Schließung: „Ich kriege nur noch Schreikrämpfe“ Tobias Lau, 21.12.2018 15:25 Uhr
Claudia Martins Apotheke erlebt das Weihnachtsfest nicht mehr, am 22. Dezember ist Schluss. Das macht sie aber nicht traurig, sondern stinksauer. Denn sie schließt nicht etwa, weil sie insolvent wäre oder in den Ruhestand ginge. Sondern weil sie nicht mehr kann und nicht mehr will. Die Entwicklung der Branche hat sie mürbe gemacht: „Wir wurden verraten und verkauft“, sagt sie. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war ein Vertragsstreit mit Pharmatechnik.
30 Jahre hat Martin in der Apotheke am Luitpoldpark in München-Schwabing verbracht, zwölf davon als Inhaberin – und davon wiederum die letzten fünf mit dem Gedanken, endlich hinzuschmeißen. „Ich bin eigentlich für den Beruf geboren. Ich liebe die Arbeit mit den Patienten, die pharmazeutische Beratung“, sagt sie. „Aber ich ersticke in der Bürokratie. Ich kriege nur noch Schreikrämpfe.“ Es raube ihr schlicht die Freude am Beruf, sich mit den Untiefen des Bürokratie- und Dokumentationswahnsinns herumschlagen zu müssen – und sich dabei konstant alleingelassen zu fühlen. Als kleine Stadtteil-Apotheke könne man da einfach nicht mehr mit den großen Verbünden mithalten, beklagt sie.
Dabei lief es wirtschaftlich gar nicht so schlecht. Mit deutlich über einer Million Euro Jahresumsatz gehört sie nicht einmal zur kleinsten Apothekenkategorie. Auch mit den Pharmazieräten habe sie niemals Ärger gehabt. „Meine Apotheke war immer top geführt, ich war immer hundertprozentig in den Zahlen“, beteuert sie. „Ein großes Eigenheim konnte ich mir damit zwar nicht erwirtschaften, aber ich hatte immer Spaß an meinem Beruf.“ Trotz der guten Zahlen war es nicht möglich, einen Nachfolger zu finden. „Ich habe wirklich mit Nachdruck gesucht, ich weiß gar nicht, wie viele Anzeigen ich geschaltet habe. Und auch alle, mit denen ich zusammengearbeitet habe, wussten ja, dass ich bald schließe.“
Es habe sogar einige Übernahmekandidaten gegeben – aber an irgendetwas sei es dann immer gescheitert. „Dabei hatte ich einen super Ertrag! Mein Steuerberater konnte gar nicht verstehen, wieso ich keinen Nachfolger finde.“ Sie hegt aber ohnehin Zweifel, dass es noch lange gut gegangen wäre, denn nicht nur der bürokratische Aufwand steige immer weiter, sondern auch der Kostendruck. Und gerade der fällt bei einer kleinen Apotheke ins Gewicht: Lohnkosten, Technik, Software, Miete. Der Sargnagel war dann letztendlich Securpharm.
Denn durch die Umstellung funktionieren ihre Scanner nicht mehr, sie brauchte ein neues System und wollte dazu mit Pharmatechnik einen neuen Mietvertrag aufsetzen, 450 Euro mehr hätte sie das im Monat gekostet. Und unter fünf Jahren sei da nichts zu machen, sei ihr mitgeteilt worden. Auf drei Jahre habe sie die Dauer zwar noch herunter verhandeln können, doch selbst das sei ihr zu viel. „So lange kann und will ich mit fast 60 Jahren einfach keine Bindung mehr eingehen“, begründet sie ihren Schritt. „Es braucht bloß etwas zu passieren, dann kann ich nicht mehr weiterarbeiten – und meine Familie bleibt auf den Schulden sitzen. Ich gefährde doch nicht wegen einer öffentlichen Apotheke, die bei der Politik im Wert ganz hintenan steht, die wirtschaftliche Existenz meiner Familie!“
Überhaupt, die Politik, die arbeite seit Jahren nur noch gegen die Interessen der kleinen Betriebe. Das habe schon mit der Vergütungsreform angefangen, die 2004 mit dem GKV-Modernisierungsgesetz kam. Damals wurden der Fixzuschlag eingeführt und die prozentuale Marge gedeckelt, damit die Apotheken im Verhältnis weniger an Hochpreisern verdienen. Seitdem sei es nur noch bergab gegangen: die Bürokratie, die Konkurrenz durch die Versender, die zunehmenden wirtschaftlichen Erschwernisse bei gleichzeitig immer größerer Arbeitsbelastung. „Eine Salbe anzurühren dauert fünf Minuten. Aber ich muss dafür zentimeterhohe Dokumentenstapel ausfüllen. Dieser Wahnsinn hat absurde Formen angenommen.“
Auch die kürzlich vorgestellten Plänen zur Reform der Apothekenvergütung bestätigen ihre Sicht: „Alles, was da ersonnen wurde, kommt nur den ertragsstarken Apotheken zugute“, beklagt sie. „Da werden alle Erhöhungen in den Nacht- und Notdienst gesteckt. Aber wenn wir hier nur alle 27 Tage überhaupt einen Notdienst haben, dann fallen wir da auch wieder hinten runter. Nein, die Apotheker wollen nicht noch eine Sonder-PZN, die wollen einfach nur eine solide Vergütung!“ Vor allem die Auswirkungen auf die Belegschaft bedrücken sie. „München ist ein Hochpreispflaster. Da finde ich es eine Zumutung, wenn großartig ausgebildete und erfahrene PTA wie meine mit einem Netto-Stundenlohn unter 12 Euro nach Hause gehen müssen, weil wir nicht mehr bezahlen können.“
Eigentlich sind das alles Themen, um die sich die Standesvertretung kümmern muss. „Das größte Problem ist, dass unsere Lobby so schwach ist, dass sie kein Gegengewicht zu den Kassen darstellt. Und was in den Medien kommt, ist nie unsere Sicht, sondern immer nur Apothekenbashing.“ Besonders erschüttert habe sie das Verhalten ihrer eigenen Kammer, als sie ihre Schließung angemeldet hat. Die habe noch Ärger wegen des Datums und der Bereitschaftsdienste gemacht – sie hätte zum 31. Dezember schließen sollen, so die Forderung. Letztlich habe die Kammer von ihr verlangt, sich an die Lokalpresse zu wenden, um die Schließung so publik zu machen. Was hingegen vollkommen ausgeblieben sei: Interesse. „Ich hätte ja erwartet, dass die Kammer wenigstens mal nachfragt, wieso ich schließe und was da los ist bei den Kollegen“, erzählt sie. „Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, wenn man als Standesverttretung nicht mal an der Basis nachfragt, wie da die Situation ist. Die haben den Bezug zur Basis komplett verloren. Ich habe das Gefühl, die Kammern sind der schlimmste Feind der Apotheker überhaupt. Anstatt die Zeichen der Zeit zu erkennen, schmeißen die uns noch Knüppel zwischen die Beine.“
Es erzürne sie deshalb, wenn sie beispielsweise den Bericht einer Apothekerin lese, die sich für ihr – empfundenes – Scheitern schämt. „Die Frau braucht sich nicht zu schämen! Es ist keine Schande, unter diesen Bedingungen nicht mehr weitermachen zu können“, sagt sie. „Ich schäme mich überhaupt nicht, sondern ich hab eine wahnsinnige Wut und fühle mich von der Standesvertretung und der Politik verraten. Das System an sich ist krank und das wird Politik und Bevölkerung irgendwann noch auf die Füße fallen.“
Der Abschied von ihrem Team mache sie traurig – auch wenn alle zum Glück schon neue Stellen haben. Für sich selbst hingegen freue sie sich. Sie werde nur noch Vertretungsdienste machen. „Da tue ich dann nur noch, was ich wirklich mag: Ich arbeite mit den Kunden. Und was hintenrum passiert, kann mir egal sein. Ich bin froh, wenn ich kein Rädchen mehr in diesem kaputten System bin.“ Denn für die Branche sieht sie keine blendende Zukunft: „Wenn dieser Wahnsinn weiter zunimmt, kann die kleine Apotheke vor Ort schlicht nicht mehr mithalten“, prophezeit sie. „Aber ich bin mir sicher, man wird uns noch vermissen.“