und Laufkundschaft gibt es bei uns nicht.“
Die große Baustelle vor ihrer Apotheke, die in diesem Jahr fast durchgängig in Betrieb war, war dann das letzte Bausteinchen im Kampf ums Überleben: „Die Baustelle hat mir den Rest gegeben. Es gab umfangreiche Bauarbeiten, parken konnte man hier eigentlich nie.“ Ergebnis: Die Kunden fuhren weiter...
Die 44-Jährige suchte auch nach einem Nachfolger: „Es hat sich niemand gefunden.“ Dass am selben Ort wieder eine Apotheke eröffnet, erscheint nicht realistisch. „Wir liegen ein bisschen außerhalb der Innenstadt, die Räumlichkeiten würden sich gut für ein Büro eignen.“ Mit der Schließung der Apotheke fällt auch die Last der Verantwortung von Behrens‘ Schultern. „Es geht im neuen Jahr weiter, ich möchte in meinem Beruf weiterarbeiten und freue mich darauf. Ich wohne in Köln und werde mir dort etwas suchen. Ich freue mich auf geregelte Arbeitszeiten.“
Doch sie wird auch Dinge und Menschen vermissen. „Mein Team und unsere Stammkunden werden mir fehlen. Es sind Menschen, die teilweise noch meine Eltern als Apotheker kennen. Sie haben jahrzehntelang mit uns ihre kleinen und großen Sorgen geteilt. In den Wochen der Schließung haben wir tolle Rückmeldungen bekommen, viele Kunden waren traurig, einige haben geweint.“ Und Blumen gab es als Dankeschön, viele Blumen. „Ich könnte hier sofort einen Blumenladen aufmachen.“ Berührt war die Apothekerin von den vielen Karten mit vielen dankbaren Worten. „Das schönste Kompliment war: Wir wurden bei Ihnen nicht bedient, sondern beraten, persönlich und ehrlich und wir konnten immer mit all unseren Problemen zu Ihnen kommen.“
Trotzdem ist Behrens überzeugt: „Die Schließung war die richtige Entscheidung, ich bereue sie auf keinen Fall. Und ich schaue nicht mit Gram zurück, ich möchte die Erfahrung der eigenen Apotheke nicht missen.“ Oben im ersten Stock der Flora-Apotheke wohnen immer noch ihre Eltern. „Sie sind genauso traurig wie ich“, sagt sie. Die Entscheidung der Tochter haben sie unterstützt: „Sie stehen total hinter mir. Sie wissen ja, wie sehr mir die Apotheke ans Herz gewachsen war und haben gesehen, wie ich oft bis spät abends gearbeitet habe.“ Morgens die Erste da, abends die, die das Licht ausmachte. Selbst-ständig eben.
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