Protestapothekerin

Schließung: Kossendey hört auf Torsten Bless, 15.03.2018 14:23 Uhr

Berlin - 

Ann-Katrin Kossendey-Koch hat genug: Die Apothekerin aus Wiefelstede stellt ihren Apothekenbetrieb zum 29. März ein, um sich neuen Aufgaben zu widmen. Ihr bundesweites Engagement für die Apotheke vor Ort will sie gleichwohl fortsetzen.

Vor zwölf Jahren übernahm Kossendey-Koch die 1969 von ihrem Vater eröffnete Apotheke. „In der Zeit meiner Selbstständigkeit habe ich drei wunderbare Töchter bekommen und bin jetzt aktuell mit unserem vierten Kind schwanger“, berichtet sie. „Meine Familie hat meine Selbstständigkeit immer mitgetragen, aber musste auch sehr oft zurückstecken. Von Montagabend bis Samstagmittag stehe ich in der Offizin, da bleibt nur wenig Zeit.“ Ohne die Unterstützung ihrer Eltern wäre das nicht gegangen. „Aber auch sie werden älter und ein weiteres Baby würde den Rahmen sprengen.“

Zusätzlich zum Apothekenbetrieb initiierte sie mit ihrem Kollegen Jan Reuter die erfolgreiche Social-Media-Kampagne #DaumenhochfürmeineApothekevorOrt. Schon in der Vergangenheit hatte sie sich als „Protestapothekerin“ profiliert und mit ihren Videos die Kollegen begeistert.

Parallel machte sie eine Ausbildung zum systemischen Coach und Wingwave-Coach. „Das ist für mich eine sinnvolle Ergänzung zum Pharmaziestudium, denn so habe ich die Möglichkeit, ganzheitlich mit meinen Klienten zu arbeiten.“ Alles Dinge, die ihr sehr am Herzen liegen. „Aber das geht natürlich nur, wenn man auf sämtliche anderen Freizeitaktivitäten verzichtet.“

Doch mit der Zeit habe sie gemerkt, dass sie als Mutter mehr und mehr gebraucht werde. „Vor einigen Wochen habe ich gemeinsam mit meinem Mann überlegt, wie es mit unserer Familie weitergehen soll.“ Mit Unterstützung ihres Mannes beschloss sie, sich ganz auf ihre Tätigkeit als Coach zu konzentrieren und dafür die Apotheke aufzugeben. „Das hab ich mir nicht leicht gemacht, die von Eltern und Großeltern aufgebaute Apotheke wirft man nicht so einfach hin. Aber es ist eine Darf- und keine Muss-Entscheidung, mein zweites Standbein als Coach ist schon so erfolgreich, dass ich davon gut leben kann.“

Zumal die Arbeit in der Apotheke auch nicht mehr dieselbe sei wie noch zu Zeiten ihres Vaters oder zu Beginn ihrer Selbstständigkeit: „Viel Zeit verbringe ich jetzt mit der Bürokratie und weniger am HV-Tisch“, berichtet sie. „In der Beratung bin ich gut, das kann ich, in der Abwicklungen und bei Retaxationen bin ich nicht so gut.“ Die Politik sorge nicht für Erleichterung: „Es gibt immer neue Vorgaben, da wird immer noch eine Schippe drauf gelegt. So etwas wie die Europäische Datenschutz-Grundverordnung oder Securpharm trifft uns Apotheken direkt.“

Die Entscheidung für den 29. März als letzten Apothekentag sei bewusst gefallen: „Mein viertes Kind soll in der ersten oder zweiten Aprilwoche kommen.“ Ihre Mitarbeiter, drei PTA und einen Boten, habe sie sehr kurzfristig informiert. „Die erste Reaktion war schon so etwas wie ein ‚Oh Gott, jetzt muss ich mir etwas Neues suchen‘. Aber mittlerweile können sie meine Entscheidung gut nachvollziehen.“ Um die Zukunft ihrer PTA mache sie sich keine Sorgen: „Sie arbeiten sehr eigenständig und haben mir immer den Rücken freigehalten. Jeder Apotheker wäre gut beraten, sich um so gute Mitarbeiter zu bewerben.“

Auch ihre Eltern hätten erst einmal schlucken müssen, erzählt Kossendey-Koch. „Nachdem sie sich wieder gefangen hatten, standen sie zu 100 Prozent hinter meiner Entscheidung. Mein Vater sagt, ‚es ist euer Leben‘, und sie sehen ja auch, wie gut die Coaching- und Beratungstätigkeit läuft.“ Dafür werden ab April die Räume der bald ehemaligen Apotheke zur Praxis umgebaut. „In den vertrauten Räumen werde ich Beratungen, Coachings, Workshops und Vorträge anbieten.“

Die Versorgung der Patienten am Ort sei gesichert: „In Wiefelstede gibt es noch zwei weitere Apotheken, eine Filial- und eine Hauptapotheke. Gerade mit meinem Kollegen von der Hauptapotheke verstehe ich mich gut. Sie liegt fast gegenüber, und ich bin überzeugt, dass meine Kunden da gut aufgehoben sind.“ Von ihren Patienten erhielt sie viel Zuspruch auf Facebook: „Unglaublich schade, Eure Beratung war immer Klasse!“, schrieb eine von ihnen. „Auf der anderen Seite sollte man lieben was man tut.“

In ihrem Engagement für den Berufsstand wolle sie nicht nachlassen, bekundet Kossendey-Koch. „Wenn ich als selbstständige Apothekerin aufhöre, heißt das nicht, dass ich keine Apothekerin mehr bin“, sagt sie. „Ich will der Apotheke nicht ganz den Rücken kehren, wenn liebe Kollegen in der Umgebung eine Vertretung suchen, dann bin ich ansprechbar. Und ich habe mehr Zeit, mich für die Vor-Ort-Apotheken einzusetzen und der ABDA auf die Füße zu treten. Das wird Herrn Schmidt vielleicht nicht unbedingt gefallen.“

Vor allem gewinne sie an Lebensqualität, Zeit sei wertvoller als Geld. „Man hat nur ein Leben und an meinem 90. Geburtstag möchte ich zurückschauen und sagen können, dass ich auf mein Herz gehört habe und meiner Leidenschaft gefolgt bin. Und nicht, dass ich irgendwie durchgehalten habe.“